Champions League:Atlético verbeugt sich im Regen

  • Atlético Madrid scheidet im Halbfinale der Champions League gegen Real Madrid aus.
  • Es war das letzte große Spiel im Stadion Vicente Calderón, in der kommenden Saison wird Atlético in eine neue Arena umziehen.
  • Die Zukunft von Trainer Diego Simeone ist weiter unklar.

Von Martin Schneider

Natürlich musste es am Ende regnen. Ein Wassermeer stürzte aus dem Nachthimmel von Madrid auf das Estadio Vicente Calderón herunter, auf die vielleicht schönste Bruchbude Europas. Das Stadion von Atlético Madrid, es wird im Sommer abgerissen, dieses Halbfinale der Champions League gegen den reichen Stadtrivalen Real war der letzte große Akt im Leben der alten Arena. Eigentlich hatte Atlético nach der 0:3-Niederlage im Hinspiel keine Chance mehr, aber weil Saul Niguez und Antoine Griezmann in den ersten 16 Minuten zwei Tore schossen, schenkten sie den Fans nochmal irreale Hoffnung - die Karim Benzema dann vor der Halbzeit mit einem Weltsolo zerstörte. Und mit dem Schlusspfiff des Schiedsrichters, mit der letzten Verbeugung der alten Arena, platzte ein Gewitter auf das Spielfeld herunter.

Man muss dazu wissen, dass drei Tribünen des Calderón kein Dach haben, es ist das letzte Champions-League-Stadion, bei dem das noch so ist. Es sieht aus wie ein Kolosseum am Ufer des Manzanares, ein Fossil aus einer anderen Fußball-Zeit. Und weil ein Dach ja nicht nur vor Regen schützt sondern auch den Himmel aussperrt, ist der Himmel Teil von Atlético. Wenn das Spiel beginnt sieht man die Wolken über Madrid, dann den Sonnenuntergang über den giebellosen Dächern und wenn es mal gewittert, dann steht jeder, der es mit Atlético hält, im Regen.

"Gekämpft, wie wir es seit fünfeinhalb Jahren tun"

"Ich bin stolz", sagte Atléticos Trainer Diego Simeone nach dem Spiel. Er lief lange über das Spielfeld und applaudierte den Zuschauern, völlig durchnässt winkte er ins Publikum, wie immer komplett in schwarz gekleidet. "Wir haben gekämpft, wie wir es seit fünfeinhalb Jahren tun", sagte Simeone: "Als wir gesagt haben, wir kommen nach einem 0:3 zurück, dachten die Leute, das seien nur Worte. Aber diese 25 Minuten werden in die Geschichte des Klubs eingehen. Es war eine magische Nacht im Calderón, sie wird für immer in den Erinnerungen der Menschen bleiben."

Diese 25 Minuten begannen mit einem Kopfball von Saul Niguez. Nach einem Eckball war er am kurzen Pfosten frei und drückte den Ball zum 1:0 über die Linie. Sie gingen weiter, als Fernando Torres von Raphael Varane im Strafraum gelegt wurde. Antoine Griezmann schoss den Elfmeter, er rutschte aber beim Anlauf mit seinem Standbein aus, weswegen der Schuss irgendwie halbhoch, halb auf den Torhüter auf den Kasten flog. Keylor Navas war noch dran, aber er lenkte ihn ins eigene Tor. Ab da war das Wunder nicht nur Gerede.

Jeder Zweikampf wurde ab diesem Moment zum Kampf um die Stadt, jede Grätsche zur finalen Aufgabe. Von vier Tribünen schallten die "Atléti-Atléti"-Rufe auf das Spielfeld und bündelten sich irgendwo im Mittelkreis zu einer Sinfonie aus Schall und Energie. Die Risse im Beton wurden wahrscheinlich noch ein bisschen breiter, im Stadion blubberte Adrenalin. Dann kam Karim Benzema.

"Eine magische Bewegung hat unseren Traum zerstört", sagte Gabi später. Der Franzose bekam an der Eckfahne den Ball. Drei rot-weiße Spieler versperrten ihm den Weg zum Tor. Diego Godin, José Maria Gimenez und Stefan Savic standen zwischen Benzema und dem Sechzehner und es war letztendlich Savic, der den Fuß zurück zog. Er dachte: Wenn wir hier schon zu dritt sind, dann müssen wir auch den Eckball verhindern und so legte sich Benzema den Ball genau auf der Torauslinie entlang vor, drehte sich noch ein bisschen und ließ die drei eisenharten Verteidiger stehen wie Wackeldackel.

Ein Pass zu Toni Kroos, ein Schuss von Kroos, eine Super-Parade von Jan Oblak und ein eiskalter Abstauber von Isco zerschlugen das wachsende Wunder im Calderón. Wegen der Auswärtstorregel hätte Atlético ab diesem Zeitpunkt noch drei Tore gebraucht.

Real Madrid wehrte alles ab

Der Namenspatron des Stadions, Ex-Präsident Calderón, nannte seinen Verein einst "Pupas", was auf spanisch soviel wie "Autsch" bedeutet. Das Tragische und Traurige begleitet den Arbeiterverein aus dem Süden von Madrid, nicht nur, weil die Straße zum Stadion "Paseo de los Melancóicos" heißt. Wer einen Atlético-Fan trifft und ihm sagt, dass man aus Deutschland kommt, der hört sofort einen Klage-Laut und ein "Schworsenbeck". Georg Katsche Schwarzenbeck, der 1974 Atléticos ersten Landesmeister-Triumph verhinderte, weil er in der 120. Minute für den FC Bayern mit einem Verzweiflungsschuss traf. Seitdem hat Atlético zwei weitere Champions-League-Finals verloren, beide gegen Real Madrid, das erste 2014, das zweite im vergangenen Jahr.

Atlético spielte nach dem Genickschlag von Benzema noch 45 Minuten weiter, als bräuchte das Team nur noch ein Tor, die Spieler warfen sich in jeden Zweikampf, hatten noch zwei Riesen-Chancen zum Tor. Aber Real Madrid wehrte alles ab. Es gab am Ende keinen Zweifel, dass die bessere Mannschaft ins Finale von Cardiff eingezogen ist. Und trotzdem ergaben sich die Zuschauer nicht der todsicheren Niederlage sondern feierten weiter ihre Mannschaft.

Die Fans schrauben die Sitzschalen ab

"Zu kämpfen war das Mindeste, was wir diesem tollen Publikum schuldig waren", sagte Gabi. Nach dem Schlusspfiff schraubten die Fans die Sitzschalen ab und reckten sie wie Pokale in die Höhe. Atlético war aus dem Wettbewerb ausgeschieden, aber Spieler, Trainer und Fans zelebrierten die Größe des Moments. Niemand wollte nach Hause gehen, die Mannschaft musste nochmal aus der Kabine aufs Spielfeld kommen, um sich feiern zu lassen.

Im kommenden Jahr wird Atlético in ein Stadion am Rande der Stadt umziehen. "Metropolitano" wird es heißen, es war mal als Olympiastadion gedacht, aber die Stadt scheiterte mit diversen Bewerbungsversuchen. Ob der Trainer da noch Simeone sein wird? Der Argentinier hat seinen ursprünglich bis 2020 laufenden Vertrag bis 2018 verkürzen lassen, hat aber immer betont, dass er mit Atlético noch ins neue Stadion einziehen wolle. "Wir haben eine große Zukunft", sagte Simeone: "Die Emotionen werden wandern. Die Leute, die heute im Stadion waren, werden auch im Metropolitano sein. Die Leidenschaft, der Enthusiasmus, der Wunsch nach Erfolg wird der gleiche sein." Das sei bei Atlético nicht verhandelbar.

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