Bundesliga:Skripnik flüsterte: "Du musst unseren Arsch retten"

Werder Bremen v Eintracht Frankfurt - Bundesliga

Anthony Ujah (li.): Im Winter von Chinesen umworben - nun ganz wichtig für den Bremer Klassenerhalt

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Von Frank Hellmann, Bremen

Schnell war klar, dass es keine Alternative dazu gab, die Tore zum Spielfeld zu öffnen. Zu viele glücksselige Menschen hatten in der Ostkurve des Weserstadions an die Absperrungen gedrängt. Die Anhängerschaft des SV Werder Bremen wollte den Lieblingen ganz nahe sein - und dieser Wunsch wurde ihnen am Ende eines Nachmittags nicht verwehrt, der emotionaler kaum hätte enden können.

Das Weserstadion war ein grün-weißes Jubelmeer, weil mit dem 1:0 (0:0) gegen Eintracht Frankfurt doch noch auf direktem Wege der Klassenerhalt geglückt ist. "Das war das größte Erlebnis in meinem Leben. Ein Riesenstein ist weg", meinte Rechtsverteidiger Theodor Gebre Selassie. Gemeinhin gilt der Tscheche nicht als Mann der großen Worte, aber seine Sätze beschrieben ziemlich treffend die gewaltige Erleichterung in der Hansestadt.

Wann gab es im Weserstadion einen lauteren Freudenschrei als nach dieser 88. Minute, in der Papy Djilobodji einen Ball über die Linie grätschte, den zuvor Anthony Ujah mit allerletztem Einsatz Richtung Tor gebracht hatte? Wenn die Kampagne "Werder braucht Bremen - Bremen braucht Werder" ein effektvolles Bild für all die Entschlossenheit benötigt, die dieser Standort beim Überlebenskampf einsetzte, dann lag er in dieser spielentscheidenden Sequenz.

Djilobodji stand schon stark in der Kritik - nun ist er der Retter

"Ich kann mich an den Moment gar nicht mehr erinnern. Irgendwann war der Ball nur im Tor", stammelte der Senegalese Djilobodji und lächelte selig. Das Strahlen wollte beim vom FC Chelsea entliehenen Innenverteidiger nicht weichen, schließlich hat der 27-Jährige in der Bundesliga ganz andere Zeiten erlebt. Seine "Hals-ab"-Geste im Heimspiel gegen den FSV Mainz kostete ihm bundesweit nicht nur viel Kredit, sondern brachte ihm eine Sperre durch das Sportgericht und eine Anzeige einer Privatperson ein - nun stieg genau dieser Abwehrspieler zum Retter auf.

Zusammen mit einem Stürmer, der zunächst die 1:0-Erlösung für sich reklamierte, die Trainer Viktor Skripnik als "reif für die Geschichtsbücher" einstufte. Ujah riss sich nämlich das Trikot vom Leib, klopfte kräftig auf seinen muskulösen Oberkörper und vollführte einen Jubellauf, bei dem der Nigerianer das Ziel gar nicht kannte. "Ich bin noch nie so schnell gesprintet wie nach diesem Tor", beschied er lachend. "Für mich ist das alles unglaublich." Dass ihm das Tor gar nicht zugesprochen wurde, war dem Angreifer egal. "Es war das wichtigste Tor der Saison", sagte Ujah.

"Es darf nicht immer auf den letzten Spieltag ankommen"

Der immerhin elffache Werder-Torschütze ist ja nur noch Teilzeitarbeiter, seit ein 4-1-4-1-System greift, in dem der Altmeister, Torjäger Claudio Pizarro, die alleinige Spitze gibt. Der im vergangenen Sommer vom 1. FC Köln verpflichtete Ujah war in der Hinrunde die Bremer Lebensversicherung, büßte aber trotzdem seinen Stammplatz ein. Nun brachte ihn Skripnik für die letzte halbe Stunde - und flüsterte ihm ins Ohr: "Du musst unseren Arsch retten." Ujah nahm den Hinweis auf und dankte mit seiner wichtigsten Tat dieser so wankelmütigen Werder-Spielzeit. "Ich habe immer versucht, der Mannschaft zu helfen", sagte der 25-Jährige, für den im Winter ein verlockendes Angebot aus China vorlag. Dass Geschäftsführer Thomas Eichin es damals ablehnte, war eine kluge Entscheidung.

Gleichwohl war speziell für Eichin hinterher nicht alles eitel Sonnenschein: "Natürlich war der Abpfiff pure Erleichterung und es war positiv, dass wir dem Druck standgehalten haben. Aber insgesamt war es eine ganz schwierige Saison und es darf nicht immer auf den letzten Spieltag ankommen. Ich habe keine Lust mehr auf diesen Stress."

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Längst hat der mitunter hemdsärmelige Manager eine schonungslose Analyse angekündigt, in der mit Cheftrainer Skripnik vor allem die schwache Hinrunde aufgearbeitet werden soll. "Mit der Punktezahl der Rückrunde fühle ich mich bestätigt, dass in der Mannschaft mehr steckt. Wir müssen dem Aufsichtsrat erklären, wie wir uns das in der Zukunft vorstellen." Es gebe nichts schönzureden: Die Saison sei nicht so gelaufen wie gewünscht.

Skripniks Zukunft ist offen: "Ich habe Vertrag bis 2017", sagt er nur

Deshalb ist trotz all des Überschwangs, der vor allem bei den Fans rund ums Weserstadion herrschte, auch nicht sicher, ob Skripnik wirklich Trainer bleibt. "Wir sitzen zusammen und dann sagen wir was. Ich habe Vertrag bis 2017", sagte der 46-Jährige nur. Der gebürtige Ukrainer machte allerdings auf der Zielgeraden vieles richtig. Speziell gegen die Eintracht ging schlussendlich die Taktik auf, den Gegner erst zu kontrollieren und dann immer mehr einzukreisen und zu zermürben.

"Bei einem 0:0 brauchst du nicht sofort ins Risiko zu gehen. Wir hatten viele Sachen im Kopf", erklärte Skripnik, "die erste Halbzeit war sicherlich nicht so attraktiv." Das Signal zum bedingungslosen Angriff gab die Trainerbank erst spät - und schlussendlich musste die Koproduktion zweier Spieler helfen, die in dieser Saison den Fußball in all ihren Facetten kennengelernt haben. Im Positiven wie im Negativen.

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