BVB:Julian Weigl - das Vertrauensmännlein

BVB: Kein Zweikampfmonster und kein Aggressive Leader, aber die Zukunft des deutschen Fußballs: Julian Weigl.

Kein Zweikampfmonster und kein Aggressive Leader, aber die Zukunft des deutschen Fußballs: Julian Weigl.

(Foto: AFP)

Er ist kein Zweikampfmonster und kein "Aggressive Leader", trotzdem stabilisiert der 21-Jährige das BVB-Mittelfeld - und überrascht in Lissabon sogar mit einem Treffer.

Von Christof Kneer

Es war eine harte Zeit für Thomas Tuchel. Er hatte so eine gute Geschichte zu erzählen, aber der Moment, an dem er sie loswerden konnte, der kam einfach nicht. Und ganz ehrlich: Hätte er nach den schönen 6:0-Siegen der ersten Saisonwochen den Leuten erzählen sollen, dass einer seiner siegreichen Helden in seiner ganzen Karriere noch nie aufs Tor geschossen hat?

Thomas Tuchel hat nun bis nach Lissabon reisen müssen, um den rechten Ort und die rechte Zeit für seine Story zu finden. Die Geschichte erinnert an jene Augenzeugenberichte, in denen bis dato unbescholtene Mitbürger plötzlich versichern, sie hätten den Yeti gesehen. Alles klar, Alter, sagen die Leute dann und wundern sich, dass sie einen offenkundig Übergeschnappten so lange für normal gehalten haben.

Den Trainer Tuchel hat aber niemand für unzurechnungsfähig erklärt, als er seine Sensation unter die Leute brachte: Nein, erklärte Dortmunds Trainer also nach dem 2:1-Sieg im Champions-League-Vorrundenspiel bei Sporting Lissabon, nein, Julian Weigl habe nicht nur soeben in Lissabon ins Tor getroffen. Er habe in der vergangenen Saison bereits ein weiteres Tor erzielt, "im Abschlusstraining vor dem Europa-League-Spiel in Saloniki. Das Tor haben wir sogar auf Video". Eine spektakuläre Enthüllung: Die Dortmunder haben den Yeti auf Band.

Weigl schießt nie aufs Tor

Wer die Tore schießt, braucht für den Spott nicht zu sorgen, jedenfalls nicht, wenn er Julian Weigl heißt. Weigl, 21, zählt zu den Talenten, auf die der deutsche Fußball gerne seine Zukunft bauen möchte, und wenn Experten wie Thomas Tuchel oder Joachim Löw die Qualitäten dieses defensiven Mittelfeldspielers aufzählen, dann brauchen sie viel Zeit, um ans Ende zu kommen. Passspiel, Positionsspiel, Ballsicherheit, Gefühl für den Raum sowie eine altersuntypische Ruhe - allerdings: Um seine Torgefahr zu rühmen, müsste man schon ein charmanter Lügner sein, was sich weder von Tuchel noch von Löw behaupten lässt.

Weigl schießt nie aufs Tor: Diese Formel galt bisher als mindestens ebenso unumstößlich wie das Gesetz, dass Philipp Lahm keinen Fehlpass spielt, Toni Kroos keinen Sprint anzieht und Jogi Löw nie mit verbeulter Jogginghose unter die Leute tritt. Das kommt nie vor. Das gibt es nicht.

Er könne es "noch gar nicht richtig beschreiben", sagte Weigl nach dem Spiel, er habe "einfach instinktiv gehandelt". Er stand noch unter dem Eindruck des unfassbaren Geschehens, zumal sein Tor ja nicht einfach irgendein Abstauber zum 6:0 gewesen war. Sein souveräner Abschluss zum vorübergehenden 2:0 war es wohl, der den radikal ersatzgeschwächten BVB am Ende die zweite Hälfte überstehen ließ, "in der wir durchaus leiden mussten", wie Tuchel später feststellte. Dank Weigl genügt Borussia Dortmund nun ein Sieg im Heimspiel gegen Sporting am 2. November, um ins Achtelfinale vorzurücken.

Vermutlich ist der 21 Jahre alte Oberbayer schon deshalb ein außergewöhnlicher Spieler, weil er seiner Mannschaft jetzt schon ein gutes Gefühl gibt, obwohl ihm eigentlich noch einiges fehlt. Weigl ist kein Zweikampfmonster und kein Aggressive Leader, und den gegnerischen Strafraum kennt er bislang nur vom Hörensagen. Trotzdem hat es dieser junge Mensch bereits zum Vertrauensmännlein im Team geschafft, die Mitspieler wissen: Wenn es eng wird, dann können wir den Ball immer bei dem abgeben.

Trainer Thomas Tuchel muss im Moment in jedem Spiel eine neue Abwehrkette erfinden; auch in Lissabon haben sich die Dortmunder vorübergehend Sorgen gemacht, weil gleich drei Spieler der ohnehin improvisierten Viererkette - nämlich Matthias Ginter, Marc Bartra und Felix Passlack - angeschlagen das Feld räumen mussten. Aber Tuchel erwartet alle drei am Wochenende zurück, und eines beruhigt sie ja zusätzlich beim BVB. Vor der Viererkette steht der Jüngling, dem die Männer vertrauen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: