Bundesliga:Sie spielen Roulette statt Fußball

Burnley v Hannover 96 - Pre-Season Friendly - Turf Moor

Fans von Hannover 96 beim Spiel gegen Burnley. Das Match wurde nach Ausschreitungen abgebrochen.

(Foto: dpa)

Die Transfersummen explodieren, die Kommerzialisierung galoppiert und um die 50-plus-1-Regel wird gefeilscht: Warum die Bundesliga sich zum Auftakt so wenig mit Fußballspielen beschäftigt.

Kommentar von Klaus Hoeltzenbein

Die Nachrichtenlage zur Fußball-Bundesliga bestand jüngst aus Meldungen wie dieser: Martin Kind, dem Klubboss von Hannover 96, wird von Freitag bis Sonntag Objektschutz gewährt. Die Ordnungshüter haben für das komplette Startwochenende der Liga "eine Gefährdungssituation" erkannt. Anscheinend befürchtet die Polizei, dass der Dauerzwist zwischen Kind und Teilen der Fanszene zu strafbaren Aktionen gegen dessen Immobilien führen könne.

Hannover, die Stadt des Aufsteigers, ist plötzlich ein Epizentrum der zentralen Debatte des Fußballs. International wird die Frage gestellt: Wem gehört das Spiel? In Deutschland wird sie konfliktreich ergänzt: Wem gehören die Vereine? Nun haben jene, die sich unter dem Sammelbegriff "Ultras" organisieren, in Hannover zu einem Stimmungsboykott im Stadion aufgerufen. Und Klubchef Kind, der sein Vermögen mit dem Vertrieb von Hörgeräten gemacht hat, will scharfe Grenzen ziehen. Ultras? "Wir brauchen sie nicht."

Mit der Rhetorik des Unternehmers, der streng durchregiert, kommt er in diesem Fall aber kaum weiter. Nicht in der aktuellen Gemengelage, in der die Ultra-Szene so viele Alibi-Argumente aufzählen kann, weshalb es in den Stadien gerade qualmt: explodierende Transfersummen, galoppierende Kommerzialisierung, Skandale und Korruption in der Sportpolitik. Manchmal ist die Ausrede auch nur regionaler Natur: Jüngst stand ein Nordderby wegen Feuerwerks vor dem Abbruch - Rostocker hatten den Fans von Hertha BSC ein Banner geklaut, das sie im Stadion verbrannten. Es wächst die Befürchtung, dass diese Gewalt-Folklore eskaliert. Dass die Debatte in Hannover einen weitaus substanzielleren Hintergrund hat, macht sie nicht ungefährlicher, im Gegenteil. Es geht dort um die Frage, wem der Verein gehört, verborgen ist sie hinter einer Chiffre: 50 plus 1.

Die 50-plus-1-Regel gilt exklusiv in Deutschland, sie steht in der Satzung für die erste und zweite Bundesliga. Zweck der Regel ist es, zu verhindern, dass Investoren die Macht in den Klubs übernehmen. Die Mitglieder sollen stets das letzte Wort haben, es muss ihnen eine Stimme mehr in der Versammlung aller Anteilseigner bleiben. Kritiker der Regel sagen, sie halte vor keinem EU-Gericht stand. Geklagt aber hat noch niemand. Kritiker sagen auch, diese Regel sei der Grund dafür, dass die Bundesliga in einer ins Absurde driftenden Fußballwelt - in der der Brasilianer Neymar soeben für die Ablöse von 222 Millionen Euro vom FC Barcelona nach Paris weitergereicht wurde - nicht mehr zukunftstauglich sei. Die Befürworter hingegen meinen, nur 50 plus 1 biete die Garantie dafür, dass die Liga ihre Traditionen wahren könne. Verwiesen wird auf Englands Premier League, in der die Klubs zwar viel finanzkräftiger seien, von Oligarchen, Scheichs und US-Turbo-Kapitalisten jedoch kulturell entkernt würden. Und wer ist der Weltmeister? Deutschland! Na eben. Alles gut?

Die neuen Herren dieses Gewerbes zahlen keine sportlichen Preise

Martin Kind hält die 50-plus-1-Regel für einen Anachronismus. Gerade heute, da sich immer neue Spieler um den Roulette-Tisch drängen. Chinas Staatspräsident Xi Jinping hat verfügt, dass sein Land bis 2030 eine Weltmeisterschaft ausrichten und bis spätestens 2050 den Titel gewinnen möge. Weshalb es Aufbauhelfer braucht, und der 1. FC Köln seinen Torjäger Anthony Modeste in einem 35-Millionen-Euro-Paket zu Tianjin Quanjian ziehen lassen musste. Das ist bescheiden im Vergleich zu dem, was mittels diverser Staatsfonds vom Persischen Golf aus aufgerufen wird. Vom bekanntesten Fußball-Oligarchen, dem Russen Roman Abramowitsch, heißt es, er habe in 14 Jahren zwei Milliarden in seinen FC Chelsea gesteckt - doch jetzt zieht sogar Abramowitsch zurück. Im Wettbieten zwischen Paris (Eigentümer: Katar Sports Invest) und Manchester City (Haupteigner: Abu Dhabi United Group Investment) werden ihm die Einsätze zu hoch. Rund 250 Millionen hat City allein in diesem Sommer investiert, um dem einstigen Bayern-Trainer Pep Guardiola eine Weltelf zu spendieren.

Katar, das mit Paris und Neymar dagegenhält, beschleunigt die Preisspirale, indem es keine marktgerechten sportlichen Preise, sondern in erster Linie politische bezahlt. Der Druck auf Katar ist gewaltig: Die globale Förderung der Elektromobilität gefährdet die Öl-Einnahmen, das vom großen Nachbarn Saudi-Arabien initiierte Handelsembargo bremst den Geschäftsfluss. In dieser komplexen Lage soll sich der Neymar-Transfer auszahlen, in Paris behaupten sie, er sei geradezu ein Schnäppchen. Das mag aus der Katar-Perspektive der Fall sein, sofern es dem Brasilianer gelingt, dann auch als das Werbegesicht der WM 2022 die Schlagzeilen wegzulächeln, von denen sich der Wüstenstaat gerade bedrängt sieht. Menschenrechtsorganisationen prangern weiterhin die unwürdigen, lebensgefährlichen Bedingungen auf den WM-Baustellen an; Staatsanwaltschaften weltweit prüfen, ob der Zuschlag gekauft wurde. Mit alldem hat sich der FC Bayern nun hautnah verknüpft. Trotz Kenntnis der Fakten intensiviert er seine Partnerschaft mit dem Hamad International Airport Qatar - gegen zehn Millionen Euro trägt der deutsche Rekordmeister das Logo des Flughafens auf dem Trikotärmel.

Um in diesen Geldströmen mit Hannover 96 nicht völlig unterzugehen, pocht Martin Kind auf die Ausnahme von der Regel. Denn auch die 50-plus-1-Regel kennt Schlupflöcher: Wer wie Kind mindestens 20 Jahre fördernd tätig ist, kann den Antrag stellen, sich die Klubsatzung auf den Leib schneidern zu lassen. Dietmar Hopp, einem der Gründer des SAP-Computerkonzerns, wurde dies bei der TSG Hoffenheim erlaubt; ähnliche Ausnahmen gelten für die Werksklubs aus Leverkusen (Bayer AG) und Wolfsburg (VW). Kinds Problem ist, dass er in Hannover einen Vermittlungskonflikt hat: Wer demokratische Regeln aufbrechen will, muss überzeugen und bessere Argumente haben, als nur durchregieren zu wollen. Man hat sich 50 plus 1 vorzustellen wie ein Gesetz zum Naturschutz. Auch solche werden bei übergeordnetem Interesse der Allgemeinheit gedehnt und gestreckt. Doch keiner bestreitet ihre Notwendigkeit, da sie vor Zerstörung schützen.

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