Champions League:Der mysteriöse Coach des FC Sevilla

Champions League Round of 16 Second Leg - Manchester United vs Sevilla

Triumph gegen Mourinho: Vincenzo Montella (rechts) schaltete im Achtelfinale mit Sevilla seinen prominenten Kollegen von Manchester United aus.

(Foto: David Klein/Reuters)

Vincenzo Montella liebt Offensivfußball und Experimente, damit verwirrt er manchmal seine eigenen Spieler. Doch gegen die Bayern dürfte ein minutiöser Plan vorliegen.

Von Birgit Schönau

Und wieder geht er im Steilflug nach oben, schraubt sich in Höhen, die der FC Sevilla bislang noch nie erreicht hat: Viertelfinale der Champions League, Hinspiel an diesem Dienstag gegen den FC Bayern. Auch für den Trainer Vincenzo Montella ist es das erste Mal. Vorbeizufliegen im Achtelfinale an Manchester United, zu landen unter den besten Acht der Königsklasse - das war ein Traum für den 43-jährigen Süditaliener, der als Fußballer den Spitznamen aeroplanino trug: kleines Flugzeug.

Montella erwarb ihn, weil er nach jedem Tor mit ausgebreiteten Armen über den Platz rannte, dazu leicht schwankte wie ein Segelflieger im Aufwind. Er hatte abgehoben, sollte das wohl bedeuten und zweifellos: Der Fußball hatte ihn das Fliegen gelehrt. Ihn, den Sohn eines Fiat-Arbeiters aus Pomigliano d'Arco, gleich hinter Neapel Richtung Vesuv. Zwischen Autofabrik und Vulkankrater wuchs der kleine Vincenzo auf, in einer Gegend, die zu den schönsten und härtesten Europas zählt. Bereits mit 13 zog er weg, allein, 500 Kilometer weit in den Norden, zum FC Empoli. Fiat oder Fußball, das war für ihn die Alternative. Und Montella wählte den Fußball.

Er wollte Torwart werden - jetzt ist er auch als Trainer ein Neuner

Er wollte Torwart werden, aber dazu war Vincenzo mit seinen 172 Zentimetern zu klein. Also wurde er nach vorn geschickt, in den Angriff. Statt Nummer eins ein echter Neuner - das Gegenteil dessen, was er sich erträumt hatte. Fortan machte er Tore, statt sie zu verhindern, viele Tore zuerst mit Empoli, dann für die beiden Erstliga-Mannschaften in Genua, schließlich und vor allem für den AS Rom. Insgesamt erzielte Vincenzo Montella 230 Treffer davon gleich vier am 10. März 2002 in einem Derby gegen Lazio. Die Roma gewann 5:1 und der kleine Montella segelte in den römischen Fußball-Olymp.

Dort sitzt er bis heute zur Rechten des Roma-Göttervaters Francesco Totti. Die beiden holten 2001 den bisher letzten Meistertitel, unterstützt vom argentinischen Erzengel Gabriel Batistuta. In Rom gibt es eine gewaltige Nostalgie nach der Leichtigkeit des aeroplanino, der sich den Gegenspielern so elegant zu entwinden wusste, alle Hindernisse umkurvte, und das Leben und den Fußball nicht allzu ernst zu nehmen schien. Was ihn übrigens bei seinem damaligen Trainer Fabio Capello äußerst unbeliebt machte. Dem Feldmaresciallo Capello war der gewitzte Montella stets suspekt. Die beiden mochten sich nicht. Sie haben am selben Tag Geburtstag, davon abgesehen könnten sie als Menschen und als Trainer nicht unterschiedlicher sein. Capello zieht eisern sein System durch und drillt mit 71 unverdrossen weiter seine Spieler, inzwischen in China.

Die römischen Jahre blieben die erfolgreichsten des Fußballers Montella. In der Nationalmannschaft kam er auf 20 Einsätze und drei Tore, zur WM 2006 fuhr er nicht. Mit 35 beendete der Segelflieger seine aktive Karriere und trainierte zunächst eine Jugendmannschaft der Roma. Ein Jahr später übernahm er schon mitten in der Saison die erste Mannschaft. Es reichte immerhin zu einem sechsten Platz und zum Pokalhalbfinale.

Dann wechselte die Roma den Besitzer und der junge Coach Montella wurde nicht weiter beschäftigt. Doch wenige Monate hatten gereicht, um sein Talent auch als Trainer zu beweisen. Seither gilt Montella als Meister der Anpassungsfähigkeit. Wenn's nicht klappt wie gedacht, stellt er eben um. Die Flexibilität ist seine größte Stärke - und größte Schwäche. Denn nicht immer können ihm seine Spieler so schnell folgen. Und dann ist das Ergebnis nicht Geschmeidigkeit, sondern Konfusion.

Beim AC Mailand, der letzten Station vor Sevilla, experimentierte Montella zusehends verzweifelter: "Ich schaue seit geraumer Zeit meiner eigenen Beerdigung zu", frotzelte er sarkastisch, als er wieder einmal gefragt wurde, wie sicher er sich auf seinem Platz noch fühle. Als er im Sommer 2016 angeheuert hatte, suchte Silvio Berlusconi schon eifrig einen Käufer für seinen Klub. 2017 übernahm ein chinesischer Investor mit dem US-Hedgefonds Elliott, dem der Klub Milan inzwischen faktisch gehört. Die Neuen gaben rund 250 Millionen Euro auf dem Transfermarkt aus, "für zehn Spieler, die noch nie etwas gewonnen hatten", wie Montella rückblickend klagt.

Da der Erfolg ausblieb, musste er gehen

Weil es ihm nicht gelang, innerhalb von wenigen Monaten eine konkurrenzfähige Mannschaft zu formen, musste Montella im vergangenen November gehen: "Wir Trainer werden auch dafür bezahlt, als Sündenböcke herzuhalten. Das gehört zu unserem Job." Gennaro Gattuso übernahm, seither sammelt Milan wieder Punkte. Gattuso macht keine Experimente, er ist nicht so ehrgeizig wie Montella, er sucht nicht das schöne Spiel. Und er lässt hart trainieren - Montella wird aus Mailand nachgerufen, er habe es daran fehlen lassen.

Als Trainer des AC Florenz, wo er von 2012 bis 2015 wirkte, avancierte Montella zum Vorzeigeästheten des italienischen Fußballs. Seine Mannschaft inszenierte eine Offensivshow, in der nur einer fehlte: der Spieler Montella selbst, das aeroplanino. Die Fiorentina verzauberte das Publikum - und gewann nichts. Schon damals wurde offensichtlich, dass die Leichtigkeit Montellas größte Beschwernis sein kann. Seine Intelligenz ist überragend, sein Ego ist es nicht. Er ist zurückhaltend, ja introvertiert. Sein Vorbild als Angreifer war Marco van Basten, nicht der in Neapel als Abgott verehrte Diego Maradona. Viel zu dick aufgetragen, von wegen Segelflieger.

Mit den Jahren wirkt der Neapolitaner Montella immer mysteriöser, er hat gelernt, von seinem Gesicht nicht den Hauch einer Regung ablesen zu lassen. Er ist ein leiser, rationaler Typ, der ein geschliffenes Italienisch spricht, ohne einen Hauch von Dialekteinfluss. So leise und rational, dass er nicht danach strebt, der Mannschaft seinen Stempel aufzudrücken. Er sucht nicht die Symbiose wie Antonio Conte oder Gattuso, sondern wahrt lieber Distanz.

Eine überraschend starke Partie gegen Barcelona

Er ist auch keiner, der Spieler entwickelt. Es geht nur darum, gemeinsam den richtigen Wind zu erwischen. Auch als Trainer bleibt Vincenzo Montella ein echter Neuner. Als er bei Milan seinen langjährigen Fitness-Mann via Twitter feuerte, war das jenseits aller Stilfragen vor allem ein Beweis dafür, wie schwer es ihm fällt, mit der Faust auf den Tisch zu hauen. Montella laviert. Er versucht, in der Situation zu reagieren, seine Chance blitzschnell zu nutzen. Wie damals auf dem Platz.

Auch in Andalusien ist eine gewisse Unstetigkeit geblieben. Prompt trötet Maradona, der einst auch bei Sevilla gespielt hatte, Montella sei eine Fehlbesetzung, man hätte besser daran getan, den Argentinier Eduardo Berizzo zu behalten. Die letzten beiden Ligaspiele gegen Valencia und Leganes hat Montellas Team verloren, am Ostersamstag aber gelang nun ein überraschend starkes Spiel gegen Tabellenführer FC Barcelona (2:2). Gegen Barça steht Sevilla auch im Pokalfinale.

Jetzt aber kommt Bayern. Da hat Montella den Vorteil, bereits eine historische Klippe genommen zu haben. Sevilla steht nicht unter dem Erwartungsdruck, weiter kommen zu müssen. Man darf davon ausgehen, dass Montella die Partie minutiös vorbereitet. Und dann heißt es abwarten, wie der Wind weht.

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