Bundestrainer Joachim Löw:Pro: Er darf das

Joachim Löw hat rund um das frühe WM-Aus viele Fehler begangen. Trotzdem ist es verständlich, dass er sich selbst eine zweite Chance als Bundestrainer gibt.

Kommentar von Martin Schneider, Moskau

Die Frage war sowieso: Wie hätte die Entscheidung auch sonst ausfallen sollen? Joachim Löw nicht mehr Bundestrainer? Als ob man sich das ernsthaft hätte vorstellen können. Dann hätte ja, nur um den Gedanken kurz zuzulassen, jemand anders da auf der Bank gesessen. Vielleicht Matthias Sammer, vielleicht Hansi Flick, und dann wären einem ja schon die Namen ausgegangen, über die man hätte spekulieren können.

Nein, Joachim Löw macht weiter. Er konnte selbst darüber entscheiden, der Deutsche Fußball-Bund hat ihm einen Blankoscheck ausgestellt mit der einzigen Einschränkung, er möge sich doch bitte zeitnah entscheiden. Das hat der Bundestrainer nun getan, und Joachim Löw ist der Meinung, dass Joachim Löw der beste Mann für den Job ist. Er hat recht. Trotz allem.

Denn Löw ist der Hauptverantwortliche für das Abschneiden der deutschen Elf in Russland. Und die Mängelliste ist lang: Er hat es nicht geschafft, die Erdoğan-Affäre so zu moderieren, dass sie keine Auswirkungen auf das Team hatte (was Kapitän Manuel Neuer zugegeben hat), er hat den Stürmer Sandro Wagner ohne große Not geopfert, er hat den talentierten Leroy Sané ohne große Not geopfert, er hat die schwachen Testspielergebnisse abmoderiert, er hat gegen Mexiko die falsche Taktik gewählt und die falsche Taktik viel zu spät korrigiert, er ist gegen Schweden mit seiner an der Laterne von Sotschi vorgelebten Lässigkeit noch mal davongekommen, gegen Südkorea nicht mehr.

Und auch bei der finalen Niederlage kann man ihm taktische Fehler vorwerfen, er brachte Mario Gomez und Julian Brandt zu spät, Leon Goretzka auf rechts war eine seltsame Idee und Sami Khedira völlig neben der Spur. Die nun publik werdenden Konflikte zwischen etablierten und jungen Spielern hat er nicht moderiert bekommen, vielleicht auch zu lang an verdienten Akteuren festgehalten. Aber er hat es vor allem als Trainer nicht geschafft, die "Selbstherrlichkeit", die er seinem Team nach dem Aus diagnostizierte, auszutreiben. Vielleicht hat er sie sogar selbst durch sein Verhalten gefördert. Das war jedenfalls sein größter Fehler.

Löw hat einige Argumente für sich

Und dennoch: Wenn man jemandem zutraut, die Fehler von Joachim Löw zu korrigieren, dann doch am ehesten Joachim Löw. Schon einmal hat er ein Turnier vercoacht. Das war bei der Europameisterschaft 2012, er machte taktische Fehler, die Stimmung in der Mannschaft war mies. Danach verzog er sich wochenlang und dachte darüber nach, ob er der Richtige ist - zwei Jahre später wurde Löw Weltmeister.

Der Mann aus dem Schwarzwald hat sich große Verdienste um den deutschen Fußball erworben. Er hat dem Land den Teutonen-Fußball ausgetrieben, hat das ästhetische Spiel installiert, und als er kurz davor war, als Schönspieler, der sowieso nichts gewinnt, in die Geschichte einzugehen, wurde er Weltmeister - und die Deutschen wurden im Sieg nicht gefürchtet, sondern bewundert. Dass er von dieser Reputation zehrt, das ist mehr als legitim. Auch die Deutschen haben das nicht vergessen. Nach einer repräsentativen Umfrage des Instituts Forsa wollten schon unmittelbar nach dem Aus 48 Prozent, dass er weitermacht, 37 Prozent waren dagegen, der Rest unentschlossen - das sind keine schlechten Umfrageergebnisse nach dem schlechtesten Abschneiden einer deutschen Elf bei einer Weltmeisterschaft.

Auf Löw können sich die 82 Millionen Bundestrainer immer noch einigen, er ist ein guter Repräsentant des Landes - auch wenn man bedenkt, dass er sich in seinen zwölf Jahren als Bundestrainer nie einen Skandal erlaubt hat oder sich irgendwie unsportlich geäußert hätte. Dass Löw ein stückweit das Gesicht Deutschlands ist - das fand eine Mehrheit immer gut, und wenn man das mal nüchtern betrachtet, ist es auch keine kleine Leistung in einem Job, in dem man in der Regel sehr schnell Gegenwind in Orkanstärke bekommt.

Aber auch abseits von seiner Aura und seiner Historie hat Löw Argumente für sich. Im vergangenen Sommer gewann er mit einer jungen Mannschaft den Confederations Cup, in der WM-Quali gewann er zehn von zehn Spielen. Er hat bewiesen, dass er die speziellen Anforderungen eines Bundestrainers (die sich dann doch erheblich von einem Vereinstrainer unterscheiden) kennt und meistern kann. Löw muss die Mannschaft nun neu aufstellen, er hat "tiefgehende Maßnahmen" angekündigt. Die wird er auch durchziehen müssen.

In Russland hat Löw zum ersten Mal erfahren, wie monumental es schiefgehen kann, wenn einige entscheidende Parameter nicht stimmen. Es ist aber auch - zählt man die beiden Confed-Cups und die WM 2006 als Co-Trainer mit - von seinen neun Turnieren das erste, das nicht mit einem Halbfinal-Einzug endet. Und mit so einer Bilanz darf man sich selbst noch eine Chance geben.

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