BVB-Sieg in Stuttgart:Elan, Emotionen und ein Foul

VfB Stuttgart, Borussia Dortmund, Bundesliga

Am Ende oben auf: Der Dortmunder Henrikh Mkhitaryan über dem Stuttgarter Arthur Boka.

(Foto: dpa)

In einer packenden Partie verspielt der VfB Stuttgart ein 2:0 und geht als Verlierer vom Platz. Gegen immer stärkere Dortmunder lenkt ein ungeschickter Zweikampf von Verteidiger Niedermeier das Spiel in eine Richtung. Dann muss sich sogar der Schiedsrichter auswechseln.

Von Thomas Hummel

Es hatte einige Überraschungen gegeben in Stuttgart. Trotz der prekären Lage in der Tabelle hatte sich der Hauptsponsor Mercedes-Benz-Bank dazu entschlossen, den Vertrag mit dem VfB zu verlängern und auf rund sechs Millionen Euro jährlich zu erhöhen. Ein Vorstandschef kündigte sogar an, im Falle des Abstiegs die Mission Wiederaufstieg zusammen mit dem Klub angehen zu wollen, was durchaus als Warnung an die zweite Liga zu verstehen ist. Dann kam Huub Stevens mit seiner Aufstellung.

Dort fanden sich zwei Namen, die in dieser Saison noch nicht aufgetaucht waren. Carlos Curezo, 18 Jahre alt, spielte im Mittelfeld. Er war im Winter von Barcelona gekommen, allerdings vom kleinen ecuadorianischen Bruder der großen Katalanen, Barcelona SC Guayaquil. Außerdem spielte Daniel Didavi auf der Zehn, der die vergangenen Jahre wegen schweren Knieverletzungen ständig vor der Berufsunfähigkeit gestanden war. Er hatte sein bis dahin letztes Bundesligaspiel im Februar 2013 absolviert.

Die nächste Überraschung folgte nach dem Anpfiff. Oder war es keine Überraschung, dass Borussia Dortmund in den ersten 20 Minuten die Körperspannung eines Dauerlaufs bot? Hatte der BVB nicht schon die vergangenen vier Bundesligapartien vor einem Champions-League-Höhepunkt verloren? Die Stuttgarter nutzten die Dortmunder Schläfrigkeit schnell zu einem 2:0 - doch am Ende hieß es 2:3. Es war eine sehr bittere Niederlage für die Gastgeber, die mit 24 Punkten weiterhin auf dem vorletzten Tabellenplatz stehen und damit dem Abstieg immer näher rücken.

Die 60.000 Zuschauer sahen viel, sehr viel für ihr Eintrittsgeld. Furiose Stuttgarter zu Beginn, sich wehrende und zunehmend stärkere Dortmunder. Sie sahen die entscheidende Szene als der Verteidiger Georg Niedermeier den Stürmer Robert Lewandowski im Strafraum foulte, selbst die rote Karte sah und es Elfmeter für den BVB gab. Sie sahen einen verletzt vom Platz humpelten Schiedsrichter, drei Tore von Nationalspieler Marco Reus und am Ende in sich zusammensackende Profis des VfB.

"Wir haben die ersten Minuten richtig verschlafen. Aber das 0:2 war vielleicht ein Weckruf", erklärte Reus. Der VfB Torschütze Harnik hingegen sagte geknickt: "Wir haben eine unglaublich gute kämpferische Leistung gezeigt. Aber durch die rote Karte sind wir ziemlich ins Hintertreffen geraten."

Doch von vorne: In Gedanken offenbar schon in Madrid verlor Borussia Dortmund anfangs praktisch jeden Zweikampf, Oliver Kirch schubste den Ball so lasch über den Rasen, dass Christian Gentner dazwischen ging, BVB-Verteidiger Sokratis auswackelte und das 1:0 erzielte (9.).

Lewandowski lässt das Tor wackeln

Die Stuttgarter stellten sich allesamt in einer Zone zwischen 20 und 40 Meter vor dem eigenen Tor auf, wo sie ihre Gegenspieler anknurrten und mit einem zünftigen Biss in die Wade drohten. Diesen Eindruck musste man jedenfalls haben, so engagiert warfen sich die Gastgeber ins Getümmel. Einer der Ballgewinne führte nach 19 Minuten zu einem Konter über Ibrahima Traoré, der überlief Erik Durm und fand in der Mitte Martin Harnik - der zum 2:0 vollstreckte. Kurz darauf hatte Vedad Ibisevic sogar das dritte Tor auf dem Fuß, traf aber nur das Außennetz.

Vielleicht vernahmen die Dortmunder in diesem Moment das Knurren ihres Trainers Jürgen Klopp, der sich vor der Partie noch gegen den Verdacht verwahrt hatte, dass seine Elf vor dem Festbüffet in der Königsklasse wenig Lust auf den Bundesliga-Eintopf habe. Sie entschlossen sich nun, nicht kampflos unter zu gehen und nahmen bei sommerlichen 20 Grad den Kampf an. Erste Wege taten sich auf durch die Stuttgarter Zweikampf-Bande, einen davon nutzte Jonas Hofmann zu einem schönen Pass auf Marco Reus, der das 1:2 erzielte (30.). 60 Sekunden später hätte Henrikh Mkhitaryan den Ausgleich erzielen müssen, doch er traf freistehend nur die Zehenspitze des großartig reagierenden Sven Ulreich im VfB-Tor.

Es hatte sich tatsächlich die von den Stuttgarter Verantwortlichen herbeigesehnte Partie voller Körpereinsatz entwickelt, nachdem sich der VfB zuletzt in Nürnberg so zaghaft besiegen ließ. Die Zuschauer reagierten begeistert auf eine Fußballpartie mit Schwung, Elan und Emotionen. Nach der Pause wurde bald klar, dass die Beteiligten nicht vorhatten, das zu ändern.

Aubameyang bereitet das 3:2 vor

Nach kurzer Anlaufphase kam Robert Lewandowski zum ersten Mal in Schussposition und wuchtete den Ball im ICE-Tempo an den Pfosten, das Tornetz zitterte bestimmt zehn Minuten lang (54.). Allerdings versteckte sich auch der VfB nicht in der eigenen Hälfte - die Schwaben nutzten Ballgewinne weiterhin zu rasenden Kontern. Und dann kam dieser eine Zweikampf, der dieses zähe Ringen in eine Richtung lenkte.

Ein weiter Ball flog über die Abwehr des VfB hinweg, es gab ein Duell zwischen Lewandowski und Niedermeier, in dem der Stuttgarter Verteidiger staksig und steif wirkte wie ein Hydrant am Straßenrand. Niedermeier war ob seines aussichtslosen Unterfangens noch so ungeschickt, am Polen herumzuziehen und zu zerren, Lewandowski stürzte in den Rasen - Schiedsrichter Michael Weiner pfiff, gab Rot für Niedermeier und Elfmeter für Dortmund, den Marco Reus ganz sicher zum 2:2 verwandelte (68.).

Es war nicht nur die letzte Aktion von Niedermeier, sondern fast auch von Weiner. Der Schiedsrichter erlitt (ohne Einfluss eines Spielers) einen Achillessehnenriss und musste sich selbst auswechseln. Weiner hielt noch als Vierter Offizieller durch, was angesichts der Trainerbesetzung (Klopp! Stevens!) kein Spaß sein musste, soll danach sofort operiert worden sein. Sein Assistent Norbert Grudzinski leitete nun das Spiel.

Obwohl VfB-Trainer Huub Stevens während der Unterbrechung intensiv auf seine Spieler einredete, geriet seine Mannschaft immer stärker unter Druck. Ulreich konnte zuerst einen Freistoß von Reus über die Latte lenken, nach 83 Minuten sah er dem Ball zum dritten Mal hinterher ins Netz. Der eingewechselte Pierre-Emerick Aubameyang flitzte davon, legte wunderbar zurück und die sich in den Schuss stürzenden Stuttgarter lenkten den Schuss von Marco Reus unhaltbar ab. Die BVB-Fans jubelten und sangen: "Zweite Liga, Stuttgart ist dabei!"

Konnte sich der Gastgeber nun noch einmal aufraffen? Nur Sekunden nach dem 2:3 tauchte Marin Harnik plötzlich ganz frei im gegnerischen Strafraum auf und schoss erdenklich knapp am langen Eck vorbei. Doch auch sechs Minuten Nachspielzeit reichten dem VfB nicht, um noch einmal zurückzuschlagen. Der Nachmittag endete mit einer unangenehmen Überraschung für Stuttgart.

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