Champions League:Dortmund hat ein Loch

RB Leipzig v Borussia Dortmund - Bundesliga

Auch neu beim BVB: Mario Götze.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Vor dem Champions-League-Start in Warschau plagt den BVB die Frage, wer die Kreativlücke im Mittelfeld schließen soll - und wie lange so etwas dauert.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Flug EW 1909, ein Airbus in schwarz-gelber Lackierung und mit riesigem Vereinsemblem, hat zur ersten Champions-League-Reise abgehoben. Flugziel: Warschau. Aber am Flughafen von Dortmund hielt sich das Hochgefühl in Grenzen, nach einjähriger Pause nun wieder mit Europas Besten spielen zu dürfen.

Die späte 0:1-Niederlage gegen Aufsteiger Leipzig hat viele leise Fragen lauter werden lassen: Wer führt die neue Mannschaft an? Wie lange wird es dauern, bis der Umbruch vollzogen ist, von dem alle reden? Ist der Zug dann längst abgefahren?

Legia Warschau ist kein Wundergegner, in der polnischen Ekstraklasa hat der Meister einen schlechten Start erwischt. Aber bei Borussia hat sich nach nur einem mittelmäßigen Spiel Unsicherheit breitgemacht. Auch der aufgepäppelte Neuling Leipzig hat am Samstag ja keine Sterne vom Himmel gespielt. Dortmunds Trainer Thomas Tuchel hat die vielen individuellen Fehler seiner Spieler kritisiert, die ungewohnte Fehlpassquote gerügt.

Tuchel will nach der Niederlage gegen Leipzig nicht alles in Frage stellen

Am Dienstag war er eher bemüht, die Leistung in Leipzig nicht allzu schlecht zu reden. "Die Wettbewerbsfähigkeit steht nicht in Frage" diagnostizierte der sonst oft strenge Trainer mit einem Lächeln: "Die Fehler waren nicht so groß, dass man alles in Frage stellen müsste." Tatsächlich hätte auch Dortmund - zum Beispiel beim Lattentreffer von André Schürrle kurz vor Abpfiff - selbst mit 1:0 gewinnen können.

In der Öffentlichkeit übernahm Weltmeister Mario Götze den selbstkritischen Part. Er zählte auf, dass der BVB nur ein einziges Mal in 90 Minuten einen Abschluss hatte, der konkret aufs Tor kam: "Ein bisschen wenig gegen einen Aufsteiger." Götze selbst hatte eine Spielhälfte lang gute Szenen, wie man sie schon eine Ewigkeit von ihm nicht mehr gesehen zu haben glaubte. Dass seine Spielfreude nach seiner Rückkehr vom Münchner Intermezzo zurückzukommen scheint, war so lange zu erkennen, bis ihm die Kräfte schwanden. Auch Götzes Nationalteam-Kollege Schürrle präsentiert sich in erstaunlicher Frühform.

Damit aber waren die positiven Aspekte beim BVB auch schon aufgezählt. Der Spielaufbau klappte gegen die gekonnt pressenden, laufwütigen Leipziger nur selten. Dass Dortmund in Mats Hummels (FC Bayern), Henrikh Mkhitaryan (Manchester United) und Ilkay Gündogan (Manchester City) im Sommer ausgerechnet jene drei Spieler verlor, die für die Spieleröffnung und den fast kompletten Kreativpart zuständig waren, wussten sie beim BVB schon vorher. Jetzt aber sieht man die Lücken, die diese Transfers gerissen haben, gegen die der BVB-Widerstand am Ende zwecklos war. Gestimmt hatte in erster Linie die Höhe der Transfererlöse.

Sein unberechenbarster Offensivspieler wird dem BVB noch Wochen fehlen

Zudem fehlt in Marco Reus derzeit die unberechenbarste Anspielstation. Reus laboriert weiter an einer Adduktoren-Verletzung. "Er kann geradeaus laufen", beschreibt Tuchel den Zustand des Nationalspielers vieldeutig. "Ich kann seriös nicht sagen, wann er wieder fit wird", sagt BVB-Boss Hans-Joachim Watzke. "Es ist eine Frage von Wochen, nicht von Monaten", beschwichtigt Sportchef Michael Zorc.

Bisher hat Tuchel in seinem großen Kader jedenfalls noch keine überzeugende Mischung gefunden. In Leipzig sollten Sebastian Rode, Julian Weigl und Gonzalo Castro das Spiel ankurbeln. Alle Drei blieben souveräne Ballbehauptung und erst recht kreative Pässe schuldig. Marc Bartra, der vom FC Barcelona kam und aus der Verteidigung heraus den cleveren Spieleröffner Mats Hummels ersetzen soll, leistete sich eine Serie von Fehlpässen. Götze und Schürrle holten sich gezwungenermaßen die Bälle selbst, bei Torjäger Aubameyang kam so gut wie nichts an. Durchschlagskraft kann man kaum erwarten, wenn man selten in Schussentfernung zum Tor kommt.

Vielleicht also ist doch manches schlimmer, als es Tuchel gerade eingestehen mag. Es wäre kontraproduktiv, der verunsicherten Mannschaft jetzt auch noch öffentlich Druck zu machen. Trotzdem dürfte Tuchel sich fragen, ob er nicht wenigstens auf diejenigen mehr bauen müsste, die mit viel Rückenwind in Dortmund angekommen sind. Portugals Europameister Raphael Guerreiro zum Beispiel spielt eine merkwürdige Rolle, bisweilen eingewechselt, immer auf undurchsichtigen Positionen. Und Stürmer Ousmane Dembélé, musste in Leipzig pausieren, weil er bislang von Konzept-Fußball und Defensivarbeit wenig gehört hat.

Die halbe Mannschaft nennt den passsicheren Nuri Sahin immer noch den "Boss"

Den einzigen ausgewiesenen Spielmacher, den Tuchel im Kader hat, Nuri Sahin, hat er auch nach Warschau nicht mitgenommen. Sahin ist vergleichsweise langsam zu Fuß, dafür kann er mit einem einzigen Pass Spiele entscheiden. Die halbe Mannschaft nennt Sahin immer noch den "Boss". Auch Sven Bender, angeschlagen vom Olympia-Turnier und der Final-Teilnahme in Rio, blieb zu Hause. Seine physische Präsenz könnte Dortmund helfen, wieder mehr Balance und mehr Wucht nach vorne zu bekommen.

Tuchel hat viele Möglichkeiten in seinem Kader, aber die vakant gewordenen Posten entlang der Achse des Spielaufbaus hat er bisher nicht neu besetzen können. Rode und Weigl sind bisher gute Spielverwalter und Spielunterbinder, Castro fühlt sich nur auf der Achter-Position wirklich wohl, Götze ist längst nicht fit für 90 Minuten und höchstes Tempo, Aubameyang bekommt kaum Bälle - und die Abwehrkette ist in der Findungsphase.

Vielleicht sind die Probleme bei Borussia Dortmund deshalb ausnahmsweise größer, als es der Trainer sagen mag. Vielleicht fehlt dem Kader auch der eine oder andere, der auf dem Platz Führungsqualitäten hat - und sie auch einfordert.

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