BVB vor der Europa-League-Quali:Dortmund liebt den Tuchel-Stil

Friendly soccer - Borussia Dortmund vs Juventus Turin

Dreht den BVB auf Links: Thomas Tuchel.

(Foto: dpa)
  • Die Qualität des Dortmunder Kaders bringt Trainer Thomas Tuchel ins Schwärmen.
  • Unter dem neuen Coach finden die schwächelnden Akteure der vergangenen Saison zur Topform zurück.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Die Gefahr, dass Julian Weigl demnächst Kapitän bei Borussia Dortmund wird, besteht nach menschlichem Ermessen nicht. Aber ein Platz in der Startaufstellung im Europa-League-Qualifikationsspiel gegen den Wolfsberger AC wäre mindestens eine so große Überraschung wie die Überraschung vor einem Jahr - als Weigl, damals 18 Jahre alt, zum Spielführer der strauchelnden Münchner Löwen befördert wurde. Inzwischen ist er 19 - und steht vor dem nächsten Karrieresprung, weil Dortmunds neuer Trainer Thomas Tuchel mit ihm einiges vor zu haben scheint.

In München war es mit dem Kapitänsamt bald wieder vorbei. Nach nur zwei Spielen wurde Weigl bei einer spätabendlichen Zechtour mit drei Teamkollegen erwischt, so erzählt es jedenfalls die Legende; er soll dabei abfällig über die Sechziger gesprochen haben, was dem nächtlichen Taxifahrer, der das Quartett verpetzte, übel aufgestoßen sein soll. Denn der war Löwen-Fan.

Fünf Profis für die Sechser-Position

Die alten Geschichten sind jetzt weit weg, Weigl ist gerade dabei, eine neue zu schreiben. Dabei hatte ihn angesichts des Überangebots an Mittelfeldspielern im Borussen-Kader kaum jemand auch nur in der Nähe der spielenden Truppe erwartet. "Ein strategischer Typ" sei er, einer mit dem Blick und dem Timing für steile, aggressive Pässe, dieser Ruf eilte ihm zwar ein wenig voraus - aber auf der Sechser-Position konkurriert er nicht nur mit seinem Vorbild Sven Bender, der vor sechs Jahren ebenfalls von 1860 München zum BVB wechselte, sondern auch mit Ilkay Gündogan, Gonzalo Castro oder Nuri Sahin.

Sahin hat nach diversen Malaisen gerade erst wieder mit dem Training begonnen, Zugang Castro kann auf allen möglichen Positionen spielen, Gündogan sowieso - und Sven Bender hat in der Ära Klopp immer nur den rustikalen Abfangjäger geben können und spielerische Talente selten nachgewiesen. In dieser Melange aus Konkurrenten, die nicht oder nicht mehr auf seine spezielle Position festgelegt sind, könnte Weigl als Gewinner der ersten Vorbereitung unter Tuchel hervorgehen. Gut möglich, dass Weigl auch genau jener Spieler ist, mit dem der neue Trainer etwas beweisen könnte: Seht her, hier bringe ich einen Jungen groß raus, mit dem keiner gerechnet hat. Trainer mögen ja solche Signale ans Establishment im Kader - und Tuchel ist ernsthaft überzeugt von Weigl, den er als sein "Projekt" betrachtet.

Vielleicht bedarf es derlei taktischer Spielchen aber auch gar nicht. Bisher lief die Vorbereitung für Tuchel und seinen Kader geradezu sensationell. Die neuen, zum Teil unbekannten Trainingsinhalte des neuen Trainers haben bei vielen Profis in kürzester Zeit großen Anklang gefunden. Tuchels Detail-Versessenheit gleicht nach sieben Jahren mit dem Entertainer Klopp zumindest einem heftigen Kurswechsel. "Akribisch" heißt derzeit die Mode-Vokabel beim BVB. Dem mitunter faszinierenden Emotionsmenschen Jürgen Klopp konnte man vieles nachsagen - übertrieben penibles Vorgehen eher nicht.

Tuchel belebt die kriselnden Topspieler

Plötzlich ist beim BVB von "Ballbesitzfußball" die Rede, es wird über Feinmechanik wie die Fußstellung beim Pass und bei der Ballannahme diskutiert. Das alles hat derzeit offenbar den Reiz des Neuen. Vor allem die Hochbegabten im Kader finden das neue Reizklima anregend.

Ilkay Gündogan nutzt bereits die Gelegenheit, um dem schwarzgelben Anhang Versöhnliches mitzuteilen: Tuchels neuer Stil sei so prickelnd, dass er sich jetzt doch vorstellen könne, seinen Vertrag beim BVB für einen größeren Zeitraum zu verlängern. Mats Hummels schwärmt ebenso von dem neuen Zug, der durch die Truppe gehe. Und Marco Reus und Henrikh Mkhitaryan müssen gar nicht groß drüber reden: Wie Gündogan und Hummels präsentierten sie sich zuletzt in atemberaubend guter Form. Gerade das letzte Testspiel gegen den Champions-League-Finalisten Juventus Turin (2:0) hat dem Selbstbewusstsein gut getan.

Auch Tuchel wird derzeit von allen Seiten attestiert, er präsentiere sich lockerer und offener, als man ihn nach den Erkenntnissen aus seiner fünfjährigen Mainzer Zeit erwartet hatte. Nach der 1:2-Niederlage in Bochum, dem einzigen Schwächemoment in der Vorbereitung, soll der Neue allerdings für zwei Tage in eine gewisse Verbissenheit zurückgefallen sein.

Tuchel ist vom Kader verzückt

Nicht nur für die Spieler, von denen einige noch nie unter einem anderen Trainer als Klopp gearbeitet haben, ist gerade vieles neu. Auch für Tuchel ist es eine neue Erfahrung, mit dem geballten Talent des BVB-Kaders konfrontiert zu sein. Teure Spieler wie Mkhitaryan, Reus, Aubameyang, Kagawa oder Gündogan hat Tuchel noch nie trainiert. Kein Wunder, dass er manchmal fast jungenhaft ins Schwärmen gerät.

Im neuen Tuchel-Stil beansprucht der BVB mehr Ballbesitz, die Außenverteidiger sind gewagt offensiv platziert, das ganze Spiel bezieht die Flügel mehr ein. Unter Klopp galt die Devise, dass Fehlpässe keine Fehler sind, sondern eigentlich nur die Option eröffnen, den Ball sofort und überraschend zurück zu erobern und dadurch erst richtig gefährlich zu werden. Das mag tröstlich gewesen sein bei jedem Fehlpass. Tuchel setzt nun aber deutlich mehr auf den sauberen, gepflegten Spielzug.

Beim BVB hoffen sie, dass es Tuchels neuer Ansatz richten wird, deshalb blieb der Kader auch mehr oder weniger unverändert. Ein Hauch Guardiola wird in Dortmund gerade als ganz aufregend empfunden. Der Wolfsberger AC mag in diesem neuen, frischen Klima nicht wie ein bedrohlicher Gegner wirken, aber die Dortmunder wollen sich nicht täuschen lassen. Vergebene Torchancen und Abstimmungsprobleme in der Defensive gab's in den ersten Trainingswochen auch schon zu sehen.

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