Champions League:Zidane fordert die richtige Dosis Testosteron

Zinedine Zidane

Seit Januar Cheftrainer bei Real Madrid: Zinédine Zidane.

(Foto: AP)

Von Javier Cáceres, Madrid

Die Anspannung ist Zinédine Zidane, dem Trainer von Real Madrid, kaum anzumerken, als er am Montag mit knapp zehnminütiger Verspätung durch die Tür des Pressesaals der Sportstadt von Real Madrid tritt. Ernst? Das schon. Aber er hat ja schon immer sphinxhaft gewirkt; der glatt rasierte Schädel war immer schon skulptural. Und warum sollte er auch nicht ernst sein?

Am Dienstagabend (20.45 Uhr/ Sky) muss seine Mannschaft einem 0:2-Rückstand gegen den VfL Wolfsburg hinterherlaufen. Beziehungsweise gegen jenes Team, das in der Tabelle der Fußball-Bundesliga 36 Punkte hinter dem FC Bayern von Pep Guardiola liegt - so wird Wolfsburg in Spanien gesehen. Das ist die Fallhöhe, die in Madrid aufgebaut wird, mag Zidane auch noch so leise davon sprechen, dass es "nur ein Fußballspiel" sei.

"Real Madrid ist nie darauf vorbereitet auszuscheiden"

Seit Januar ist der Franzose Chefcoach bei Real; sollte er ausscheiden, dürfte Spaniens Rekordmeister am Ende der Saison ohne Titel dastehen. Ob er Druck verspüre, wurde Zidane gefragt. "Was mich in den letzten Tagen am meisten interessiert hat, war, in die Gesichter meiner Spieler zu schauen", sagte er, "und was ich gesehen habe, hat mir gezeigt, dass sie schon mitten im Spiel stecken. Das nimmt mir jeden Druck." Und dennoch weiß auch er: "Real Madrid ist nie darauf vorbereitet auszuscheiden." Jetzt ist die Gefahr real.

Schon seit Tagen, eigentlich seit Mittwoch, versucht die Sportpresse die Temperatur jener aufzuheizen, die Real Madrid zugeneigt sind. Reals Medienabteilung schickte die Galionsfigur Cristiano Ronaldo vor, der Portugiese weissagte im Vereinssender "eine magische und perfekte Nacht". Das ist schon nach dem Geschmack der Medien in der Kapitale Spaniens - aber mehr noch die Militanz von Rechtsverteidiger Dani Carvajal. Der hatte nach dem jüngsten Liga-Sieg gegen SD Eibar (4:0) davon gesprochen, dass man dem VfL einen "Krieg" bereiten wolle, man werde die Niedersachsen "überrollen".

Testosteron mag Zidane nur in der richtigen Dosierung

Ganz nach dem Gusto Zidanes scheint das aber nicht zu sein, Testosteron mag er nur in der richtigen Dosierung. "Um dieses Spiel zu spielen, müssen wir mit viel Köpfchen agieren. Wir werden es nicht in fünf, nicht in zehn oder 15 Minuten gewinnen. Wir haben 90 Minuten", sagte der Trainer. Und überhaupt: All die Primärtugenden, seien es Intensität, Kampf oder Leidenschaft, werde auch Wolfsburg zu bieten haben: "Entscheidend wird sein, was wir mit dem Ball anstellen. Wir müssen Fußball spielen." Auch Mittelfeldspieler Luka Modric fordert "kühlen Kopf" und "Geduld".

Nur: Das sagt sich so leicht. Denn auf den Rängen werden 80 000 Menschen sitzen, die das Gleiche einfordern, was sie schon gegen Eibar in einem Chor aus zehntausend Kehlen bestellt hatten: "Huevos." Eier. Nach Art des Hauses. Beziehungsweise: möglichst so große wie jene, die das Pferd der Skulptur des einstigen Regenten Espartero zieren - und die Teil von Madrids Populärkultur geworden sind, weil dem Bildhauer bei der Dimensionierung bestimmter Attribute des Rosses die Hand ausgerutscht ist.

Reals Geschichte ist voll von Aufholjagden

Andererseits: Reals Geschichte ist ja tatsächlich voll von Geschichten über testosterongeladene Aufholjagden. Vor allem in den Achtzigerjahren, als Real Madrid einmal sogar 15 K. o.-Runden nacheinander überstand. Nur war damals alles anders: Es gab noch Stehplätze im Stadion, das sich deshalb nicht mit 80 000, sondern mit 120 000 Menschen füllte. Die Helden von Real Madrid hießen nicht Bale, Benzema, Marcelo oder Ronaldo, sondern Gordillo, Juanito, Stielike, Santillana oder Camacho.

Sie trugen keine strassbesetzten Baseball-Käppis, sondern lange Haare auf den Schultern und erst recht auf der Brust. Und sie zupften, anders als Ronaldo, nicht etwa die eigenen Augenbrauen, sondern die Trikots der Gegner - bestenfalls. Aufholjagden, so erzählen es die Veteranen, vollzogen sich nach dem immer gleichen Muster: im Wege der Markierung des eigenen Terrains.

Den Mund riss man im Kabinengang auf, Aug' in Aug' mit dem Gegner, und nicht vor den Mikrofonen wie jetzt. Man spuckte dem Gegner auf dem Weg zum Rasen vor die Füße und setzte auf dem Platz um, was man sich vorher in der Kabine geschworen hatte: dass man den ersten Ball erobern, das erste Foul begehen, den ersten Torschuss abgeben würde. Solche Dinge. Nur war das eben ein Fußball, der weniger komplex war. Und in dem die Fußballer autonome Einheiten waren und nicht die Exekutoren von Spielzügen und Automatismen, wie sie in den modernen Fußball-Laboren erdacht worden sind.

"Nicht jeder hält es aus, wenn das Bernabéu-Stadion brüllt"

Statistisch betrachtet hat Wolfsburg eine 83-prozentige Chance, die Sensation noch nach Hause zu schaukeln. In der Geschichte europäischer Teamwettbewerbe reisten laut der Zeitung As 678 Mannschaften mit einer 2:0-Führung zu einem Rückspiel an, nur 115 gaben dort den Vorsprung wieder her: 17 Prozent. Real Madrid gelang das Kunststück immerhin in zwei von drei Fällen; 1989 scheiterte Real am AC Milan, die Italiener ließen nach ihrem 2:0-Sieg lediglich ein 1:0 zu. 1980 und 1985 wurden dafür Celtic Glasgow und Inter Mailand mit jeweils 3:0 aus dem Bernabéu gefegt.

Auch an solche Spiele erinnerte Real Madrids Innenverteidiger Sergio Ramos, als er sagte: "Nicht jeder hält es aus, wenn das Bernabéu-Stadion brüllt." VfL-Trainer Dieter Hecking nahm die Demagogie mit Gelassenheit zur Kenntnis: "Wenn Real solche Dinge bedienen muss, liegt es daran, dass wir uns viel Respekt erarbeitet haben. Nun liegt es an uns, diesen Respekt größer werden zu lassen", sagte er in Madrid.

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