Champions League:"Wenn Khedira sich nicht verletzen würde, wäre er wohl perfekt"

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Im Mittelfeld verteilt Sami Khedira die Bälle mit Umsicht, und ähnlich wie Andrea Pirlo drosselt er mit stoischer Ruhe das Tempo im Spiel.

(Foto: AFP)

Von Birgit Schönau, Turin

Natürlich ist Sami Khedira für Juventus nicht nur ein Talisman. Aber in Turin, einer der Welthauptstädte des Aberglaubens, hat sich herumgesprochen, dass Juve kein Spiel verloren hat, bei dem der 28-jährige Deutsche mit dem tunesischen Nachnamen auf dem Platz stand. 16 Mal Khedira in dieser Saison bedeuten 14 Siege und zwei Unentschieden.

Falls Juve es tatsächlich schaffen sollte, auch beim Achtelfinal-Hinspiel gegen Bayern München am Dienstag ungeschlagen zu bleiben, dürfte Khedira endgültig als Bestandteil eines magischen Trios ausgemacht sein, zu dem außer ihm nur Kapitän Gianluigi Buffon und der argentinische Angreifer Paulo Dybala gehören. Juves Triumvirat in einer Stadt, die selbst mit Prag und Lyon zum Dreieck der Weißen Magie gehört und für sich den Eingang zur Hölle ebenso beansprucht wie das Versteck des Heiligen Gral.

Khedira lebt in der Altstadt, quasi zwischen diesen beiden Polen, selbstverständlich ist er viel zu nüchtern für derlei Fantasiegespinste. Unverzichtbar zu werden in einer Mannschaft, die keine Stammplätze kennt - das geht für ihn mit rechten Dingen zu, nämlich mit sehr, sehr viel Arbeit. Und mit Erfahrung, schließlich kam er im vergangenen Sommer als Weltmeister von Real Madrid.

Khedira leidet immer unter den vielen Verletzungen

Bei dem spanischen Glamour-Klub hatte er sich besonders im letzten von fünf Vertragsjahren nicht mehr besonders wohl gefühlt. In Madrid zähle nur das Spektakel, er aber sei kein Showmann, resümiert er heute, hinzu kam, dass er nach vielen Verletzungsausfällen immer wieder von vorne anfangen musste. Schwierig, sich da gegen zahlreiche Konkurrenz zu behaupten. Auch in Turin leidet Khedira unter seiner Fragilität, kaum angekommen, fiel er mit einem Muskelfaserriss schon für zwei Monate aus, und gerade erst ist er von einer Oberschenkelzerrung genesen.

Doch sein Wille, beim Spitzenspiel gegen den SSC Neapel am 13. Februar dabei zu sein, war so stark, dass er sogar nachts trainierte. Ein Einsatz, den sein Trainer Massimiliano Allegri prompt belohnte. Khedira bestritt gegen Neapel die volle Spielzeit, Juventus gewann 1:0. Beim nächsten Ligaspiel gegen den FC Bologna hatte Allegri seinem Mittelfeldregisseur Schonung verordnet. Und Juve kam über ein torloses Unentschieden nicht hinaus.

So verletzungsanfällig Khedira ist, so unverzichtbar ist er schon für seinen neuen Klub. Ebenso selbstverständlich wie unaufdringlich hat er den Platz des in die US-Liga emigrierten Maestros Andrea Pirlo eingenommen. Noch bleibt der charismatische Italiener mit der Präzision seiner Eckbälle, Freistöße und Elfmeter unerreichbar und unerreicht. Aber im Mittelfeld verteilt Khedira die Bälle mit ähnlicher Umsicht, und ähnlich wie Pirlo drosselt er mit stoischer Ruhe das Tempo im Spiel.

Turin hat keine Weltstars mehr im Aufgebot, dafür aber Toptalente

Sein Aktionsradius ist beschränkt, und doch lobt ihn Allegri über die Maßen: "Er versteht es auf großartige Weise, das Spiel zu lesen und zu animieren. Er strahlt einfach Ruhe aus, macht sehr wenig Fehler, steht fast immer genau richtig." Für Allegri, der stets darum bemüht ist, selbstbewusste Gelassenheit zu vermitteln, ist Khedira das perfekte Alter Ego auf dem Platz. "Wenn er sich nicht verletzen würde", sagt der Trainer, "wäre er wohl perfekt."

Einstweilen ist Sami Khedira immerhin perfektionistisch. Seine Aufgabe sei es, Balance und Stabilität ins Spiel zu bringen, sagt er, und dafür arbeitet er hart an sich. Mit einer Disziplin, die sie in Turin "teutonisch" nennen würden, wenn sich die Piemontesen nicht selber als die Preußen Italiens verstehen würden.

Arbeitseifer und eine gewisse Strenge gehören zur Identität von Juventus, es geht hier um Effizienz und nicht um Ästhetik, auch die größten Diven wie weiland Michel Platini, Roberto Baggio, Alessandro Del Piero oder Zinedine Zidane durften nicht über die Stränge schlagen. Heute hat man keine Weltstars mehr im Aufgebot, dafür aber eine Menge Toptalente, vom Franzosen Paul Pogba bis zu Dybala. Und immerhin noch drei Weltmeister. Die Italiener Buffon und Andrea Barzagli holten den Titel allerdings schon 2006.

Juventus fehlt vor allem Arturo Vidal

"Wir haben mit den Bayern den schwersten Gegner erwischt", glaubt Khedira, "sie sind weltweit eine der besten Mannschaften. Aber wir sind auch eine Mannschaft, die für solche Spiele gemacht ist." In der vergangenen Saison hatte Juventus als Außenseiter Borussia Dortmund und Real Madrid aus dem Wettbewerb geworfen und war erst im Finale am FC Barcelona gescheitert. Maßgeblich beteiligt war dabei ein Spieler, der jetzt für die Bayern antritt: Arturo Vidal.

Wie sehr Vidals Energie seiner ehemaligen Mannschaft fehlt, ist nicht zu übersehen. Heute scheint der bedächtige Khedira das einzige funktionierende Scharnier zwischen den Veteranen in der Abwehr und den jungen Wilden in der Offensive zu bilden. Sein italienischer Teamgefährte Claudio Marchisio unterstützt ihn dabei zwar routiniert, er verfügt aber weder über Vidals Temperament noch über Khediras Raumgefühl.

Gegen die Bayern wird Allegri neben Khedira zwei weitere Rekonvaleszenten aufbieten müssen: den Abwehrmann Giorgio Chiellini und den rustikalen Stürmer Mario Mandzukic. Beide mögen gegen Pep Guardioals Edelkicker hoffnungslos altmodisch erscheinen, doch Geniestreiche erwartet sowieso niemand von ihnen. Nur Zuverlässigkeit und starke Nerven.

Was das angeht, ist auch Sami Khedira ein Aushängeschild der neuen und doch uralten Juventus. Der Fußball in der mysteriösen Stadt Turin hat nichts mit Magie zu tun. Man lässt den Gegner lieber auflaufen, anstatt ihn zu becircen. Bloß nicht abheben und immer mit der Ruhe.

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