Bundesliga-Transfers:Neue deutsche Wertarbeit

Im deutschen Fußball hat sich ein Selbstverständnis entwickelt, das Spieler wie Diego, Zé Roberto oder van Nistelrooy für entbehrlich hält. Die Vereine versorgen sich lieber mit Absolventen der Nachwuchsschulen. Allerdings steigt auch die Exportrate deutscher Spieler - noch reagieren die Klubs darauf gelassen.

Philipp Selldorf

Als Diego vor zwei Jahren von Werder Bremen zu Juventus Turin wechselte, gab es namhafte Bundesliga-Manager, die ernsthaft ärgerlich waren auf den FC Bayern. Sie hätten gern gesehen, wenn die Münchner dafür gesorgt hätten, der Liga die Zirkus-Attraktion Diego zu erhalten. Wenn Diego jetzt erneut das Land verlässt, kümmert das so recht keinen mehr.

Mario Goetze of Germany celebrates his goal against Brazil during their friendly soccer match in Stuttgart

Begehrter Spieler bei ausländischen Klubs: Dortmunds Mittelfeldspieler Mario Götze.

(Foto: REUTERS)

Der Brasilianer ist zwar immer noch ein anerkannt interessanter Fußballer, aber die Bundesliga meint, dass sie auch ohne ihn gut auskommt. Im deutschen Fußball hat sich ein Selbstverständnis entwickelt, das Stars wie Diego, Zé Roberto oder van Nistelrooy neuerdings für entbehrlich hält.

Die Liga hat in diesem Sommer mit allenfalls mäßigem Eifer Handel getrieben, die zum Schlusstag getätigten Eilabschlüsse haben daran nichts geändert. Das Gros der Klubs scheint sich einer Diät unterworfen zu haben. Viele können sich keine teuren Transfers leisten, aber der Verzicht auf große Ausgaben hat nicht nur mit limitierten Mitteln zu tun, sondern auch mit der Entdeckung und Wertschätzung der heimischen Ressourcen (die Chelsea- Diät des Hamburger SV ist ein Sonderfall).

Ein klares Zeichen für den Wandel auf dem Markt ist das Verhalten der besser ausgestatteten Vereine, die sich lieber mit Absolventen der Nachwuchsschulen versorgten als mit Brasilianern oder Argentiniern.

Dortmund verpflichtete lediglich einen namhaften Ausländer (Perisic), die weiteren Verstärkungen für die Champions League sind der junge Revierfußballer Gündogan und ein paar verheißungsvolle Junioren aus unteren Ligen. Auch Leverkusen forderte für die Eliteliga keine Prominenz an, sondern heimische Spitzentalente (Schürrle, Toprak).

Der FC Schalke 04, der keineswegs reich, aber immerhin liquide ist, schöpfte sein Transferbudget bei weitem nicht aus, weil er lieber auf Leute wie Draxler, Holtby oder Höger setzt. Bayern München gab zwar einen Haufen Geld aus, vertraut dabei aber ebenfalls auf neue deutsche Wertarbeit (Neuer, Boateng, Petersen). Und was sollten sie jetzt mit einem Diego anfangen? Sie haben Kroos, sie haben Müller.

Die jungen Profis in den Vereinsinternaten dürfte diese Entwicklung ermutigen. Wie es aber das Publikum auf Dauer verkraftet, wenn die exponierten Spieler verloren gehen, weiß man noch nicht, denn auch die Exportrate für die Stars aus eigener Produktion steigt: Özil, Khedira, Sahin, jetzt Mertesacker - und wie reagieren die Dortmunder, wenn ihnen das nächste Mal jemand 40 Millionen Euro für Götze bietet? Derzeit würden sie wohl erwidern: Dann holen wir halt einen anderen Götze aus dem Lehrlingsbetrieb.

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