Bundesverdienstkreuz:Wie Ex-Innenminister Schily Blatter zum Orden verhalf

Blatter erhält Bundesverdienstkreuz

Sepp Blatter bekommt im Juli 2006 das Bundesverdienstkreuz. Aus Kanzleramts-Akten geht hervor, dass er sich selbst dafür ins Spiel gebracht hat.

(Foto: Roberto Pfeil/dpa)
  • Im Rahmen der WM 2006 wurde Fifa-Präsident Joseph Blatter das Bundesverdienstkreuz verliehen.
  • Besonders der ehemalige Innenminister Otto Schily setzte sich stark für den umstrittenen Fifa-Chef ein. Blatter begreife Fußball nicht nur als Sport- und Wirtschaftsfaktor, sondern als "potenziell als weltweiten Friedensstifter".
  • Die Fifa galt damals schon als korrupt, Schily setzte sich über heftigen Widerstand hinweg.

Von Thomas Kistner und Klaus Ott, Berlin

Den Titel, der ihm die Macht gibt, ist Sepp Blatter, 79, bald los. Gut ein halbes Jahr noch, dann ist der Schweizer nicht mehr Präsident des Fußball-Weltverbandes Fifa. All die anderen Titel, die Blatter im Laufe seines Lebens gesammelt hat, kann er wohl behalten. Den Olympischen Orden, den Bambi; auch Ritter der französischen Ehrenlegion wird er bleiben. Und Träger des Bundesverdienstkreuzes, überreicht von Bundeskanzlerin Angela Merkel am Ende der WM 2006 in Deutschland. Er nehme das Kreuz stolz für die Fifa- Familie entgegen, sagte Blatter gerührt.

Während die Berliner Politiker den Funktionär dekorierten, hatten die Fans schon viel Gespür für die Realitäten im Weltfußball offenbart und den Fifa-Chef bei der Eröffnungsfeier gellend ausgepfiffen. So schlimm, dass er sich für die Siegerehrung nach dem Finale nicht mehr auf den Rasen traute. Die Geschichte, wie der Fifa-Regent aus Zürich zu seinem deutschen Orden kam, spielt im Spannungsfeld zwischen offizieller und öffentlicher Wahrnehmung.

Bedenken im Schloss Bellevue, dem Sitz des Bundespräsidenten, gingen laut Regierungsakten einher mit geradezu peinlichen Lobpreisungen im Bundesinnenministerium. Dort schaffte Ressortchef Otto Schily am Ende seiner Amtszeit die Voraussetzungen dafür, dass Blatter das Große Bundesverdienstkreuz bekam. Stern und Schulterblatt oder gar das Großkreuz blieben ihm zwar verwehrt. Doch die schlichteste Ausführung, ein Orden ohne alles, wurde ihm auch erspart. Auf Schilys Betreiben.

Dokumentation

Der SPD-Innenminister hatte sich am 20. September 2005 bei Bundespräsident Horst Köhler für Blatter eingesetzt; zwei Tage nach der Bundestagswahl, nach der die SPD befürchten musste, künftig nur noch Juniorpartner in einer von der Union geführten Regierung zu sein. Vor dem Machtwechsel schaffte Schily noch Fakten. Er legte Köhler sogar nahe, Blatter wegen dessen angeblicher Verdienste um Deutschland und die Welt "mit einer gehobenen Stufe des Bundesverdienstkreuzes" zu würdigen. So kam es auch, obwohl Blatter im Präsidialamt als "umstritten" gegolten hatte. Nachzulesen ist das in Regierungsakten, welche die SZ auf Basis des Informationsfreiheitsgesetzes einsehen konnte. Das Gesetz ermöglicht den Zugang zu amtlichen Unterlagen, es schafft Transparenz. Auch bei Blatters Orden.

Dass just der Mann geehrt werden sollte, in dessen Amtszeit die Fifa in einem Sumpf aus Vetternwirtschaft und Korruption versank, hatten schon während der WM in Deutschland auch führende Politiker nicht verstanden. Schily aber, einst grüner Rebell, später Sozialdemokrat, ließ sich nicht beirren. Er und sein Ressort wählten große Worte, um Blatter zu würdigen. Der begreife Fußball nicht nur als Sport- und Wirtschaftsfaktor, sondern "potenziell als weltweiten Friedensstifter, Erziehungs- und Entwicklungshelfer", notierte das Ministerium am 14. Januar 2005. Der Schweizer habe den Weltverband modernisiert und stehe für "Balance zwischen sportlichen, wirtschaftlichen und menschlichen Interessen".

Dass die Fifa schon damals als korrupt galt, dass die Schweizer Justiz Belege für Schmierereien sammelte, dass Blatters Amtszeit von Affären geprägt war - all das spielte für Schily offenbar keine Rolle. In einer "Anregung zur Verleihung des Verdienstordens" vom 31. Januar 2005 steht sogar die Einschätzung, "eine schwere Krise aus dem Jahr 2002, die mit harter Kritik an der Amtsführung von Präsident Blatter verbunden" gewesen sei, habe ein Jahr später, parallel zu Blatters Wiederwahl bis 2007, "überwunden werden" können.

Widerstand von Bundespräsident Köhler

Schilys Faible für Friedensstifter Blatter teilten längst nicht alle im politischen Berlin, auch nicht im Schloss Bellevue, wie Schilys Ressort registrierte. Am 15. September 2005 telefonierte Jürgen Rollmann, ehemals Profi in Bremen und Duisburg und nun im Innenministerium zuständig für die WM, mit dem Präsidialamt und notierte: Köhler und Schily hätten zwei "Ordensangelegenheiten" besprochen. Lennart Johansson, seinerzeit Chef des Europa-Verbandes Uefa und Blatters Erzgegner, hatte seinen Orden bereits erhalten, die Causa sei "erledigt". Blatters Fall, notierte WM-Koordinator Rollmann, sei hingegen "noch offen" - "Entscheidung umstritten, weil Blatter umstritten". Unter anderem, weil der Fifa-Chef bei der Vergabe der WM 2006 angeblich nicht für die Bundesrepublik votiert habe.

Der Fall Blatter, der erkennbar als unangenehm galt, drohte auf der langen Bank zu landen. Das Bundespräsidialamt werde "zu gegebener Zeit" auf das Innenministerium zukommen, "wegen vertiefender sportfachlicher Stellungnahme", schrieb Rollmann drei Tage vor der Bundestagswahl. Die brachte der Union den Wahlsieg. Zwei Tage später schickte Noch-Minister Schily den Pro-Blatter-Brief und warb massiv für den Fifa-Boss: "Nicht nur der deutsche Sport, unser ganzes Land verdankt Joseph Blatter sehr viel." Und die Welt sowieso. Blatter werbe für "Fair Play auch jenseits des Spielfeldes", schwärmte Schily; er fördere Fußball in ärmeren Staaten. Das sei "Entwicklungshilfe im besten Sinne" und habe in vielen Ländern zu mehr Selbstbewusstsein, neuen nationalen Identitäten und "friedlichen nachbarschaftlichen Kontakten" beigetragen.

Die Missstände in der Fifa waren hingegen kein Thema für Schily, als er um Blatters Orden rang. Der Schweizer gehe "offen und bereitwillig" auf deutsche WM-Wünsche ein, lobte Schily im Brief an Köhler. Indes war Deutschland der Fifa weit entgegengekommen; inklusive großzügiger Steuerbefreiung für die Funktionäre. Das schuf im Finanzministerium Irritation, wo schon 2002 vermerkt wurde, es gebe Widersprüche bei den Zusagen an die Fifa.

Eine Informationsbroschüre dazu wurde dennoch nicht gutgeheißen. Es gebe, notierte das Finanzressort, ja die stete Debatte um vermeintlich "ungerechtfertigte Privilegien/Pfründe der Fifa" und insbesondere Blatters. Nicht auszuschließen sei, dass so eine Broschüre in falsche Hände geriete und die Debatte wiederbeleben könnte. Der Bundesregierung "könnte vorgeworfen werden, statt den Sport und die Sportler zu fördern, in erster Linie die Funktionäre zu begünstigen".

Schily setzte sich durch. Der Fifa-Chef hege "große Bewunderung für die zuverlässige und präzise Organisation" der WM, er äußere sich oft "voller Sympathie für unser Land". Die Lobhudeleien entlarvte Blatter später selbst, indem er die Korrektheit der deutschen WM-Bewerbung hinterfragte. Kurz nach Schilys Vorstoß kanzelte der Fifa-Chef zudem das deutsche WM-Organisationskomitee ab, dort brenne "die rote Lampe". Das galt eher für die Fifa selbst: In jener Zeit, November 2005, durchsuchten Schweizer Korruptionsfahnder die Fifa-Zentrale in Zürich.

Egal: Den von Schily betriebenen Orden darf Blatter gewiss behalten. Bundespräsident Joachim Gauck sieht kaum eine Chance, Blatter wegen der neuen Erkenntnisse um die jahrzehntelange Fifa-Pfründewirtschaft das Bundesverdienstkreuz abzuerkennen. Und Schily steht weiter treu zum Fifa-Chef. Der habe den Orden zu Recht bekommen, sagt Schily auf Anfrage. Die "massive Vorverurteilung von Joseph Blatter in manchen Medien halte ich nicht für gerechtfertigt

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