Caster Semenya bei Olympia:Im Fall Semenya ist die Leichtathletik ratlos

Athletics - Olympics: Day 15

Da lächelt sie sogar: Caster Semenya gewinnt Gold über 800 Meter.

(Foto: Getty Images)

Die Debatte, ob der Start der vermutlich intersexuellen Olympiasiegerin bei den Frauen fair ist, hält an. Caster Semenya plädiert für Einheit und Respekt.

Von Johannes Knuth, Rio de Janeiro

Und dann sah man Caster Semenya plötzlich so, wie man sie selten erlebt hatte in den vergangenen Wochen, Monaten, Jahren. Man kannte diese Regung ja kaum von ihr. Caster Semenya lächelte.

Semenya hatte gerade das olympische Finale über 800 Meter hinter sich gebracht. Mit ihren langen, ruhigen Schritten wirkte sie wie eine Joggende in einem Feld von Sprintern. 150 Meter vor dem Ziel zog sie davon, sie gewann in 1:55,28 Minuten, Landesrekord, Weltjahresbestzeit. Die Verfolger plumpsten erschöpft ins Ziel. Semenya beglückwünschte die Geschlagenen, sie wirkte nicht so, als habe sie gerade einen nationalen Rekord in ihren Sport gemeißelt. Vor allem aber schien sie froh darüber zu sein, ihren Sieg feiern zu können: Mit einer Ehrenrunde und Siegerehrung, wie alle anderen auch.

Man weiß nicht, ob Caster Semenya, 25, aus Südafrika, das alles einfach an sich abperlen lässt, wie sie stets beteuert: Dass die Fachwelt seit 2009 diskutiert, ob sie eine Frau sei oder doch ein Mann, als sie in Berlin als 18-Jährige in die Leichtathletik hineinplatzte und Weltmeisterin wurde, drahtig, burschikos, tiefe Stimme. Dass der Weltverband IAAF ihr Geschlecht untersuchen ließ, sie sperrte und dann wieder bei den Frauen starten ließ - obwohl sie eigentlich intersexuell sei, wie Medien berichteten, weil ihr Körper mehr Testosteron produziere als bei Frauen üblich. Es war ein unwürdiges Theater, das ihr jede Freude an ihrem Titel nahm.

"Excuse me, my friend"

Nein, Semenya hat sich nie gegen das Gerede gestemmt, auch nicht, als die IAAF vor fünf Jahren mit einer neuen Regel verfügte, dass Athleten ihren Testosteronspiegel unter einen bestimmten Grenzwert drücken müssen, wenn sie bei den Frauen starten wollen. Seitdem waren Semenyas Leistungen eingebrochen, sie blühten erst wieder auf, als der Internationale Sportgerichtshof Cas den Paragrafen im Vorjahr stilllegte.

"Der Fokus hier lag nur auf dem Rennen, auf nichts anderem", sagte Semenya in Rio. Nur einmal legte sich Zorn in ihre Stimme, als ein Reporter sie fragte, ob die IAAF ihr eine Medikamenten-Kur aufgezwungen hatte, damit sie bei den Frauen starten dürfe. "Excuse me, my friend", sagte Semenya, "heute Abend geht es um unser Rennen. Dankeschön."

IAAF-Präsident Coe wirkt ratlos

So einfach wird der Sport diese Debatte freilich nicht los. Semenya erinnerte ja nochmals daran, dass in Rio erneut zwei Welten aufeinanderprallten: Da eine Minderheit von Menschen, die an Olympia teilhaben wollen, mit den Gaben, die ihnen die Natur mitgab. Dort der Sport, der alles klar vermisst, der trennen muss zwischen Siegern und Verlierern, Mann und Frau, der Minderheiten integrieren muss, ohne seinen Wettkämpfen die Vergleichbarkeit zu nehmen.

Als IAAF-Präsident Sebastian Coe nach Semenya befragt wurde, wirkte er ein wenig ratlos. Man habe bis zum kommenden Jahr Zeit, neue Erkenntnisse zu sammeln und die besten Experten zusammengezogen, um eine Lösung zu finden. Der Sportgerichtshof hat der IAAF bis 2017 Zeit gewährt, um den stillgelegten Testosteron-Paragrafen wissenschaftlich zu begründen, ansonsten wird er abgeschafft. Mehr könne und wolle er nicht sagen, so Coe.

Semenya liebt den Wettkampf

Bis es so weit ist, wird der Sport weiter vor dem kniffeligen, vielleicht unlösbaren Konflikt stehen, die Regeln des Wettbewerbs zu schützen, ohne die Rechte einer kleinen Minderheit zu vergessen. Semenya hatte am Wochenende dazu ihre eigene Meinung, die sie in eine allgemeine Botschaft packte. Sie plädierte dafür, die Athleten nicht in vorgeschriebene Kategorien zu pressen. "Es geht darum, einander zu lieben, nicht zu schauen, wie jemand aussieht, spricht, läuft, ob er muskulös ist oder nicht. Geht raus und habt Spaß. Habt so viel Spaß wie möglich im Training, erreicht so viel, wie ihr erreichen könnt. Das ist alles, was ich sagen kann."

Selbst als sie über das Rennen redete, das in Gewinner und Verlierer trennt, klang das so, als suche Semenya nach Gemeinsamkeit, Einheit. "Heute haben drei Afrikanerinnen gewonnen, aber das fordert die Europäer, Asiaten, Amerikaner auf, noch besser zu werden", sagte sie: "Ich liebe diesen Wettkampf. Jeder da draußen ist einfach großartig." Semenya wurde dann noch gefragt, ob sie tatsächlich eine glücklichere Person sei als vor vier Jahren oder gar sieben. Sie lächelte. "Natürlich", sagte sie, "das ist halt so, wenn du heiratest, wie ich zuletzt."

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