Neuer auf Schalke:Pfiffe, Jubel, Schadenfreude

Er hatte bei der Trennung Tränen in den Augen, er hatte Angst vor den Reaktionen der Fans - an diesem Spieltag stellte sich Fußballdeutschland nur eine Frage: Wie geht Schalke mit dem Flüchtigen Manuel Neuer um? Szenen einer Scheidung auf dem Spielfeld.

Sebastian Gierke

Er lief hüpfend und springend kurz vor dem Anstoß in sein Tor. Wie immer. Manuel Neuer lachte, applaudierte den Fans, winkte ihnen zu. Und wurde von Pfiffen begrüßt. Manuel Neuer lachte tapfer weiter. Auch wenn ihn jeder dieser Pfiffe tief getroffen haben muss. "Es ist schlimmer, von der eigenen Familie ausgepfiffen zu werden als von Leuten, die noch Fremde sind", hatte Neuer vor dem Spiel gesagt.

FC Schalke 04 v 1. FC Kaiserslautern - Bundesliga

Dank der Fans: Die Anhänger von Schalke 04 haben nicht nur Pfiffe für Manuel Neuer übrig.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Es gab jedoch auch Plakate, auf denen stand: "Du bleibst immer unser Manu", "Danke für 20 Jahre Schalke" oder auch "Wir verzeihen Dir". Das sollte der sensiblen Seele des Schalkers sehr gut getan haben.

Das Spiel des FC Schalke 04 gegen den 1. FC Kaiserslautern war das erste, nachdem der Torhüter seinen Abschied zum Saisonende verkündet hatte. Schon beim Aufwärmen hatten einige auf Schalke ihrem Unverständnis schrill Luft gemacht. Würden diese Pfiffe zu einem Proteststurm anschwellen, würde es zu einer Abrechnung mit einem Idol kommen, zu einer Demontage?

Um die Stimmung nicht zusätzlich aufzuheizen, hatten man auf Schalke jedenfalls das Anti-Bayern-Lied der Toten Hosen aus dem Programm genommen, das vor den vergangenen Heimpartien gespielt worden war. Darin heißt es: "Wir würden nie zum FC Bayern München gehen."

Weil die Münchner gar nicht gut gelitten sind auf Schalke, Neuer aber aller Voraussicht nach zu den Bayern wechseln wird, haben viele für diesen Nachmittag mit einem Ausbruch der Gefühle gerechnet. Das für Schalke eigentlich unwichtige Spiel endete 0:1, Kaiserslautern sammelte wichtige Punkte im Abstiegskampf und die Gefühlsausbrüche beschränkten sich auf die Roten Teufel.

Im Jahr 2006, bei seinem ersten Spiel in der Bundesliga für Schalke trug Neuer unter dem Trikot ein T-Shirt, auf dem in altdeutschen Lettern "Buerschenschaft" stand. Manuel Neuer ist aufgewachsen im Gelsenkirchener Stadtbezirk Buer, mit vier wurde er Schalke-Mitglied, später trat er dann der "Buerschenschaft" bei, einer ultra-nahen Fangruppe. Ein "waschechter Bueraner" sei er, hat Neuer selbst gesagt.

Er ist mit Haut und Haaren ein Schalker Kind. Seit der F-Jugend hat er jede Mannschaft des Klubs durchlaufen, Neuer stand in Blau-Weiß auf den Rängen des Schalker Stadions, feuerte von dort Jens Lehmann beim Bällefangen an. Der heute 25-Jährige erinnert sich noch genau, wie traurig er war, als Lehmann Schalke verließ. Doch gepfiffen, das habe er nicht: "Er war schließlich mein Idol."

An diesem Nachmittag wurde der ewige Schalker auf Schalke ausgepfiffen. Das war zu erwarten. Man musste nur die Diskussion der vergangenen Woche verfolgen, zum Beispiel auf Facebook. Unter dem Posting, in dem Neuer seinen Abschied bekanntgegeben hatte, sammelten sich innerhalb weniger Stunden Tausende Kommentare, viele Schalker beschimpften Neuer, als "Judas" , als "Söldner".

Jubelsturm in der Arena

Einige Fans planten sogar eine Aktion: "Nächstes Heimspiel gegen K'lautern. Schmeißt eure Trikots, Schals und Mützen mit dem Aufdruck des Judas auf das Spielfeld. Lasst uns ihm klarmachen, dass er ab sofort eine Person non grata darstellt. Geplanter Beginn: Spielminute 19:04. Ein Leben lang, blau und weiß ein Leben lang. Wir sind Schalker und Du nicht!!!"

Doch als dann die Stadionuhr 19:04 zeigte, passierte: nichts. Immer wenn Neuer am Ball war, hallten Pfiffe durch die Arena, das schon. Irgendwo war ein kleines Pappschild zu sehen: "Geh doch gleich zum BVB!" Doch von einem Proteststurm war das alles weit entfernt. Und die Pfiffe wurden sofort von Applaus übertönt. Das Schalker-Publikum war sich nicht einig. Hatte man es hier tatsächlich mit einem Verräter zu tun? Oder muss man einem wie Neuer dankbar sein, für das, was er für Schalke geleistet hat?

Als die Stadionuhr 23.21 Uhr zeigte, hielt Neuer in gewohnter Weise herausragend gegen Christian Tiffert. Den Pfeiffern ging die Luft aus, der Applaus für Neuer wurde bei jeder seiner Ballberührungen stärker.

Ein Jubelsturm erfüllte die Arena allerdings erst, als in der zweiten Halbzeit auf der Videoleinwand eingeblendet wurde, dass die Bayern in Frankfurt in Rückstand geraten waren - und damit um die Champions League bangen müssen. "Ich will weiterkommen und den nächsten großen Schritt machen. Ich will dauerhaft auf höchstem Niveau spielen. Das ist die Champions League." So hatte Manuel Neuer seinen Wechsel begründet. Die Schadenfreude einiger Fans musste er sich jetzt gefallen lassen.

Die eigene Mannschaft gab jedenfalls wenig Anlass zur Freude: Denn wer das Spiel gegen Kaiserslautern gesehen hatte, der konnte Neuer gut verstehen. Die Schalker stehen zwar im Halbfinale der Champions League gegen Manchester United, doch warum, das wurde an diesem Nachmittag nicht klar. Die Gäste aus Kaiserslautern hatten die Partie meist im Griff. Nur selten kamen die Schalker gefährlich vor das Tor. In der 42. Minute ließ Srdjan Lakic mit einer Direktabnahme Manuel Neuer keine Chance. Danach konzentrierte sich Schalke ganz darauf, den Spielbeobachtern aus Manchester ja keine Stärke zu offenbaren.

Und in der sonnendurchfluteten Arena träume wohl so manch ein Fan vom Champions-League-Sieg. Mit Manuel Neuer. Und einige andere träumten von den Bayern. Von den Bayern in der Europaleague. Mit Manuel Neuer.

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