Champions League: FC Bayern:Die Ruhe im Cavalieri

Der FC Bayern verspielt in Rom ein 2:0, demonstriert danach aber Gelassenheit. Doch fahndet der Verein offenbar intensiv nach Zugängen. Und ein Spieler sendet SOS.

Thomas Hummel

Louis van Gaal stand vor dem Fernsehreporter des Senders Sky. Solche Situationen nutzt der stolze Niederländer gerne, um sein Selbstbewusstsein zu demonstrieren, seine scharfe Zunge, seine Überlegenheit. Diesmal nicht. Im Stadio Olimpico von Rom stand ein Mann, dessen Scheitel immer noch perfekt saß, dessen Gesichtszüge indes fahl, dessen Körpersprache kraftlos wirkten.

"Wir haben das Spiel weggegeben, das haben wir in Gladbach gemacht, auch in Leverkusen. Das ist unglaublich, weil wir so dominant gespielt haben", sagte der Trainer des FC Bayern München. Er wiederholte ein paar Mal das Wort "unglaublich". Louis van Gaal konnte es so kurz nach dem Abpfiff wirklich nicht fassen, dass seine Mannschaft, die in der Halbzeit souverän 2:0 geführt hatte, gegen diesen limitierten AS Rom in der Champions League tatsächlich noch 2:3 verloren hatte.

Vermutlich hat noch nie eine Mannschaft des Trainers van Gaal einen Zwei-Tore-Vorsprung verspielt, auch beim FC Bayern München ist dieses Phänomen bislang selten bis nie aufgetaucht. Egal, ob nun die Qualifikation für das Achtelfinale schon in der Tasche war (wie diesmal) oder nicht. Wie konnte das nur passieren? Hatten die Münchner doch die erste Halbzeit dominiert wie eh und je, Mario Gomez bewies zweimal, dass er momentan wohl auch mit Skischuhen Tore erzielen würde (33./39.). Die Römer trabten bald kraftlos über den Platz, als wären sie drüben vor der Spanischen Treppe und zeigten den Mädchen ein paar Tricks. Mit römischer Lässigkeit ohne Schweißverlust.

Mit dieser römischen Lässigkeit war es nach dem Kabinengang aber dahin. Plötzlich sauste Jeremy Menez nach einer abgewehrten Flanke rechts allen davon, Martin Demichelis machte fast freiwillig den Weg frei, Menez' Querpass bugsierte Marco Borriello zum 1:2 über die Linie (49.). Obwohl die Italiener nun wahrlich keinen unwiderstehlichen Zauberfußball entfachten, fielen die Münchner zusehends auseinander. Danijel Pranjic ließ Gegenspieler Jon Arne Riise auf links entwischen, Querpass, 2:2 durch Daniele De Rossi (81.). Als die Zeitlupe lief, rannte Borrielo alleine in den Strafraum, der leicht zögernde Torwart Thomas Kraft (überraschend für Jörg Butt in der Startelf) brachte ihn zu Fall und Francesco Totti verwandelte den Elfmeter zum 3:2.

Für drei Bayern-Fans endete die Nacht nicht nur mit einer Niederlage, sondern gar im Krankenhaus. Zwei Anhänger wurden von bisher unbekannten Angreifern mit einer Flasche attackiert. Ein dritter Fan wurde bei einem weiteren Zwischenfall leicht am Bein verletzt.

Die Offiziellen des FC Bayern versammelten sich währenddessen im Luxushotels Cavalieri gegen Mitternacht zum üblichen Champions-League-Bankett. Da kam es nach Niederlagen bisweilen zu epochalen Szenen und lauten Ansprachen. Was würde diesmal passieren, im Salone de Cavalieri? Platz acht in der Liga, und nun in der Champions League ein "unglaubliches" Ereignis im Nacken. Es passierte: nichts. Zumindest nichts Lautes. Epochales vielleicht.

Kommt ein Verteidiger von Atlético Madrid?

"Eine Niederlage hat nie etwas Gutes, aber mit dieser Niederlage kann der FC Bayern leben", erklärte Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge. Man solle mit der Situation "gelassen umgehen". Präsident Uli Hoeneß und Trainer Louis van Gaal saßen lange zusammen und sprachen miteinander. Es sah nach einem ruhigen, sachlichen Gespräch aus. Ausgerechnet die beiden Streithähne der vergangenen Wochen, die beiden Männer mit dem großen Ego, die sich über die Medien so einiges an den Kopf geworfen hatten, diese beiden Männer demonstrierten nach der Niederlage in Rom ihre Einheit. Die Macher des Klubs bemühten sich, die Lage zu beruhigen.

Champions League - AS Rom - FC Bayern München

Enttäuscht in Rom: Philipp Lahm.

(Foto: dpa)

Nach dem unerfreulichen Abend im Stadio Olimpico gab es auch Gründe, keine Panik zu schüren. Zunächst die Tatsache, dass der Verein trotz der Niederlage die Gruppe E als Erster abschließen wird. Außerdem ist der FC Bayern im November nicht mehr zu vergleichen mit dem rauschhaften Gefüge im April und Mai. Damals tragende Säulen wie Arjen Robben und Mark van Bommel sind verletzt, der in der neuen Saison beste Verteidiger Holger Badstuber auch. Der bislang beste Spieler überhaupt, Bastian Schweinsteiger, war in Rom gesperrt.

Die Verletzungen von Ivica Olic und Miroslav Klose wiegen angesichts der Torflut des Konkurrenten Gomez derzeit nicht so stark. Dafür aber das anhaltende Formtief von Philipp Lahm, die Unsicherheiten der Innenverteidiger Van Buyten und Demichelis, die neue Wechselhaftigkeit von Thomas Müller. Die Hoffnung, Franck Ribéry würde nach zwei Monaten Verletzungspause zurückkommen und gleich wieder die Abwehrreihen schwindlig dribbeln, zerschlug sich. Ribéry blieb auch in Rom ungewohnt oft an einem einzigen Gegenspieler hängen, früher hatte er es locker mit drei aufgenommen.

Angesichts der ständigen Verfehlungen in der Defensive fahnden die Münchner inzwischen offenbar intensiver nach neuen Profis. Zuletzt schwärmte der französische Linksverteidiger Benoît Trémoulinas (Girondins Bordeaux) vom FC Bayern, er wäre "natürlich interessiert", sollte sich der Klub melden. Nun berichteten mehrere spanische Medien, die Bayern wollten Alvaro Domínguez, 21-jähriger Innenverteidiger von Atlético Madrid, verpflichten.

In der römischen Nacht kam aber auch deshalb Harmonie auf, weil Hoeneß und van Gaal antizyklisch denkende Führungskräfte sind. Ihre Mannschaft lag am Boden, ihr Verein erlebt turbulente Zeiten durch 14 Punkte Rückstand auf Platz eins in der Bundesliga oder durch Klagen Ribérys über den Trainer. Da wissen beide instinktiv, dass nun nur demonstrative Ruhe hilft.

Und vor allem ein Sieg im nächsten Spiel. Am Samstag kommt Eintracht Frankfurt, Tabellennachbar auf Platz sieben, in die Münchner Arena. Und zur Beunruhigung sendete allein Thomas Müller ein verbales SOS-Signal: "Wir sagen uns ja in der Halbzeit nicht: Wir führen 2:0, wir gehen jetzt raus und spielen Larifari. Doch schon zum wiederholten Mal haben wir einfach zu viele Schwächen offenbart. Wenn wir die nicht abstellen, werden wir gegen jeden Gegner - egal wie er heißt - Probleme haben."

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