Bundesliga:Was sagt der HSV über Hamburg aus?

Hamburger SV v SV Darmstadt 98 - Bundesliga

Kyriakos Papadopoulos und Mrgim Mavraj: Herausfordernde Zeiten in Hamburg

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Der alte Meister HSV aus der großen stolzen Hafenstadt ist mal wieder in Not.
  • Eine Saison zwischen Tief und Hoch mündet in einer Krise, die das Selbstverständnis des Vereins als unabsteigbaren Bundesliga-Dinosaurier aufs Neue infrage stellt.

Von Thomas Hahn, Hamburg

Der Sportpub Tankstelle liegt auf seine etwas eigenwillige Art ideal in der Hamburger Stadtlandschaft. Von hier aus kann man praktisch direkt reinfallen in die Herbertstraße, in der nur echte Männer erwünscht sind, weil dort die Nutten in Schaufenstern sitzen und an die Scheiben klopfen. In der Nachbarschaft reihen sich Party-Kneipen mit klingenden Namen. "Blauer Engel von St. Pauli", "Peggy Sue", "Rote Laterne". Vor allem am Wochenende dröhnt und leuchtet es hier, und jeder kann die Sau rauslassen, ohne sich dabei besonders gut benehmen oder besonders gut aussehen zu müssen.

Zugegeben, die dralle Gastlichkeit, die das Areal rund um den Hans-Albers-Platz ausstrahlt, passt nicht ganz zum Bild des HSV als Fußball-Klub des hohen Anspruchs und der hanseatischen Eleganz. Trotzdem ist das hier sein Kiez, während jenseits der Reeperbahn Richtung Millerntor die Fans des kleineren Lokalrivalen FC St. Pauli ihre Stammtheken haben. Und der Sportpub Tankstelle ist das Epizentrum der HSV-Unterstützer-Bewegung. Erster Anlaufpunkt bei Auswärtsspielen, Wohnzimmer der Treuesten, Forum für Fußballgespräche - und heute der Schauplatz für eine Podiumsdiskussion mit Lotto King Karl. Thema, grob gesagt: Leben und Leiden im Abstiegskampf.

Der alte Meister HSV aus der großen stolzen Hafenstadt ist mal wieder in Not. Eine Saison zwischen Tief und Hoch mündet in einer Krise, die das Selbstverständnis des Vereins als unabsteigbaren Bundesliga-Dinosaurier aufs Neue infrage stellt. Spätestens seit dem entlarvenden 0:4 in Augsburg am vergangenen Sonntag fühlt sich die HSV-Gemeinde einer sehr konkreten Abstiegsangst ausgesetzt. Platz 16 in der Tabelle ist tatsächlich keine sehr beruhigende Ausgangslage für die letzten drei Spiele. Wie schon 2014 und 2015 droht der Gang in die Relegation gegen den Zweitliga-Dritten. Oder Schlimmeres? Der Vorletzte Ingolstadt wirkt so viel entschlossener als Hamburgs Großverdiener. Und am Wochenende kommt der FSV Mainz 05, Platz 26 in der ewigen Bundesliga-Tabelle, 23 Ränge hinter dem HSV - aber in der Gegenwart punktgleich. "Am Sonntag ist schon sowas von Endspiel", sagt Uli Pingel, Sportchef des Lokalsenders Hamburg 1, beim Talk in der Tankstelle.

Hamburg arbeitet seit Jahren an seinem Image

Große Fragen kann man ableiten aus der Befindlichkeit eines Fußballvereins. Denn Fußballvereine spiegeln die Seele der Städte, in denen sie zu Hause sind, nicht wahr? Hamburg arbeitet seit Jahren mit Geld und Verstand an seinem Image als weltoffene, wirtschaftsfreundliche Metropole. Nicht nur sich selbst schön zu finden, sondern vor anderen als Weltstadt und Trendsetzer zu gelten - darum scheint es dem Stadtstaat mehr denn je zu gehen, das kann man aus dem Umstand ablesen, dass die Regierung um den SPD-Bürgermeister Olaf Scholz viel investiert, um ein elegantes Ambiente und ein Klima von kreativer Geschäftigkeit zu schaffen.

Das klappt auch: Menschen aus allen Ländern bestaunen zum Beispiel die kühne Architektur des Konzerthauses Elbphilharmonie. Und doch neigt man hier manchmal zu seltsam unhanseatischen Übertreibungen. Ein PR-Budget von 10 Millionen Euro hat die Stadt unter anderem darauf verwendet, um der Welt von der großartigen Akustik der Elbphilharmonie zu erzählen. Seit dem Eröffnungskonzert im Januar wissen Fachleute: So gut ist die gar nicht.

Steht der HSV mit seinem großzügigen Mäzen, dem Logistik-Unternehmer Klaus-Michael Kühne, für Hamburgs ungeduldigen Kampf um Fußballweltgeltung?

Wenn man den Sänger und Plattenfirmenbesitzer Lotto King Karl fragt, was der HSV über Hamburg sagt, antwortet der: "Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht." Er hat gerade andere Sorgen. Die Erstklassigkeit des HSV ist in Gefahr. "Die Stimmung ist doof."

"Vor fünf Jahren hätte man das Wort Abstieg noch gar nicht gesagt"

Lotto King Karl alias Karl König, 50, hat sich mit Witz und Gespür fürs richtige Liedgut zu einer Kultfigur seines Herzensvereins hochgearbeitet. 2001 hat er auf Initiative des Klubs ein HSV-Album herausgebracht. Seit zwölf Jahren ist er Stadionsprecher und singt vor jedem Heimspiel die Fußball-Version seiner Hymne "Hamburg, meine Perle". Er ist eine wichtige Stimme im HSV-Kosmos, sehr nah dran am Verein, sehr loyal, sehr gut darin, überschäumende Fan-Emotionen auf eine vernünftige Ebene runterzudimmen.

Den Abstiegskampf sieht er als Herausforderung der kleinen Fußballwelt, nicht als Symptom für irgendwas Größeres. Und deshalb spricht er jetzt auch so über die Lage, wie es vor dem wichtigen Mainz-Spiel für die Mannschaft am besten ist: ernst, aber ohne Hysterie. Und die HSV-Gemeinde sieht er mittlerweile näher am Boden der Tatsachen: "Vor fünf Jahren hätte man das Wort Abstieg noch gar nicht gesagt. Darüber wurde nicht geredet. Da durftest du bestenfalls sagen: Europa League wird es dieses Jahr nicht werden."

Es ist immer noch nicht so leicht zu verstehen, dass der HSV im Tabellenkeller rumkrebst. "Selbst für Uli Hoeneß ist der HSV aufgrund seines Potenzials eigentlich der größte Widersacher", sagt Sprecher Jörn Arfs im Namen der mächtigen Handelskammer. Und auch nach den Äußerlichkeiten scheint der HSV aus einer anderen Tabellenregion zu stammen. Alles wirkt so teuer und erlesen. Die Trainingsplätze am Volksparkstadion. Das neue Jugendinternat, das der Unternehmer Alexander Otto mit 10 Millionen Euro finanzierte. Das Fünf-Sterne-Hotel, das die Mannschaft von Trainer Markus Gisdol am Donnerstag für ein Trainingslager in Rotenburg/Wümme bezog. Vor allem aber Profigehälter und Ablöse-Zahlungen, die im Ligavergleich unbescheiden wirken; Spitzenverdiener Lewis Holtby soll im Jahr 3,5 Millionen Euro ohne Prämien kassieren.

Es scheint, als verändere sich das HSV-Image

Aber allmählich setzt sich die Erkenntnis durch, dass der ganze kostspielige Tand wenig mit dem gnadenlosen Bundesliga-Wettbewerb zu tun hat. Der HSV hat mittlerweile schon zu oft im Abstiegskampf gesteckt, als dass man darin noch einen Bruch zu seiner Geschichte als Europapokal-Gewinner von 1983 sieht. Mancher Fan spricht von Gewohnheit. Und Christoph Holstein, der Staatsrat für Sport in der Innenbehörde, hat den Eindruck, "dass die Gefahr, dass der HSV absteigt, vor zwei Jahren wesentlich mehr diskutiert worden ist". Es scheint, als verändere sich das HSV-Image: Höhere Sphären verbindet man mit ihm eigentlich nicht mehr.

Vom Sportpub Tankstelle aus hat man ohnehin keinen direkten Blick auf die Sterne. Da herrscht eine etwas rauere Freundlichkeit, die Vertretern des vornehmen Hamburger Bürgertums ein bisschen fremd sein könnte. Die Tankstelle ist weder schick noch geräumig, dünnes Buntlicht tanzt über den klebrigen Steinboden. Und die Wände protzen nicht mit der Erfolgsgeschichte des HSV, die ja so übermäßig lang auch wieder nicht ist: Zwei Fotos von den Meistermannschaften 1982 und 1983 hängen da, Ikonen von Meistertrainer Ernst Happel und Meistermasseur Hermann Rieger. Viel mehr Blicke in die gute alte Zeit gibt es nicht.

Stattdessen lebt neben dem Gastraum in der Supporters Party Lounge bei der Podiumsdiskussion vor rund dreißig treuen Seelen die ernste Sorge um den Verein. Wie bekommt man den HSV aus seiner Wohlstandslethargie? Wie geht man mit den Feuerwerkern auf der Tribüne um? Was ist zu tun am Sonntag gegen Mainz? Die Sprache ist klar und derb, und wenn man Lotto King Karl richtig versteht, wünscht er sich diese Art Höflichkeit auch im Umgang mit den Spielern. "Dass man auch mal sagt, das war Scheiße. Wir haben insgesamt so eine gepamperte Situation." Aber seine wichtigste Botschaft an die große HSV-Familie in diesem komplizierten, nervenzehrenden Abstiegskampf ist viel einfacher: Arsch hoch, umstandslos. "Es geht darum", sagt der Stadionsänger, "dass am Sonntag alle am Start sind."

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