Bundestrainer:Heimkehr ins Wunderland

Jürgen Klinsmann, der Kosmopolit aus Kalifornien, soll mit Deutschlands Kickern den Weltmeister-Titel erobern und die depressive Nation samt ihrer lauen Wirtschaft daran genesen lassen wie einst im Berner Wunderjahr 1954. In nur zwei Wochen ist er zum Sündenbock geworden.

Thomas Kistner

Canossa liegt in Gelsenkirchen. Für Jürgen Klinsmann jedenfalls, den Theo Zwanziger, Präsident des Deutschen Fußballbundes, nun ins Land bestellt hat: Sonntag begutachtete der Bundestrainer brav in der Schalker Arena das Spiel gegen Eintracht Frankfurt. Er soll endlich präsent sein im WM-Land, die Atmosphäre spüren und auf Tuchfühlung gehen mit dem ihm überantworteten Geschäftsbereich, von dem er eigentlich meint, er sei ganz gut per E-Mail, Powerpoint und Mobiltelefon zu steuern.

Jürgen Klinsmann

Der Bundestrainer will mit Deutschland Weltmeister werden

(Foto: Foto: AP)

Das ist vorbei. Klinsmann, der Kosmopolit aus Kalifornien, der mit Deutschlands Kickern den Weltmeister-Titel erobern und die depressive Nation samt ihrer lauen Wirtschaft daran genesen lassen soll wie einst im Berner Wunderjahr 1954, ist in nur zwei Wochen zum Sündenbock geworden. Den ersten harten WM-Test in Italien verlor die DFB-Elf 1:4. Und als Tage später die Bundesliga-Flaggschiffe Bayern München und Werder Bremen in der Champions League scheiterten, verkehrte sich die zaghafte Aufbruchstimmung im Lande in breite Frustration, die schon bizarre Blüten treibt: Mitglieder des Bundestags-Sportausschusses wollten den Trainer gar zur Anhörung vorladen.

Ein Ansinnen, über das man laut lachen könnte, wenn es nicht ins Bild passen würde. Macht Fußball nicht Staat in einem Land, wo selbst der Bundespräsident per Weihnachtsansprache und die Kanzlerin in der Neujahrsrede die nationale Bedeutung dieses WM-Turniers besingen? Derlei hat Tradition. Nur deutsche Sender berichten von Olympischen Spielen rund um die Uhr, nur hier ist Sport Teil des nationalen Gründungsmythos.

Sportler sind seit langem Ersatzhelden in einem Land, in dem Heldenmythen nach dem Krieg diskreditiert waren. Hell ist der Jubel, wenn das mit Steuermillionen subventionierte Team bei den Winterspielen in Turin Klassenprimus wird. Indes bergen selbst diese Erfolge die nüchterne Gewissheit, dass deutsche Athleten dort glänzen, wo vor allem Materialfragen entscheiden: Bob, Rodeln, Biathlon, Langlauf. Die Sehnsucht nach Identifikation mit überragenden Talenten stillt das nicht.

Ein WM-Sieg erscheint fast aussichtslos

Das war kein Problem, solange Fußball diese Sehnsüchte bediente. Zwar waren es so genannte deutsche Tugenden, die viele Spiele und oft ganze Turniere für Schwarzrotgold entschieden: Rackern, beißen, ja nie aufgeben. Doch nun sind gerade diese Tugenden bei Klinsmanns Eleven verkümmert - nie war eine deutsche Auswahl athletisch so unterlegen. Schuld tragen die Klubs und ihre Trainer. Und weil die sich durch den ungestümen Reformer Klinsmann ertappt und als unbelehrbare Turnväter vorgeführt sahen, gab es nie ein Teamwork.

Klinsmann setzte lieber gleich auf die unverbildete Jugend. Dass es nicht reicht, wenn zu wenig Substanz und Erfahrung verfügbar sind, hat er erst in Italien realisiert. Dort zerbrach seine Alles-auf-Angriff-Doktrin: Der große Reformator hielt an seinen Spielern fest - und bezeichnete sich zugleich selbst als Berufsanfänger. Sachlich richtig, war es das falsche Signal. Zumal der Anfänger Tage später als einziger WM-Trainer einen Workshop im eigenen Land schwänzte.

Das zeigt ja eben, dass Klinsmann nicht erkennen mag, wie öffentlich sein teurer Job ist im angehenden WM-Wunderland. In dem sich auch sonst allerlei Brisantes zusammenbraut: Neue Affären um Spieler und verschobene Spiele kochen hoch, und die Wirtschaft klagt über rigide Verbote des Weltfußballverbandes Fifa. In dieser Gemengelage erscheint ein WM-Sieg plötzlich als fast aussichtslos und nicht mal ein radikaler Schnitt ausgeschlossen. Gegen die USA am 22. März muss Klinsmanns Elf auch die in Italien verlorene Reputation zurückgewinnen. Kommt sie mit all dem Ballast nicht klar, droht im frustrierten Land die einzige Frage aufzubrechen, die noch nicht offen diskutiert wird: die nach einer neuen sportlichen Führung.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: