Bundestrainer Löw gegen Spanien:Schwärmerei von einst ist ihm peinlich

Bundestrainer Löw gegen Spanien: Finale eines großen Jahres für Trainer Joachim Löw.

Finale eines großen Jahres für Trainer Joachim Löw.

(Foto: AFP)

Im letzten Länderspiel des Jahres will Bundestrainer Löw die Emanzipation vom großen Vorbild unter Beweis stellen. Nicht, dass einer denkt, seine Weltmeister-Elf sei ein spanisches Imitat - und der Trainer ein Raubkopierer.

Von Philipp Selldorf, Vigo

Die deutsche Nationalmannschaft traf Montagmittag um halb eins im gelobten Land ein. Das Wetter: annehmbarer als vorhergesagt. Ein Sturm hatte die galicische Küste während der vergangenen Tage heimgesucht, aber mit der Ankunft der deutschen Weltmeister hatte sich die Lage beruhigt, es kam sogar die Sonne hervor. Wobei jetzt natürlich unbedingt der Hinweis kommen muss, dass die Stimmung in der Delegation des DFB nach der bisher kargen Herbsternte eher wolkig zu sein scheint, wenn nicht gar bedeckt.

Spanien gegen Deutschland also, das letzte Länderspiel im denkwürdigen Fußballjahr 2014. Der vormalige Weltmeister trifft den amtierenden Weltmeister. Oder auch: Der amtierende Europameister trifft das Team, das sich dringend vorgenommen hat, der nächste Europameister zu werden. "Es ist sehr viel Prestige in diesem Spiel", glaubt Thomas Müller. Da kommt es einem zunächst mal recht merkwürdig vor, dass der spanische Verband die mutmaßliche Fünf-Sterne-Partie in die Peripherie an den windigen Atlantik vergeben hat, dass nicht im Bernabeu-Stadion in Madrid oder im Nou Camp in Barcelona, sondern im ehrwürdigen, aber bescheidenen Estadio Balaídos in Vigo gespielt wird.

Test-Länderspiele am Dienstag

Spanien - Deutschland (in Vigo, 20.45)

Spanien: Casilla (Espanyol Barcelona/28 Jahre/0 Länderspiele) - Azpilicueta (FC Chelsea/25/9), Bartra (FC Barcelona/23/3), Ramos (Real Madrid/28/123), Bernat (FC Bayern/21/1) - Garcia (Atlético Madrid/28/1), Koke (Atlético Madrid/22/15), Camacho (FC Malaga/24/0), Isco (Real Madrid/22/5) - Morata (Juventus Turin/ 22/1), Alcacer (FC Valencia/21/5).

DFB: Weidenfeller (Borussia Dortmund/34/4) - Rüdiger (VfB Stuttgart/21/4), Mustafi (FC Valencia/22/5), Höwedes (Schalke/26/30), Durm (Dortmund/22/6) - Khedira (Real Madrid/27/52) Kroos (Real Madrid/24/56) - Bellarabi (Leverkusen/24/3), Müller (FC Bayern/25/ 61), Götze (FC Bayern/22/40) - Volland (Hoffenheim (22/2).

TV: ARD (ab 20.15 Uhr).

Weitere Spiele:

Griechenland - Serbien 19.00; Österreich - Brasilien 19.00; Rumänien - Dänemark 19.30; Schottland - England 20.00; Ungarn - Russland 20.30; Polen - Schweiz 20.45; Irland - USA 20.45; Italien - Albanien 20.45; Portugal - Argentinien (in London) 20.45; Frankreich - Schweden 21.00.

Darüber wunderte sich am Montagmittag auch der Bundestrainer, und er klang beinahe indigniert, als er über die Wahl der Gastgeber sinnierte. "In Madrid oder in Barcelona zu spielen, ist für alle immer etwas ganz Besonderes", meinte Joachim Löw, "doch das machen sie ja immer wieder mal, dass sie in die kleinen Städte gehen mit ihren Testspielen - okay, haben wir so zur Kenntnis genommen". Föderalismus ist ja schön und gut, schien er zu sagen, aber das soll man doch bitte nicht an uns auslassen. Irritiert blickte er sich bei der obligatorischen Pressekonferenz im dünn besetzten Saal um. "Spanische Presse noch nicht da?", fragte er. Doch, doch, ließ er sich beruhigen.

Andererseits haben die Spanier bei der schon im Mai festgelegten Vergabe in die 300 000-Einwohner-Stadt im Nordwesten womöglich das richtige Gespür gehabt, denn diese Begegnung ist natürlich nicht das originale Gipfeltreffen der Meister aller Klassen, sondern eine für beide Seiten irgendwie quer im Terminkalender stehende Pflichtaufgabe. Löw musste eine Weile nachdenken, bis er überhaupt zwei Spieler ermittelt hatte, die im Juli beim WM-Finale der Erstbesetzung angehörten: Toni Kroos und Thomas Müller, diese beiden haben durchgehalten bis in den Herbst, der Rest der glorreichen Elf hat sich ins Privatleben verabschiedet, ruht sich lieber in der Heimat aus oder kuriert Verletzungen.

"Dass es nach der WM gewisse Schwierigkeiten gibt, in den Alltag zu kommen, das habe ich erwartet - aber so krass hätte ich es nicht erwartet", stellte Löw fest. Sicherheitshalber hat er seit Sonntagabend mit den ihm verbliebenen WM-Fahrern und den Zugängen ein paar Gespräche geführt, um die Gemütslage zu sondieren: "Es ist genügend Motivation da", meldete er, "ich spüre, dass die Spieler schon Lust haben, gegen Spanien zu spielen."

Dieser beiläufig eingestreute Satz hat seinen ironischen Hintergrund. Es ist nicht lange her, da Löw in keiner Unterhaltung an der Würdigung der Spanier vorbeikam, die den Deutschen sowohl ein ideelles Vorbild wie - seit den Niederlagen bei der EM 2008 und bei der WM 2010 - ein realer Schrecken waren. Die Verehrung des Fußballs der Seleccion und im Besonderen die Verehrung des FC Barcelona ergaben zentrale Motive in Löws Lehre. Einmal erzählte er, "um das einmal einfließen zu lassen", wie er sich ein Spiel der U 11 Barcelonas angeschaut habe: "Überragend gut! Hervorragend. So was habe ich in Deutschland noch nie gesehen", sprach er. "Ich habe mehrere kleine Messis und Xavis gesehen." So rühmte Löw bei kleinen wie großen Barca-Spielern "Detailarbeit in Vollendung".

Auf der kleinen Bühne in Vigo

Mit solchen Wertungen hat man ihn nun am Vortag des Testspiels in Vigo konfrontiert, und Löw machte den Eindruck, als wäre ihm seine Schwärmerei auf einmal ein bisschen peinlich. "Ganz ehrlich", das räumte er ein, in den ersten Jahren habe er tatsächlich "sehr auf den spanischen Fußball geschaut. Ich fand das schon klasse, wie strukturiert und einheitlich die Ausbildung im spanischen Fußball war. Ballannahme, Passspiel, die Art und Weise, zu spielen - da waren sie führend".

Aber hier zog er nun die Grenze, denn er möchte nicht, dass der Eindruck entsteht, seine Weltmeister seien ein spanisches Imitat und der Trainer ein Raubkopierer. "Wir haben ein bisschen Einfluss von Spanien gehabt, aber wir haben dann schon unseren eigenen Stil geprägt", resümierte Löw.

Es geht in diesem finalen Länderspiel also auch darum, den eigenen Entwurf und die Emanzipation vom Vorbild unter Beweis zu stellen. So gut das eben geht mit der aktuellen Verlegenheitsbesetzung, die - wenn er fit genug ist - vom Kapitän Khedira angeführt werden soll und mit einer Viererkette verteidigen muss, in der Höwedes die Mitspieler Mustafi, Durm und Rüdiger dirigieren soll.

Löw ahnt, dass es schwierig werden könnte auf der kleinen Bühne in Vigo. Auf keinen Fall will er sich aber von den Enttäuschungen in den Monaten nach der WM die Laune verderben lassen, weshalb er vorsorglich, "unabhängig vom morgigen Resultat", schon mal das Urteil über sein Werk fällte: "Dieses Jahr war sensationell gut und wird in der Geschichte immer einen ganz besonderen Stellenwert haben: Als erste europäische Mannschaft Weltmeister auf dem südamerikanischen Kontinent - das ist nicht anzukratzen, das ist nicht anzuzweifeln", sagte er.

Man beachte bitte den Imperativ in seinem Plädoyer.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: