Champions League:Baustelle FC Bayern

1:1 gegen Lyon, Platz eins in Gruppe F, Steigerung nach dem 0:1 in Hannover: Der FC Bayern hat endlich mal wieder ein Spiel nicht verloren. Alles okay? Von wegen! Ein Baustellenbericht.

Thomas Becker

Selten dürfte es vor einem Heimspiel gegen den VfL Bochum so viel Feuer unterm Dach des FC Bayern gegeben haben. Die Ursache des Brandes liegt weniger in der sportlichen Leistung gegen den französischen Serien-Meister. Gegen diese technisch starke Mannschaft, die vor allem in Halbzeit eins flinker, wacher und ballsicherer wirkte, musste der deutsche Rekordmeister sich schon mächtig recken, dass seine blütenweißen Trikots nicht verblassten gegen das schrille Neongelb der Gäste. Mit Zé Roberto durfte einer der stärksten Münchner den für Bayern-Verhältnisse geradezu euphorisch bejubelten Ausgleich erzielen. Allen wussten: Dieser Treffer hatte die dritte Niederlage in Serie verhindert.

Champions League: Die Schonfrist für den neuen Bayern-Trainer ist vorbei.

Die Schonfrist für den neuen Bayern-Trainer ist vorbei.

(Foto: Foto: AP)

Doch vor, während und nach diesem Schlüsselspiel offenbarte sich eine atemraubende Vielzahl von Problemen, und zwar in allen Bereichen des Vereins: Mannschaft, Trainer, Vorstand. Aber der Reihe nach:

Der Erneuerer

Wer Jürgen Klinsmann nach dem Spiel im Premiere-Interview neben Franz Beckenbauer erlebte, dem konnte Angst und Bange werden. Um Jürgen Klinsmann. Wenn Beckenbauer sprach, wanderten Klinsmanns Augen derart nervös hin und her, als wäre er gezwungen, einem hyperschnellen Tischtennisspiel zu folgen. Der Novize im Berufsstand des Vereinstrainers steht dermaßen unter Spannung, dass man sich fragt, wie er nachts überhaupt noch ein Auge zumachen kann und welchen Sport er als Ausgleich betreibt. Vermutlich Holzhacken.

Natürlich wusste Klinsmann, was er tut, als er beim FC Bayern anheuerte. Und auch der FC Bayern wusste, dass mit dem Radikal-Erneuerer wenig so bleiben würde wie es war. Doch schon nach sechs Bundesliga- und zwei Champions-League-Spielen hat Klinsmann im Verein für derart viel Betrieb gesorgt, dass es allmählich schwierig wird, den Überblick zu behalten. Und es darf unterstellt werden, dass mittlerweile nicht mehr alle Beteiligten vom unbedingten Glauben an die Richtigkeit des Klinsmann'schen Tuns beseelt sind.

Das fängt bei pfeifenden Fans an und geht beim sogenannten verlängerten Arm auf dem Spielfeld weiter: dem Kapitän.

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Der Teilzeit-Leader

Mit Kahn ging der alte Käpt'n von Bord, ein Neuer musste her. Lucio hatte Ansprüche angemeldet, Lahm auch, sogar ein gewisser Willy Sagnol. Klinsmann entschied sich für Mark van Bommel. Ein Typ der Marke Effenberg, von Hitzfeld schon als "aggressive leader" geadelt, jedoch mehrfach gelb-rot bestraft und bei den Schiedsrichtern der Liga bestens bekannt. Doch schon nach wenigen Spielen stellt Klinsmann fest, dass van Bommel gar kein Stammspieler ist. Nicht umsonst hatten sich die Bayern zuvor um Gattuso und Flamini bemüht, "Sechser" mit internationaler Klasse. Klinsmann-Chef Franz Beckenbauer brachte die Causa ausnahmsweise recht bündig auf den Punkt: "Ihn zum Kapitän machen und dann nicht spielen lassen - das hätte er sich auch schenken können."

Klinsmann mühte sich darzustellen, mit welchem Bravour und Charakter Sportsmann van Bommel die "rein sportlich" bedingte Ausbootung aufgenommen habe. Oliver Kahn dürfte dieser Text seit seiner Degradierung zur Nummer zwei bekannt vorkommen.

Van Bommel sagte nach dem Lyon-Spiel nur: "Ich bin froh, dass wir ein 1:1 geholt haben. Mehr habe ich heute nicht zu sagen. Bitte haben Sie Verständnis." Dann ging er. Vermutlich zum Holzhacken.

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Der Verprellte

Philipp Lahm ist nett. Macht auch nach unangenehmen Spielen fast immer Halt bei den Reportern. Früher sagte er meist ein paar nette Sätze, Unverbindliches, Unspektakuläres. Das hat sich geändert. Lahm hat etwas zu sagen. Und er würde wohl gerne noch mehr sagen. Als Kapitän. Explizit hatte er vor der Saison den Wunsch geäußert, als Führungsspieler, der er nun mal ist, auch als Mannschaftskapitän Verantwortung zu übernehmen. Klinsmann nahm einen anderen, und auch die Stellvertreterposten bekamen andere: Demichelis und Lucio, beide nicht gerade mit einem überreichen deutschen Wortschatz gesegnet. Eine harte Pille für Lahm. Sie schmeckt immer noch bitter. Angesprochen auf die Demontage von Kapitän van Bommel, sagte Lahm nun: "Ich habe immer gesagt, dass ich Kapitän werden will, und ich würd's immer noch gern werden." Er hätte auch sagen können: "Mark ist der Kapitän. Ende der Diskussion." Hat er aber nicht.

Hinzu kommt die Versetzung auf die eher ungeliebte linke Seite. Beim nächsten Angebot aus Barcelona oder von sonst wo wird Philipp Lahm wohl nicht mehr lange überlegen.

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Die Streithähne

Als sich Demichelis und Lucio in Minute 75 vor dem eigenen Strafraum gegenseitig schubsten, dachte man auch zunächst an die übliche südamerikanische Wallung. Doch ein paar Sekunden später ging es an der Mittellinie weiter, und hätte sich nicht Ko-Trainer Martin Vasquez nach dem Schlusspfiff Kapitän Lucio in den Weg gestellt, es wäre wohl in der Kabine zum Showdown gekommen. Demichelis, angefressen wegen seines Eigentors und der Versetzung von der Innenverteidigung vor die Abwehr, war nach der Partie im Geschwindschritt vom Platz geeilt, nicht ohne seinem Lieblingsmitspieler Lucio per Handzeichen verständlich zu machen: "Los, komm schon! Gehen wir raus!" Der rannte prompt von der Mittellinie aus los, Zornesfalten im Gesicht. Vasquez und Sosa stoppten den Vulkan in letzter Sekunde.

Klinsmann stand wort- und tatenlos daneben, sprach danach von "Emotion pur" und "gar kein Problem". Wer das seit Jahren mäßig harmonische Verhältnis der beiden Südamerikaner kennt, weiß, dass es nicht der letzte Streit gewesen sein wird. Dabei bilden die beiden die stabilste Innenverteidigung des FCB. Doch nun drängt der junge Breno, und da Demichelis auch auf der Sechs spielen kann, fürchtet er eine erneute dauerhafte Verbannung aus der Innenverteidigung - wo er auch in der Nationalmannschaft spielen möchte. Die nächste Aufstellung wird am Freitag oder Samstag bekanntgegeben. Der nächste Streit ist programmiert: Freitag oder Samstag.

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Der zufällig Befriedete

Massimo Oddo ist Weltmeister und Champions-League-Sieger. Eher unfreiwillig verließ er den AC Mailand, ungefähr nach dem Motto: Bevor ich gar nicht spiele, spiele ich halt bei Bayern. Doch dann spielte er auch dort gar nicht. Sondern ein Flanken-Desaster namens Christian Lell, deutscher Meister, Pokalsieger und Ligapokalgewinner. Massimo Oddo wunderte sich, ein paar Spiele lang. Dann rissen bei Lell die Muskelfasern. Seitdem spielt Oddo. Verstanden hat er diese ersten Wochen in München nicht.

Der Stau in der Mitte

Die Liste erstklassiger Mittelfeldspieler beim FC Bayern? So lang wie der Stau am Katschbergtunnel bei Ferienbeginn. Da aber je nach Spielsystem nur drei oder vier Plätze zu vergeben sind, versauert grandioses Kreativpotential auf Bank oder gar Tribüne. Toni Kroos, allseits anerkanntes Großtalent Deutschlands? Lange nicht gesehen. Es ist ein Jammer. Dritte Liga will er nicht mehr spielen, sagt er und hat recht damit. Nur: Bei Bayern spielt er fast gar nicht. Kroos muss etwas tun. Er muss spielen. Dringend.

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Die Berechenbaren

Wohl kaum ein Team in der Liga vertraut so konstant auf die immer gleiche Offensivabteilung wie der FCB. Doch die Erfolgswelle von Klose/Toni des Vorjahres scheint gestoppt. Nur vier von zwölf Bundesligatoren haben die beiden erzielt. Miroslav Klose scheint sich noch nicht entschieden zu haben, ob er weiter als Torjäger jobben oder doch endgültig auf Vorbereiter umschulen soll. Luca Toni hat eine miserable EM samt anschließenden Misserfolgserlebnissen in der Nationalmannschaft hinter sich, was dem Gemüt des ewigen Sunnyboys nicht bekommt. Nicht nur die Gegenspieler, auch die Schiedsrichter haben sich auf seine zuweilen theatralische Spielweise eingestellt und pfeifen immer öfter gegen ihn. Und das Fass mit dem chronischen Bankdrücker Podolski wollen wir erst gar nicht aufmachen. Nicht schon wieder.

Die schweigenden Bosse

Nein, Franz Beckenbauer ist natürlich nicht gemeint. Der kann das gar nicht, schweigen. Franzelt in einem fort, was ja schon zur FC-Bayern-Folklore gehört, die Sache für Klinsmann aber nicht einfacher macht, weil er ja ständig Stellung beziehen muss zu des Präsidenten Poltereien. Gefährlicher ist die relative Ruhe von Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge, der nicht nur wegen der hübschen Alliteration Killer-Kalle genannt wird. Es ist eine trügerische Ruhe. Wie ruhig es in kleiner Runde und hinter verschlossenen Türen zugeht? Tja, wenn wir das wüssten ... wir würden es glatt hinschreiben.

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