Bundestrainer Löw vor dem Schottland-Spiel:General mit Luxusproblemen

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Sorgenfrei in Glasgow: Bundestrainer Joachim Löw. (Foto: dpa)
  • Annähernd sorgenfrei geht Bundestrainer Joachim Löw ins EM-Qualifikationsspiel gegen Schottland.
  • Die Kritik des TV-Experten Jens Lehmann kontert er kühl.
  • Hier geht es zur Tabelle der deutschen Qualifikationsgruppe.

Von Philipp Selldorf, Glasgow

Am Flughafen stand bereits ein großes Empfangskomitee bereit. Das Rollfeldpersonal hatte sich zur Begrüßung versammelt, als die deutschen Nationalspieler in Bussen vorfuhren, wahrscheinlich brach in diesen Minuten, in denen ein Autogramm von Schweinsteiger und ein Foto mit Gündogan wichtiger waren als die Abfertigung des Interkontinentalverkehrs, der sekundengenau getaktete Flugplan des Monster-Airports Frankfurt/Main zusammen. Nur der Bundestrainer nahm den Auflauf nicht wahr.

Joachim Löw saß im Bus und studierte, eine erstaunlich große Lesebrille auf der Nase, eng beschriebene Papiere. Das gab den Beobachtern gleich doppelt zu denken: Erstens, weil man Löw noch nicht mit Brille gesehen hatte, und schon gar nicht mit einer Brille, die eher zu dicken Computer-Nerds passt als zum distinguierten Herrn Löw; zweitens, weil man nicht wusste, welche Lektüre ihn so fesselte. Eine plausible Theorie lautete, dass ihm der DFB ein Dossier über Schottland, seine Sitten und Gebräuche zusammengestellt hatte.

Zwölf Jahre nach Berti Vogts

Denn in all den - elf - Jahren mit der Nationalelf ist Löw zwar schon mehrmals nach Baku/Aserbaidschan oder Astana/Kasachstan gereist, aber noch nie nach Schottland. "Weder als Spieler noch als Trainer war ich hier in Aktion", stellte er später fest. Er flog also in eine unbekannte Welt, dies aber mit Vorfreude, weil er schon so viel Gutes gehört hatte über die Atmosphäre bei schottischen Länderspielen. Man werde "den Stolz der Leute und ihre Leidenschaft" zu spüren bekommen, glaubt er.

Möglicherweise hat er also nach seinen Vorstudien irritiert zur Kenntnis genommen, dass er nach der Ankunft weder eine der typischen Dudelsackkapellen noch Männer in Röcken antraf, und dass statt des berüchtigten schottischen Hochlandregens strahlender Sonnenschein herrschte.

Jens Lehmann steht zwar allein mit seinen Tiraden, dies aber sehr entschlossen

Es ist schon mehr als zwölf Jahre her, dass sich die deutsche Nationalelf in Glasgow zum Länderspiel formierte. Der Nationaltrainer hieß damals Berti Vogts, dieser trainierte jedoch zum Verdruss der Schotten das schottische Team. Vogts war seinerzeit nicht ganz unumstritten im Inselreich, in den Medien und in den Pub-Gesprächen hieß er wenig schmeichelnd "the little German", aber da die Partie gegen seine von Rudi Völler gecoachten Landsleute ein nicht für möglich gehaltenes 1:1 brachte, war er auf einmal ein nationales Idol. Der Daily Star montierte Vogts' Kopf auf einen Superhelden-Leib und teilte dem schottischen Frauenhelden Sean Connery mit: "Pech gehabt, Mr. Connery, jetzt ist Berti das neue schottische Sex-Symbol."

Vogts hat sein Engagement in Schottland längst beendet, aber dem schottischen Fußball geht es kaum besser als damals. Kaum eine Stunde nach der Ankunft im Teamhotel wurde Manuel Neuer mit Klagen über das Elend des schottischen Fußballs und die gerade erlittene Niederlage in Georgien konfrontiert. "Das ist natürlich schade, dass sie verloren haben", versuchte Neuer die Einheimischen zu trösten und führte ihnen das Beispiel des Skifahrers Herrmann Maier vor, der im vorigen Jahr dem DFB-Team einen Vortrag gehalten hatte. Maier sei auch nicht immer als designierter Sieger angetreten - und habe trotzdem viele Rennen gewonnen.

Schottlands Trainer Gordon Strachan, der nicht weniger skeptisch ist als die frustrierten Fans, hat klargestellt, dass sein Team ohne die mentale Hilfe des Publikums keine Chance haben werde ("da werden ausgelaugte Körper auf dem Platz stehen", prophezeite er düster). Auch Löw scheint weniger die fußballerischen Qualitäten der Schotten zu fürchten als den speziellen Geist, der diese im ausverkauften Hampden-Park beflügeln könnte. "Ihre Niederlage macht die Situation vielleicht noch ein Stück gefährlicher für uns", sagte er, "wie immer, wenn sie zu Hause spielen, werden sie kämpferisch alles, alles tun, um mit Stolz und Würde das Spielfeld zu verlassen." So sprach er zwar wie ein General vor der Schlacht, aber Löws Uniform war der amtliche DFB-Freizeitanzug, und er war auch sonst friedlich gesinnt.

Lehmann übt Kritik

Löw wurde in Glasgow natürlich auch auf den Fernsehexperten Jens Lehmann angesprochen, der auf den 3:1-Sieg gegen Polen ein so kritisches Licht geworfen hatte, als ob im deutschen Fußball die Sonne unterginge. Allgemeiner Tempoverlust, defensive Umschaltschwächen, schwaches Defensivverhalten - Lehmann stand zwar allein mit seinen Tiraden, dies aber sehr entschlossen. Löw hielt es jedoch wie üblich nicht für nötig, sich über die abweichende Meinung eines Dissidenten zu ärgern.

Tempoverlust? "Mit der Mannschaft sind wir Weltmeister geworden, in der Geschwindigkeit haben wir keine Defizite", stellte er fest. Entscheidend sei die Handlungsschnelligkeit im Kopf, "Situationen erkennen, Szenen sehen, schnell entscheiden", darauf käme es an, findet er und sieht keinen Grund, sich über sein Team zu beschweren. Außer, dass es ihm nicht leicht gemacht wird, aus 23 Spitzenkräften elf für die Startreihe auszuwählen. Was zum Beispiel soll mit Ilkay Gündogan geschehen, der gegen Polen als Einwechselspieler kam und sofort begann, eine überragende Vorstellung zu bieten? Gündogan sei "ein wahnsinnig wertvoller Spieler" bestätigte Löw und prophezeite für die nächsten großen Turniere: "In dieser Form wird er kaum zu ersetzen sein." Andererseits will er in Glasgow weder den Kapitän Schweinsteiger noch Kroos oder Özil oder Götze auf die Bank setzen.

Deutsche Nationalelf
:Ja zum wilden Spektakel

Passt ein Abenteuerspiel wie das 3:1 gegen Polen zum Stil eines Weltmeisters? Antwort: Natürlich! Minimalismus können andere besser.

Kommentar von Philipp Selldorf

Probleme, die Rudi Völler damals gerne gehabt hätte. Mittelfeldspieler Jens Jeremies musste sich seinerzeit anhören, er habe "schottischer als die Schotten" gespielt.

© SZ vom 07.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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