Carlo Ancelotti bei Real Madrid:Jenseits von Mourinho

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Mit der Ruhe eines Mannes, der schon viel erlebt hat: Carlo Ancelotti trainiert Real Madrid sehr bedacht. (Foto: dpa)

Der stille Carlo Ancelotti hat bei Real Madrid alle verblüfft. Seit der Stoiker aus Italien die Kommandos gibt, ist von der ständigen Polemik seines Vorgängers José Mourinho nicht mehr viel übrig - Schalke muss an diesem Abend einen gefestigten, taktisch bestens eingestellten Gegner fürchten.

Von Oliver Meiler, Barcelona

Am Spielfeldrand wirkt er oft leidenschaftslos, mal hat er die Hände in den Hosentaschen, mal bläst er ein bisschen die Backen auf. Carlo Ancelottis Ruhe neigt ins Phlegmatische. Je besser sein Team spielt, desto ruhiger wird der 54-jährige Italiener. Dann scheint dem Raucher auch die Zigarette nicht zu fehlen, die er in angespannteren Momenten mit einem Kaugummi zu kompensieren sucht. Und es spielt gerade sehr gut, sein Team, so gut wie seit zwei Jahren nicht mehr.

Seit letztem Wochenende ist Real Madrid alleiniger spanischer Tabellenführer mit drei Punkten Vorsprung auf die Konkurrenz - erstmals wieder nach 20 Monaten. Vor dem Achtelfinal-Hinspiel in der Champions League gegen Schalke 04 hängt wieder eine Aura der Souveränität über dem Verein, ein Hauch alter und eleganter Selbstsicherheit. Man fühlt sich nun plötzlich zu allem fähig, sogar zum Triple. Mit "Carletto", dem netten Trainer.

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Natürlich gibt es in Madrid noch immer Nostalgiker, die dem Vorgänger José Mourinho nachtrauern und dessen Kapriolen und subversiv inszenierten Polemiken vermissen. Es war ja auch eine aufregende Zeit. Aber die Nostalgiker sind weniger geworden. Der Auftritt des stichelnden, ständig lamentierenden "Mou" passte ästhetisch nie wirklich zu Real.

In seiner glorreichen Geschichte schwebte der Verein meistens über den Niederungen des Tagesgeschäfts, unbeeindruckt von missliebigen Schiedsrichter-Entscheidungen und angeblichen Verschwörungen. Und diese Leichtigkeit machte einen schönen Teil der Eleganz aus, von der Klasse der "Institution", wie man in Spanien Klubs mit Tradition und Kultur nennt. Mourinho brach den Stil. Er machte Lärm, oft um nicht viel.

Die Verpflichtung Ancelottis im letzten Sommer sollte der schnellen Restauration dienen. Als "Pacificador" wurde er angekündigt, als "Friedensstifter" also, der die vielen Risse am Palast der Königlichen kitten würde. Weil er so sympathisch und gleichmütig rüberkam, nannte man ihn auch den "italienischen del Bosque", einen stilistischen Wiedergänger des spanischen Nationaltrainers. Ancelotti traute man zu, dass er mit seiner Sozialkompetenz ein Starensemble mit vielen ausgeprägten Egos führen könne.

Er war ja selber auch einmal ein Spielerstar gewesen. Gecoacht hatte Ancelotti schon den AC Mailand, den FC Chelsea, Paris Saint-Germain. Er bestand unter so eigenwilligen Präsidenten wie Silvio Berlusconi und Roman Abramowitsch. Er schien prädestiniert zu sein für den Job bei Real Madrid. Dennoch mutete seine Anstellung in den Augen vieler "Madridistas" irgendwie unglamourös an, einen Tick zu ambitionslos vielleicht.

Zunächst sah es so auch aus, als sollten die Skeptiker Recht bekommen. Ancelotti versuchte, das Spiel der Madrilenen, das sein Vorgänger ganz aufs schnelle Kontern ausgerichtet hatte, neu zu justieren. Er versuchte, dem Spiel mehr Gleichgewicht zu geben, mehr Kontrolle im Mittelfeld, mehr Ballbesitz, wie das in Spanien zur sakrosankten Tugend geworden ist.

Das verwirrte die Spieler am Anfang. Nach Mourinhos Lehrbuch hatte das Mittelfeld nur als Abschussrampe gedient, Ancelotti wollte nun plötzlich Tempo rausnehmen, das Zentrum polstern und er trug allen Akteuren auf, auch zu verteidigen, ein bisschen italienische Schule eben. Real verlor in der ersten Phase der Meisterschaft auch Spiele gegen kleinere Teams.

Und es verlor den ersten Clásico im Oktober, auswärts in Barcelona, nach einem konfusen, ängstlichen Auftritt. Ancelotti hatte den Innenverteidiger Sergio Ramos ins Mittelfeld beordert. In Madrid war man ernüchtert. "Ancelotti macht Real klein", titelte AS auf der Frontseite - die schlimmste Sentenz. Man sprach schon von "Fiasko" und "Fehlbesetzung".

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Seitdem aber verlor Real nie mehr, weder in der Liga noch in Pokal oder Champions League. Es sind nun schon 25 Spiele ohne Niederlage hintereinander. Vor Ancelotti war erst einmal einem Trainer eine noch längere Serie gelungen: dem Holländer Leo Beenhakker, in den fernen Achtzigern. Und nur zwei Mal in der Geschichte startete der Verein besser in die Saison als diesmal. Seit Beginn des neuen Jahres gewann Real in der Meisterschaft sieben von acht Spielen, schoss 22 Tore, kassierte nur drei und spielte sechs Mal zu Null.

Zuletzt siegte man auch ohne Cristiano Ronaldo, den Weltfußballer, der nach seiner Sperre gegen Schalke wieder mitmacht. Es hat also den Anschein, als habe es Ancelotti tatsächlich geschafft, das Team zu stabilisieren. Balance ist sein Mantra. Spektakulär ist das Spiel Reals selten, doch es sitzt, es wirkt gefestigt. Dafür sorgt ein Duo im Mittelfeld: Der Kroate Luka Modric und der Spanier Xabi Alonso geben auf dem Platz die intelligenten Statthalter des Trainers.

Man träumt nun also wieder von der "Décima", dem Mythos, dem zehnten Gewinn der Champions League. Seit 2002 scheitert Real auf der großen Bühne. "Die ,Décima' ist eine Obsession", sagte Ancelotti vor der Abreise nach Gelsenkirchen, "seit ich hier bin, höre ich dieses Wort jeden Tag. Das motiviert uns sehr." Torwart Iker Casillas, der in der Liga wie unter Mourinho nur Ersatz ist und dafür in der Königsklasse und im Pokal spielen darf, erzählt bereits vom Triple. Er ist seit 862 Minuten ungeschlagen.

Plötzlich scheint wieder alles möglich. Es ist auch wieder stiller geworden um Real Madrid. Die alten Polemiken sind verklungen, auch jene aus der Umkleidekabine, die von traurigen oder verärgerten Spielern kündeten, von scheinbar unterbezahlten und offensichtlich unterbeschäftigten. Ancelotti mag es harmonisch, er redet viel mit den Spielern: "Das sind alles erwachsene Männer, viele sind Väter und Ehemänner", sagt er, "die brauchen keinen Feldwebel." Es geht auch ohne Lärm, vielleicht geht es ohne Lärm sogar viel besser.

© SZ vom 26.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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