Bundesliga: VfL Wolfsburg:Stadt ohne Stürmer

Beim VfL Wolfsburg hat sich in der Winterpause einiges verändert - nicht unbedingt zum Besseren. Vor dem Spiel gegen den FC Bayern plagt Trainer Steve McClaren vor allem eine Frage: Wer soll bloß die Tore schießen?

Boris Herrmann

Auf den ersten Blick gibt es nicht viel Neues. Steve McClaren ist immer noch da, er versteht es weiterhin, sein Publikum zum Lachen zu bringen und er ist offenbar wild entschlossen, sich auch zukünftig um die deutsch-englische Sprachfreundschaft verdient zu machen. "In Vorrunde we have been mal so, mal so", sagte er in seiner Neujahrsansprache vor der Presse am Donnerstag.

Borussia M'gladbach v VfL Wolfsburg - Bundesliga

War schon mal Bundesliga-Torschützenkönig: Wolfburgs Grafite.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Mal so, mal so ist eine eher beschöni-gende Bilanz des ersten Halbjahres von McClaren als Trainer beim VfL Wolfsburg. Ein Halbjahr, in dem aus einem legitimen Champions-League-Anwärter ein potenzieller Abstiegskandidat geworden ist.

McClarens Team hat die Hinserie mit 19 Punkte auf Platz 13 abgeschlossen, es hat in keinem Ligaspiel über volle 90 Minuten überzeugt und sich darüber hinaus eine stilistisch konsequente Pokalschlappe gegen den Zweitligisten Energie Cottbus geleistet. Man muss sich also nicht wundern, dass der Wettanbieter Oddset die beste Gewinnquote des ersten Rückrunden-Spieltags für einen Heimsieg des VfL Wolfsburg ausschüttet.

Am Samstag ist der FC Bayern zu Gast in der VW-Arena. Und nicht nur in den Wettbüros ahnen sie, dass sich seit Weih-nachten eben doch so einiges verändert hat in Wolfsburg - allerdings nicht unbedingt zum Besseren. München hat im Mo-ment so viele Stammtorhüter wie der VfL Wolfsburg Stürmer hat.

Einer der beiden Angreifer, die bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe dem Profikader von Steve McClaren angehörten, heißt Mario Mandzukic. Er hat sich in der Vorrunde zwar redlich bemüht, seinen Kaufpreis von acht Millionen Euro zu rechtfertigen; mehr als ein paar rüde Fouls und die Schwalbe des Jahres sind dabei allerdings nicht herausgekommen. Ein Tor war zumindest nicht dabei.

Der andere Stürmer hört auf den Namen Grafite, traf in 14 Einsätze immerhin sieben Mal, fühlt sich in Wolfsburg aber trotzdem nicht mehr so ganz wohl. Zu Beginn der Winterpause waren Einbrecher im Haus des Brasilianers, sie haben ihn um eine Schmuckschatulle im Wert von angeblich 100.000 Euro erleichtert. Am Ende der Winterpause wurde Grafite auf etwaige Wechselabsichten nach Katar noch in der laufenden Transferperiode angesprochen. Er sagte: "Ich beteilige mich nicht an solchen Spekulationen."

Nur zur Erinnerung: Der VfL hat vor wenigen Tagen den besten Stürmer verkauft, den er jemals hatte. Noch ist aber kein adäquater Ersatz für Edin Dzeko in Aussicht. Zum Bayern-Spiel ist nicht einmal irgendein Ersatz da. Es wird derzeit am Mittellandkanal viel darüber geredet, wer den Klub noch alles verlassen könnte. Von konkreten Anlagestrategien bezüglich jener 35 Millionen, die Dzekos Weggang in die Kassen gespült hat, hört man indes wenig. Wie Steve McClaren die ganze Sache findet? "Gefährlich."

Heimliche Liebe

Für den Verein besteht ohne Dzeko tatsächlich die reale Gefahr, dass er seine bessere Saisonhälfte bereits hinter sich hat. Gerade einmal vier Punkte beträgt der Abstand zum Relegationsplatz. Manager Dieter Hoeneß hat zwar versprochen, dass sein Klub mit dem Abstiegskampf nichts zu tun haben werde, die Geschichte lehrt jedoch, dass es nicht selten jene erwischt, die sich am längsten in Sicherheit wähnen - und dabei am wenigsten Tore schießen.

Für McClaren selbst wiederum ist die Lage noch gefährlicher, weil er gewiss nicht mehr dabei wäre, wenn es tatsächlich so weit käme. Eine Gnadenfrist bis Ende des Monats gilt als realistisch. Mag sein, dass Hoeneß auch deshalb nicht mit dem Kescher über den Transfermarkt zieht, weil er erst einmal abwarten will, für welchen Trainer er dort überhaupt einkaufen geht. Hoffenheims ehemaliger Betreuer Ralf Rangnick ist ja neuerdings verdächtig arbeitslos und der Vertrag von Hannovers Mirko Slomka läuft nach dem heutigen Kenntnisstand spätestens zum Saisonende aus.

Steve McClaren ahnt natürlich, dass er derartige Gerüchte nur mit drei Punkten gegen Bayern halbwegs unter Kontrolle halten kann. Er spricht weiterhin tapfer vom großen Neuaufbau Wolfsburgs, ohne genau zu wissen, ob er dieses vage Projekt überhaupt mitgestalten darf. "Wir brauchen mehr Spieler!", hat er am Donnerstag fast schon flehend in den Presseraum gerufen. Hoeneß war nicht anwesend, und so konnte er auch nicht hören, dass sich sein derzeitiger Coach gar drei bis vier Zugänge noch im Januar ausmalt. Auf die Frage, welche Spielertypen er am dringendsten benötige, witzelte McClaren: "Ich mag Stürmer, die pro Saison 30 Tore machen."

Der Witz ist unter anderem deshalb so gut, weil eine große Portion Wahrheit in ihm steckt. Es müsste schon ein bislang unbekannter Heilsbringer über dem holprigen Rasen der VW-Arena herniederschweben, wenn es mit Wolfsburg und McClaren doch noch was werden soll. Das Beste an der gegenwärtigen Perspektive des Engländers ist zweifellos die Tatsache, dass sich auch andere Klubs wie Bremen oder Hoffenheim in der Winterpause ordentlich verschlechtert haben.

Das Zweitbeste ist, dass sich die leidige Systemfrage vorläufig zu seinen Gunsten entschieden hat. Seit Wolfsburg in einer 4-4-2-Formation Meister wurde, gilt diese Spielweise im Mannschaftskreis praktisch als verbindlich. Steve McClarens heimliche Liebe ist aber ein Fünfer-Mittelfeld mit nur einem Stürmer. Bei dem aktuellen Kaderzuschnitt ist es das einzige System, das Wolfsburg noch spielen kann.

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