BVB zu Gast in Madrid:Real hadert mit dem großen Ganzen

In Madrid wird Reals Revanche gegen Dortmund bereits zum ersten Finale der Saison stilisiert. Die ähnliche Spielweise der Teams macht Trainer José Mourinho bewusst, dass die Entscheidung über den Kampf fallen könnte. Zudem steht die Wahl des Weltfußballers an - und wirft die Frage auf, warum Real kaum eigene Talente hat.

Oliver Meiler, Barcelona

Jose Mourinho

José Mourinho und seine Spieler Mesut Özil und Sergio Ramos (von li.) stehen vor dem Heimspiel gegen Borussia Dortmund unter großem Druck.

(Foto: AP)

Noch hallen die hämischen Titel nach. "Kaputt Madrid", schrieb zum Beispiel Mundo Deportivo groß über die erste Seite nach Reals 1:2-Niederlage vor zwei Wochen in Dortmund, und die Zeitung gab allen Borussen pauschal die Höchstzahl an Wertungssternen: drei. Natürlich muss man dazu sagen, dass diese Sportzeitung in Barcelona gemacht wird und getränkt ist von der ewigen Rivalität zwischen Barça und Real.

Doch auch Marca, das mediale Pendant aus Madrid, sah beim BVB "elf Gladiatoren, die alle immer rennen und bereit sind für die Schlacht". Im Lob für die Dortmunder schwang die Kritik an den Königlichen mit, die nicht immer den Eindruck erwecken, als animiere sie die Zugehörigkeit zu diesem glorreichen Verein zu besonderer Kampfeslust. Jedenfalls nicht alle.

Doch nun, vor dem Rückspiel gegen den deutschen Meister, gehört die Schmach ausgewetzt. Im "Final" an diesem Dienstagabend im Santiago Bernabéu soll alles anders sein - so nennen sie in Spanien das vierte Spiel der beiden Favoriten in der sogenannten "Todesgruppe": ein vorgezogenes "Final". Überrascht war man bei Real nicht über die starke Vorstellung der Dortmunder im Hinspiel. Niemand hatte sie unterschätzt, schon gar nicht José Mourinho, der Real-Trainer, der sonst geizt mit Elogen an die Gegner.

Nach der Auslosung hatte er gesagt, in der Gruppe fürchte er keine Mannschaft mehr als den BVB. Der Respekt rührt wohl daher, dass Jürgen Klopp eine ähnliche Spielphilosophie lehrt wie Mourinho selbst: Sie fußt auf einem lawinenartigen, schnellen Konterspiel, einem furiosen Umschalten. Tempo Teufel eben, und immer alles vertikal.

Wahrscheinlich gibt es derzeit keine anderen Teams in Europa, die das Mittelfeld schneller überwinden. Das "Finale" in Madrid, das Real wohl ohne den verletzten Deutschen Sami Khedira bestreiten muss, während BVB-Kapitän Sebastian Kehl nach Nasenbein-Anbruch eventuell mit Gesichtsmaske spielt - es entscheidet also auch ein bisschen über die Avantgarde in dieser Fußball-philosophischen Schule.

Die Deutungshoheit soll diesmal aber auch über den Kampf führen. Als Vorbild gilt Sergio Ramos, der Andalusier in Madrid. Seit bald zwei Wochen, erfuhr man jetzt, hat der Verteidiger kaum mehr mittrainiert. Er erhält Einzelbehandlungen in der medizinischen Abteilung des Vereins, spielt aber trotzdem jede Partie, als machten ihm die Schmerzen in der Lendengegend und am Gesäß beim Grätschen und Springen nichts aus. Seine Ärzte sagen, Ramos halte zehn Mal mehr Schmerzen aus "als ein normaler Mensch". Noch ein Gladiator also, geht wohl nicht anders. Denn Reals Abwehr beklagt namhafte Absenzen. Dem besorgten Mourinho sagte Ramos, mit ihm könne man immer rechnen, er ruhe sich nur im Sommer am Strand aus.

Barças beste Fußballer stammen aus dem eigenen Nachwuchs

Mourinho hätte durchaus noch mehr Gründe zur Zufriedenheit. In der Meisterschaft ist sein Team nach harzigem Start schon Dritter. Zwar immer noch acht Punkte hinter Barcelona, zuletzt aber stets tor- und siegreich. Am Wochenende gelang Mourinho gegen Saragossa der 100. Sieg in insgesamt 133 Spielen mit Real. Nie zuvor in der Klubgeschichte schaffte ein Coach diese Marke so schnell. Auch das Torverhältnis lässt sich sehen - 359:113.

Seine Spieler erhalten viel internationale Anerkennung. Von den 23 Fußballern, die es in diesem Jahr auf die "Shortlist" für den Ballon d' Or gebracht haben, die Auszeichnung des Weltfußballers 2012, sind sechs bei Real angestellt: die Spanier Iker Casillas, Ramos und Xabi Alonso, der Deutsche Mesut Özil, der Franzose Karim Benzema und der Portugiese Cristiano Ronaldo. Sechs! Das ist sogar eine Nominierung mehr als Barça vorweisen kann, auch kein anderer Verein hat mehr. Bei Real findet man, dass es nach dem spanischen Meistertitel 2012 bei der Wahl wieder mal Zeit für einen Madridista sei - am ehesten wohl für den zugereisten Portugiesen Ronaldo.

Von den sechs Nominierten wurde Torhüter Casillas bei Real groß, und das ist gerade ein Debattenthema in Spanien, zumal Barças fünf Berufene alle aus dem eigenen Nachwuchs stammen: Busquets, Messi, Xavi, Iniesta und Piqué - alle gehörten schon als Teenager zum Verein. Mourinho beklagt sich derzeit öffentlich und laut, dass ihm Reals Nachwuchsabteilung nicht genügend zuarbeite.

Dem Trainer des B-Teams, Alberto Toril, wirft er etwa vor, dass er den jungen Spieler Nacho Fernández nicht als Außenverteidiger einsetze, wie ihm das lieb wäre, sondern innen. Das mag wie eine Bagatelle anmuten, und tatsächlich kennen wohl nur wenige Spanier die Herren Toril und Nacho. Doch Mourinhos Sticheleien füllen die Sportgazetten.

Real Madrid kauft nun mal lieber teuer große Namen ein, während man in Barcelona die "Cantera", die Nachwuchsakademie, zur Uni des Fußballs stilisiert hat. 16 Spieler im gegenwärtigen Kader Barças haben den Sport im eigenen Verein erlernt, bei Real sind es nur sieben. Für ihr prominentes Hors-sol-Team gibt Madrid selbst gute Eigengewächse ab: Juan Mata etwa, heute beim FC Chelsea, wurde früh weitergereicht, so auch Roberto Soldado, Juanfran Torres und Alvaro Negredo. Sie alle sind heute spanische Nationalspieler.

Im Hintergrund geht es bei Real also wieder mal um die großen Fragen, um Vereinskultur, um Philosophie. Nicht auszudenken, wie grundsätzlich die Diskussionen werden würden, wenn auch die Heimpartie gegen die Borussen verloren ginge.

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