BVB:Warum ich klatsche, wenn Hummels den Ball berührt

Borussia Dortmund - VfL Wolfsburg

Auch mit dem Kopf stark: Mats Hummels

(Foto: dpa)

Ein Plädoyer von der Dortmunder Tribüne für Mats Hummels. Und auch ein bisschen für Mario Götze.

Von Hans Leyendecker, BVB-Fan seit 60 Jahren

Ein Kapitän, da sind sich Lexika und solide Wörterbücher einig, ist entweder der Kommandant eines Schiffes, der Kommandant eines Flugzeugs oder der Anführer einer Sportmannschaft: "Capitaneus" sagen Lateiner - das meint "Anführer", aber auch "durch Größe hervorstechend". - "Caput" ist der Kopf, das Haupt.

Seit Einführung der Bundesliga im Jahr 1963 hat Borussia Dortmund 17 Mannschaftskapitäne gehabt. Für einige - wie Sebastian Kehl, Stefan Reuter, Michael Zorc oder Willi Burgsmüller - war der Abschied vom Amt fast gleichbedeutend mit dem Karriereende. Andere gingen danach nach Herford oder zum 1. FC Nürnberg oder sie bekamen wie Christian Wörns (Kapitän 2004-2008) kein Vertragsangebot mehr und hörten auf.

Es ist schon etwas Besonderes, dass der Kapitän Mats Hummels, der möglicherweise in der Form seines Lebens ist und im Wortsinn den Tabellenzweiten anführt, überlegt, zum FC Bayern zu gehen. Capitano!

Der Gram der Fans ist verständlich. Wer das Kapitänsamt angenommen hat, macht sich nicht einfach davon. Das gehört sich nicht. Oder kann sich jemand vorstellen, dass sich Uwe Seeler davongemacht hätte? Nicht mal Inter Mailand konnte ihn locken. Und Clemens Fritz, der wackere Bremer, verlängerte jetzt um mindestens ein Jahr.

Beim Heimspiel des BVB gegen den VfL Wolfsburg gab es bei der Nennung des Namens Hummels Pfiffe. Das war nicht überraschend. Aber die Spruchbänder, die dann hochgehalten wurden, gaben die Lage nicht richtig wieder: "Der Kapitän geht von Bord- am besten sofort!" Das war ein falsches Bild. Der BVB ist kein Schiff, das zu sinken droht und Hummels ist nun wirklich kein Kapitän Schettino, der den Dampfer auf die Seite legte und ging. Nervig, unangenehm waren dann die Pfiffe, die von der Südtribüne bei jeder Ballberührung von Hummels kamen.

Ich bin schon lange dabei, war früher Zuschauer auf der Süd-, sitze jetzt mit Frau und Dauerkarte auf der Westtribüne und ungefähr ab der dritten Ballberührung von Hummels habe ich immer geklatscht. Im Voraus, im Nachhinein - jedes Mal, wenn er den verdammten Ball bekam, oder abgespielt hat, habe ich geklatscht. Insgesamt hatte er 123 Ballberührungen. Liebe Süd, Ihr glaubt gar nicht, wie anstrengend Ihr sein könnt.

Hummels hat dem BVB manches zu verdanken, der Verein aber auch ganz viel Hummels. Da kotzt man nicht ins eigene Wohnzimmer, wenn einer sich mal überlegt, noch was anderes zu machen. Die Schmährufe nach dem Spiel (Hurensohn! Raus!) waren völlig daneben. Man möchte mit den Leuten, die so etwas rufen, nicht im selben Verein sein. Solchen Hass, diese Gesten kennt man von den Neonazis aus Dortmund-Dorstfeld.

In Dortmund pfeift man die eigenen Leute nicht aus

Bei allem Event-Gedöns, das heute den Fußball zu oft bestimmt, gab es in Dortmund doch ein paar Selbstverständlichkeiten: Man pfeift, anders als in Schalke, die eigenen Leute nicht aus. Treue zum Verein ist der Kitt, der alles zusammenhält. Und man führt, anders als es die Canstatter Fans mal mit dem VfB Stuttgart gemacht haben, die eigene Mannschaft nicht vor.

Selbst in der vorigen Saison, als die fünf Weltmeister zum Teil mit Wampe zurückkamen und so high waren, dass sie nur noch schlecht spielten, obwohl die meisten von ihnen in Brasilien keine Sekunde auf dem Platz gestanden waren, wurde nur einmal gepfiffen: Nach der Niederlage gegen Augsburg. Nicht während des Spiels.

Spieler kommen und gehen. Das ist so. Sie sind oft nur Ich AGs, nicht der Verein. Aber die jungen Leute auf der Südtribüne, die immer Westfalenstadion sagen, als wäre schon das Wort ein Glaubensbekenntnis, sind auch nicht der Verein. Man wächst langsam zusammen, das ist so wie in einer Ehe.

Um jetzt nicht missverstanden zu werden: Als Hummels der Welt erklärt hat, er könne nicht schlafen, weil er nicht wisse, was er machen werde, war ich ernsthaft besorgt. Wie der Mats sich quält, was da wohl ist? Man darf sich ja noch sorgen. Ernsthaft bin ich vorher nie auf die Idee gekommen, es könne um Bayern München gehen. Barcelona oder Real, Manchester City, Manchester United oder der FC Liverpool - das schienen die Alternativen zu sein. Oder: China?

Vielleicht, dachte ich, geht es dem Hummels, wie es heute den jungen Leuten so geht. Wer von denen nicht mindestens ein Jahr in Australien, in Neuseeland, im Jemen oder in Hongkong war und dort ein Netzwerk aufgebaut hat, gilt schon als Provinzler. Neue Länder, andere Kulturen, andere Sprachen.

Aber doch nicht die Bayern, die einem wie Hummels nicht viel mehr zahlen als der BVB. Und Titel? Lewandowski ist mit dem BVB ins Endspiel der Champions League gekommen. Mit den Bayern war für ihn im Halbfinale wieder Schluss. Und sind ganz viele Titel wirklich alles? Hummels ist zweimal Deutscher Meister geworden, bald wird er zweimal Pokalsieger sein und Weltmeister ist er auch schon. Was sollen da Schalker sagen? In Gelsenkirchen kann sich kaum noch jemand an die letzte deutsche Meisterschaft erinnern. Fast sechzig Jahre ist die her.

Andererseits: Wer rund sechs Jahrzehnte beim BVB dabei ist, hat schon Sonderbares erlebt. Manches wird im Alter schöner, weil man merkwürdigerweise emotionaler und kindlicher beim Zuschauen wird. Anderes erscheint schon seltsam.

Als Götze zu Bayern ging, war er noch jung

Im Juni 1956 wurde ich Anhänger des BVB. Damals gewann die Mannschaft im Endspiel um die Meisterschaft gegen den Karlsruher SC mit 4:2. Die Spieler bekamen monatlich ein Vertragshonorar von 400 Mark und als Lohn für die Meisterschaft wurde jedem von ihnen ein VW versprochen, den keiner bekam. Dann gab es Auf und Abs. Anfang der siebziger Jahre reckte die Mannschaft den Stifts-Hallenpokal in die Höhe. Wie tief war der BVB gesunken?

Die Führung des Vereins - diese Anmerkung gilt ausdrücklich nicht für Reinhard Rauball - war nicht immer erstklassig. Manchmal war sie nur drittklassig. Als sich die Bayern mit Robert Schwan und Mönchengladbach mit Helmut Grashoff hauptamtliche Manager zulegten, dilettierte der BVB. Der Präsident kam von Hoesch oder aus dem Bergbau und da war immer Krise. Bei einem Heimspiel 1968 gegen den KSC kamen nur 8993 Zuschauer und die erlebten, wie Lothar Emmerich als erster Borusse sein 100. Bundesligator schoss. Ein Jahr später wurde er für 175 000 Mark an den AC Beerschot Antwerpen verkauft. Dabei wollte er in Dortmund bleiben: "Ich bin doch ein Dortmunder Junge." Aber der Verein war fast pleite und brauchte das Emmerich-Geld.

Viele hat man in diesen sechzig Jahren kommen und gehen sehen. Amoroso! 25 Millionen Euro Ablöse! Was für ein Wahnsinn! Den haben die Bayern nicht gewollt, was einiges über Amoroso sagt. Man weiß ja, dass die Bayern ansonsten der Konkurrenz gern die besten Spieler wegschnappen. Als Bayer Leverkusen stark war, wechselte erst Robert Kovac, dann wechselten Michael Ballack und Zé Roberto zu den Bayern und schließlich ging auch Lucio. Dann kamen die Bremer dran: Valérien Ismael, Miroslav Klose und Tim Borwowski. Diese Liste ließe sich fortsetzen, aber so sind die Bayern.

Soll jetzt Mario Götze, der in Dortmund groß geworden ist, von den Bayern zurückgeholt werden? Ich habe nie erlebt, dass einem Ehemaligen eine solche Verachtung in Dortmund entgegenschlug wie Mario Götze. Als er erstmals zurückkam, hat das Stadion ein ganz tiefes Buuuh gerufen und ich war über mich selbst irritiert, als ich merkte, dass ich mitbuhte.

Aber Götze war noch verdammt jung, als er den Fehler machte, zu den Bayern zu wechseln. 21 Jahre. Mein ältester Enkel wird in diesem Jahr 21 Jahre alt und dem würde ich fast alles verzeihen. Warum nicht auch einem wie Götze? Und was Eltern oder Spielerfrauen richtig oder falsch machen, geht mich nichts an. Götze hat sich für viel Geld an Guardiola verkauft und das hat ihn nicht wirklich weitergebracht. Lewandowski, der auch ging, war immer anders. Der geborene Söldner. Einer, der für jeden Verein, der ihn gut bezahlt, bis zum Letzten kämpft.

Götze ist mehr Borusse als Hummels, der 2008 von Bayern nach Dortmund kam. Hummels ist zwar in Bergisch Gladbach geboren, aber er hat 13 Jahre für die Bayern gespielt. Götze kickte seit dem neunten Lebensjahr beim BVB. Was gegen seine Rückkehr sprechen könnte, ist nicht sein Verhalten beim Wechsel, diese Heuchelei war wirklich nicht in Ordnung, sondern die Frage, ob er in die Mannschaft passen würde. Vielleicht ist er für den BVB zu langsam. Um diese Frage zu beantworten, braucht man aber keine Expertise von Fans.

Ansonsten wäre Hummels nicht so klug und reflektiert wie er wirkt, wenn er wechseln würde. Man wird in Dortmund Legende, wenn man bleibt, wie Dede oder Zorc geblieben sind. Und Legende sein bei großem Verdienst, das ist schon was.

An die von der Süd: Bitte pfeift nicht in Frankfurt oder beim Spiel gegen den 1. FC Köln, wenn Hummels den Ball hat. Dann muss ich jedes Mal wieder klatschen und das bin ich leid.

An Hummels: Sag den Bayern ab. Dann muss ich nicht klatschen, jedenfalls nicht, wenn es sich nicht wirklich lohnt.

Hans Leyendecker, 66, Ressortleiter Investigative Recherche bei der SZ, ist seit 60 Jahren Anhänger des BVB. Er hat diesen Text nicht als Journalist, sondern als Alt-Borusse geschrieben.

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