Champions League:Bayern will den Fluch verscheuchen

Von Jonas Beckenkamp, Sevilla

Über das Berufswesen der "Fluchologen" weiß die Welt wenig bis gar nichts, nun ist es an der Zeit, an diese Zunft zu erinnern. Einen sogenannten Spanien-Fluch hatten die findigsten unter den Fußball-Forschern ja zuletzt beim FC Bayern festgestellt, weil es gegen Teams aus dem Süden Europas gleich vier Mal hintereinander verflucht schlecht lief. Gegen Real Madrid, Barcelona, Atlético und noch einmal Real schieden die Münchner in den vergangenen vier Jahren aus der Champions League aus - da braucht es keine Empirik für die Conclusio: An diesem Dienstag bestünde in Sevilla im Viertelfinal-Hinspiel eine gute Gelegenheit, den Fluch aus der Vereinschronik zu verscheuchen (ab 20.45 Uhr im SZ-Liveticker).

Die Bayern treten im Estadio Ramon Sanchez-Pizjuan also mit einem kleinen Rucksack an, einer dezenten Last aus dem Gestern. Das darf aber keiner offen zugeben. Wäre auch so gar nicht bayern-like. Stattdessen waren sowohl Trainer Jupp Heynckes als auch Javi Martínez auf der Abschluss-Pressekonferenz in Sevilla bemüht, die Niederlagen gegen spanische Teams als Störfaktor kleinzureden. "Wir sind jetzt in anderer Verfassung als damals", sagte Martínez, "wir denken nicht mehr an die vergangenen Jahre. Was war, lassen wir hinter uns. Das ist der Schlüssel."

Sevilla zerlegte beinahe den FC Barcelona

Und Heynckes, der alte Spanien-Connaisseur, der als Trainer in Bilbao, Teneriffa und bei Real Madrid so ziemlich jeden Flecken Fußball-Spaniens bereist hat, fand: "Was in den letzten vier Jahren passierte, ist abgehakt, das tangiert uns nicht mehr." Der "Mister", wie sie ihn hier nennen, lenkte den Diskurs in eine andere Richtung: Er wies darauf hin, dass unter seiner Führung Spiele gegen spanische Topteams durchaus erfolgreich verliefen: 2012 gelang mit einem Elfmeter-Triumph im Bernabeu der Einzug ins Finale, 2013 wurde Barcelona gar mit 4:0 und 3:0 besiegt. Und überhaupt könne man die Bayern von damals nicht mit heute vergleichen. Weiland spielten ja noch Schweinsteiger und Lahm, heute dagegen Kimmich und vermutlich auch der wieder genesene Arturo Vidal.

Jetzt also Sevilla, wo die Delegation des Rekordmeisters nicht nur die Sonne Andalusiens und sanfte Frühlingsluft empfängt, sondern auch ein Stadion, das den Namen "Glutofen" wirklich verdient. Knapp 40 000 Anhänger des Heimteams (und etwa 2000 Bayern-Fans) werden sich am Abend im Osten der Stadt an der Avenida Eduardo Dato einfinden - und sie werden laut sein. Verdammt laut. Gebrüll auf Stierkampf-Niveau dürfte die Wände dieser Arena mitten im Wohn -und Einkaufsviertel vibrieren lassen.

Sevilla fehlt sein Metronom

"Wir werden hier ähnliche Verhältnisse haben wie bei Besiktas", orakelte Heynckes, "ein sachverständiges, heißblütiges Publikum" ist zu erwarten. Zum Glück aber sei es "die Tradition des FC Bayern, dass wir solche Spiele kennen, uns kann nichts mehr erschüttern".

Auf die mentale und physische Fitness wird es ankommen gegen einen Gegner, der in der Primera Divison zwar nur Sechster ist, aber soeben fast den FC Barcelona zerlegte. Beim 2:2 am vergangenen Samstag hatten die Sevillaner so lange 2:0 geführt, bis ein gewisser Lionel Messi ins Spiel kam und alles drehte. "Das Spiel gegen Barça war ein gutes Beispiel. Sie sind ein reifes Team, sehr ballsicher, sie spielen gern in die Tiefe", referierte Martínez, "sie hätten gegen Barcelona durchaus gewinnen können." Auch das dürfte also entscheidend sein: Wie stellen sich die Bayern darauf ein, dass dieser Gegner so ganz anders, beziehungsweise so viel besser spielen wird als alle Bundesliga-Teams?

Der richtige Gradmesser für die Münchner

Die Meisterschaft gehört den Münchnern quasi im Abonnement, doch irgendwie verdichtet sich der Eindruck, dass die Saison erst mit dieser Partie gegen Sevilla richtig beginnt. Und dass die Bayern selbst froh sind, nach den ständigen Sechs-zu-Nulls gegen kaum ernstzunehmende Mannschaften wie den HSV oder Dortmund (sic!) eine Herausforderung gestellt zu bekommen.

Vielleicht ist der FC Sevilla mit seinem Selbstverständnis, Fußball spielen zu wollen, anstatt nur zu zerstören, aktuell genau der richtige Gradmesser für die Münchner. Zwar fehlt dem Team des italienischen Trainers Vincenzo Montella mit dem gelbgesperrten Argentinier Ever Banega ausgerechnet sein Metronom und großer Stratege, aber dafür steht vorne Wissam Ben Yedder bereit - mit acht Treffern im laufenden Wettbewerb immerhin zweitbester Torjäger hinter Cristiano Ronaldo.

"Wir brauchen zwei fantastische Abende", hatte Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge beim Abflug nach Spanien gesagt. Unter den Fluchologen ist er so was wie ein bayerischer Praxismeister, er hat schließlich alle jüngsten Spanien-Erlebnisse live im Stadion mit verfolgt. "Bei der Statistik darf man nicht arrogant oder gar überheblich dahingehen", mahnte er noch, bevor er zum Charterflieger mit der Nummer LH2570 entschwand.

Und er war nicht der einzige, der ein bisschen was gerade biegen will: "Jetzt muss sich das mal ändern", meinte Arjen Robben. Ein bisschen kitzelt die Vergangenheit die Münchner also doch.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: