Champions League:Der Fehler im System

Bei Arsenal spielte das ganze Team für Weltklassestürmer Thierry Henry. Bei Schalkes Viertelfinal-Gegner Barcelona ist der Franzose nur einer von vielen.

Ronald Reng

In einem Sport, der schneller und schneller wird, hält er die Welt an. Auf dem linken Flügel, Gegners Tor schon nahe, bleibt Thierry Henry, den Ball am Fuß, den Verteidiger vor sich, mit einem Schlag stehen. Er zwingt die ganze rasende Fußballwelt, atemlos zu warten, was er nun machen wird. Es ist sein ultimativer Trick. Thierry Henry gefriert. Und plötzlich schlägt er ansatzlos zwei Haken, schwebt schwerelos am Verteidiger vorbei, schießt den Ball, so dass der einen Bogen um den Torwart macht, flach ins rechte Toreck, acht Jahre lang für den FC Arsenal aus London.

Champions League: "Vergesst den Thierry Henry von Arsenal", sagte er eines Tages, "ihr werdet ihn nie mehr sehen."

"Vergesst den Thierry Henry von Arsenal", sagte er eines Tages, "ihr werdet ihn nie mehr sehen."

(Foto: Foto: AP)

Thierry Henry, Meister aller Klassen, Welt- und Europameister mit Frankreich, Europas bester Torschütze 2005 und 2006, blieb wieder stehen am vergangenen Samstag im Spiel mit seinem neuen Klub FC Barcelona bei Betis Sevilla. Sechsmal gefror er, sechsmal täuschte er einen Haken an. Jedes Mal brach er das Dribbling ab, passte den Ball zurück, schlug eine Flanke (weit hinter das Tor) oder schoss einfach den Gegner an, um einen Eckball zu gewinnen.

Henry, der vor neun Monaten im Alter von 30 Jahren zu Barça kam, um eine schlummernde Weltklasse-Auswahl wachzuküssen, brachte seitdem die Fußballwelt nur einmal zum Stillstand; mit zwei Sätzen: "Vergesst den Thierry Henry von Arsenal", sagte er eines Tages, "ihr werdet ihn nie mehr sehen."

Trauriges Einzelschicksal

Damit wollte er ausdrücken, dass er in Barças Spielsystem mit drei Stürmern nicht so in Erscheinung treten könne wie bei Arsenal, wo er oft als alleiniger Angreifer allen Entfaltungsraum hatte. Aber muss dies heißen, dass von Henry bei Barça grundsätzlich nur solch blutarme Auftritte zu erwarten sind wie bisher? Vor dem heutigen Champions-League-Viertelfinale gegen Schalke 04, nach einem Monat, in dem der FC Barcelona den spanischen Pokal und bei sieben Punkten Rückstand auf Real Madrid faktisch auch die Meisterschaft verspielt hat, klingt es leicht opportunistisch, wenn man einzelne Spieler herauspickt und kritisiert.

Tatsächlich ist das große Problem dieses Barça der kollektive Verlust der Siegermentalität, verschlissen im jahrelangen Kampf an der Spitze. Henry ist da nur ein besonders faszinierend trauriges Einzelschicksal: Wie aus einer Legende Arsenals bei Barça ein Fehler im System wurde.

Ein Übervater im Staate Sport

Als er nach dem Training einmal zum Pressegespräch erscheint, sieht er aus, als wolle er den Sport wechseln. Er trägt ein viel zu großes American-Football-Trikot. Nummer 56, Taylor steht auf dem Rücken. Lawrence Taylor von den New York Giants wurde in den Achtzigern vor allem deshalb berühmt, weil das Football-Establishment seine Klasse nie anerkannte.

Thierry Henry wird von einem merkwürdigen Zwang getrieben, ständig vermeintlich verkannte Sportler zu würdigen. Als ob er sich so seine eigene Größe beweisen wolle, ein Übervater im Staate Sport.

Auf der nächsten Seite: Schonungslose Selbstkritik und überall ist schon einer.

Der Fehler im System

Er scheint schonungslos offen zu sein in seiner Selbstkritik, "ich bin auch wütend und frustriert, weil ich nicht das Nötige beitrage", er bringt von sich aus ein so sensibles Thema wie die Trennung von seiner kleinen Tochter nach der Scheidung zur Sprache: "Ich versuche, es auf dem Spielfeld zu vergessen, dass ich Téa so wenig sehe, aber natürlich geht es mir nahe."

Doch am Ende des Gesprächs schaut man wieder einmal nur peinlich berührt auf den Boden. Denn er sagt auch Sachen wie: "Mir gefallen die Farben der Fahne Kataloniens." Glaubt er wirklich, jemand werde ihm diese plumple Anbiederung an Barças Publikum und dessen katalanischen Nationalismus abnehmen? So verlässt man Thierry Henry wie immer nach einem Gespräch, angetan von seiner sanften Ehrlichkeit und verwirrt, wie viel davon vielleicht gespielt ist.

Überall ist schon einer

Er hat gute Gründe, sich in Barcelona schwer zu tun: seine delikate Gesundheit mit chronischen Rückenproblemen, Akklimatisierungsschwierigkeiten, seine private Situation. Aber samstagabends in Sevilla sahen 42000Zuschauer nur zu deutlich das Grundsatzproblem: Barças Spiel ist nicht sein Spiel. Bei Arsenal hatte Henry als einsamer Stürmer die gesamte Breite des Angriffsdrittels für sich, um zu streunen, er konnte von der Mittellinie aufwärts seine Schnelligkeit ausspielen. Die gesamte Mannschaft spielte für ihn. "Er schüchterte uns regelrecht ein", sagt Arsenals heutiger Stern, Francesc Fàbregas. "Wir glaubten, immer zu ihm, immer so spielen zu müssen, wie er es wollte."

Barça dagegen spielt mit drei Angreifern und zwei offensiven Mittelfeldspielern. Henry, derzeit als Flügelstürmer eingeteilt, kann selten zum Tor ziehen oder sich zurückfallen lassen; da ist überall schon ein Mitspieler. Jeder ist viel mehr auf seine Position festgelegt. Bewegung und freier Raum entstehen weniger durch Sprints als durch Passkombinationen. Henry ist sich nur zu bewusst, wie sehr er in diesem System fremdelt. Und so spielt er wie ein Fußballer, der ständig daran denkt, nichts falsch zu machen: Solche Spieler machen am Ende nicht einmal mehr das richtig, was sie mit Leichtigkeit konnten. Auf dem linken Flügel, Gegners Tor schon nahe, ist Thierry Henry stehen geblieben.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: