BVB-Sieg in der Nachspielzeit:Dortmund legt fulminantes Finish hin

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Aufmerksam, handlungsschnell, zielstrebig: Marco Reus (l.) erzielt das 1:0 für den BVB, nachdem Mkhitaryan (nicht im Bild) den Ball erobert hatte.

(Foto: Odd Andersen/AFP)

Von Javier Cáceres, Wolfsburg

Der VfL Wolfsburg hat im Jubiläumsspiel seines Trainers Dieter Hecking eine bittere, aber keineswegs unverdiente Niederlage hinnehmen müssen. Im 100. Bundesligaspiel unter der Ägide des niedersächsischen Fußball-Lehrers konnte der diesjährige Pokalsieger Wolfsburg durch einen schmeichelhaften Foulelfmeter an André Schürrle noch den Führungstreffer von Marco Reus (32. Minute) in der 89. Minute ausgleichen. Doch in der Nachspielzeit traf der eingewechselte Shinji Kagawa zum 2:1-Endstand - und machte damit ein spektakuläres Finish perfekt.

Die Dortmunder bestätigten damit ihre Ansprüche auf eine Rückkehr in die Champions League. Seit Samstagabend wissen sie, dass sie in diesem Kalenderjahr nicht mehr von einem Platz zu verdrängen sind, der die direkte Qualifikation für Europas Königsklasse verheißt. Sie sind überdies mit fünf Punkten Rückstand auf die Bayern die einzige Mannschaft, die das Team aus München in Sichtweite hat.

"Wir tun gut daran, nicht zu viel davon zu reden, die Bayern zu jagen", sagte Dortmunds Trainer Thomas Tuchel, dessen Team neun Punkte vor Platz drei liegt. Maßstab blieben die Mannschaften, die im vergangenen Jahr hinter den Bayern im vorderen Tabellendrittel gelandet waren. Zum Beispiel die Wolfsburger, die nun aber hinter Bayern, Dortmundern, Gladbachern und den Berlinern auf Platz 5 zurückgefallen sind. Und das dürften sich auch die Kicker der VW-Filiale anders vorgestellt haben. Vor allem vor 27 Wochen.

Zuletzt wirkten die Wolfsburger zu häufig ermattet

Seinerzeit feierten die Wolfsburger in einem Berliner Szene-Lokal am Ufer der Spree nicht nur den zweiten Pokalsieg der Vereinsgeschichte, sondern auch einen neuen Anspruch. Die Wolfsburger wollten sich als Jäger der Bayern profilieren, was man wenig später durch den Sieg im Supercup dokumentierte.

Zuletzt wirkten die Wolfsburger zu häufig ermattet - als litten sie unter den zahlreichen Emotionen, die den zweiten Teil des Jahres geprägt haben: Kevin de Bruynes Wechsel nach England; die Dieselaffäre der Muttergesellschaft Volkswagen; die depressive Stimmung in der Stadt, die die Mannschaft womöglich doch erreicht. Zumindest scheint sie nicht die mentale Stabilität zu besitzen, um in der absoluten Spitze agieren zu können.

In der Partie gegen die Dortmunder ließ sich das an zwei Szenen nachgerade exemplarisch ablesen: Die erste führte zur Dortmunder Führung, die zweite hingegen führte auf unerklärliche Weise nicht zum Ausgleich.

Das 0:1 fiel nämlich nach einem eklatanten Patzer von Mittelfeldspieler Josuha Guilavogui. Er war in der Mitte der eigenen Hälfte von Linksverteidiger Ricardo Rodriguez angespielt worden - Dortmunds Henrikh Mkhitaryan sprintete dazwischen und spitzelte den Ball auf Marco Reus, der Wolfsburgs Torwart Diego Benaglio umkurvte und einschob (32. Minute).

Die zweite Szene ereignete sich nach knapp einer Stunde. Dortmunds Torwart Roman Bürki spielte dem zur Pause eingewechselten Wolfsburger Mittelstürmer Bas Dost den Ball in den Fuß - doch das war nicht einmal das Schlimmste. Er machte Dost mit einem Ausfallschritt die so genannte kurze Torwartecke auf, gab Dost aber damit so viel Zeit zum Nachdenken, dass der Niederländer versagte. Bürki parierte den Schuss des Niederländers, der nachher sagte: "Das ist ein Scheißgefühl. Ich muss zu einhundert Prozent das 1:1 machen. Den Ball muss ich einfach hart rein schießen, das kann ich." Normalerweise.

Dortmund bestimmt die erste Halbzeit nach Belieben

Dass die Wolfsburger zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch die Option hatten, auszugleichen, war Teil der unerklärlichen Volten einer letztlich abwechslungsreichen Partie. Die Dortmunder hatten das Geschehen in der ersten Halbzeit fast nach Belieben monopolisiert und den Wolfsburgern bereits in den ersten Minuten der Partie reichlich Schockmomente bereitet. Sie kamen gegen eine neu formierte Wolfsburger Abwehr (der Schweizer Timm Klose spielte für den gesperrten Innenverteidiger Dante an der Seite von Naldo) zu spektakulären Chancen - zunächst über Freistöße des Dortmunder Mittelfeld-Ideologen Ilkay Gündogan.

Nach nur zwei Minuten zirkelte Gündogan selbst einen direkten Freistoß aus gut 20 Metern an die Querlatte. Kurz darauf flankte Gündogan einen Freistoß auf den Kopf von Lukas Piszczek; Torwart Diego Benaglio lenkte sicherheitshalber zur Ecke ab. In der 5. Minute spürte Benaglio wieder das ungemütliche Geräusch des Balles an der Querlatte: Sven Bender, der an der Seite von Neven Subotic in der Dortmunder Innenverteidigung Mats Hummels und Sokratis vertrat, jagte das Gerät an den Balken.

Die Wolfsburger fanden hingegen in der ersten Hälfte so gut wie gar nicht statt. Der erste nennenswerte Schuss aufs Tor der Gäste kam vom ansonsten dramatisch enttäuschenden André Schürrle - nach gut einer halben Stunde. Wirklich von Glück reden konnten die Dortmunder aber erst kurz danach, als Mkhitaryan nach einer Ecke einen Kopfball von Naldo von der Linie putzte.

Dortmund kontert aber ein letztes Mal

In der zweiten Halbzeit gab es, das ja, ein Aufbäumen der Wolfsburger. Sie kehrten ihren Stolz hervor - angeführt vom besonders rebellischen Julian Draxler, der als früherer Schalker ein besonderes Interesse daran hatte, den Dortmundern den Abend noch zu verderben. Die Gäste ließen sich, anders als in der ersten Halbzeit, den Exklusivitätsanspruch auf den Ball streitig machen, kamen seltener zu gefälligen Kombinationen und wurden tiefer in die eigene Hälfte gedrängt. Den Wolfsburgern aber fehlte die Schlagkraft, als wäre die vergebene Chance von Dost wie ein zermürbender Wink des Schicksals gewesen. Sie konnten von Glück sagen, dass Pierre-Emerick Aubameyang in der 78. Minute allein vorm Tor scheiterte.

Dann aber kam die Szene, in der Schürrle sich in den Strafraum mogelte und zwischen Piszczek und Subotic zu Fall kam. Er hatte eine Hand am Ärmel gespürt. Den Elfmeter verwandelte Rodriguez gewohnt sicher. War das die Pointe dieses Abends? Keineswegs. Denn Dortmund konterte letztmalig und definitiv, wunderbar über Mkhitaryan, der Kagawa mit einer Volley-Vorlage bediente.

"Wir haben dann paradoxerweise in den letzten drei Minuten noch einmal ruhiger Fußball gespielt und ein wunderschönes Tor herausgespielt. Es ist natürlich der Hammer, so zu gewinnen." Sein Kollege klagte dagegen: "Wir haben einen Riesenaufwand betrieben, um den Ausgleich zu machen und werden dann noch bestraft", ärgerte sich VfL-Trainer Hecking. "Vieirinha hätte beim Gegentor Kagawas Laufweg aufnehmen müssen."

Das 1:2 war für Wolfsburg die erste Bundesliga-Heimniederlage nach 29 Spielen (im März 2014 gab es das 1:6 gegen den FC Bayern). Sie kam zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt: ausgerechnet vor dem letzten Spiel der Gruppenphase der Champions League, am Dienstagabend gegen Manchester United.

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