Bundesliga-Relegation: Marco Reus:Held der Rettung

Neben Trainer Lucien Favre feiert Borussia Mönchengladbach vor allem Marco Reus - für seinen entscheidenden Treffer beim Spiel gegen den VfL Bochum und die Treue zum Verein.

Philipp Selldorf, Bochum

Ab und zu ging die Tür auf, dann fiel der Blick in die Kabine des VfL Bochum. Männer mit Bierflaschen saßen dort, das erstaunte nicht. Auffallend war aber, dass sie an den Flaschen nippten wie am Feierabendbier, anstatt es herunterzustürzen wie ein Betäubungsmittel. Schließlich kam Bochums Torwart Andreas Luthe aus der Kabine und lieferte einen Bericht zur Lage, der nicht mal das Mikropartikel eines Dramas erkennen ließ.

Borussia Moenchengladbach's Dante of Brazil and Reus celebrate beating VFL Bochum 2-1 on aggregate following their German Bundesliga relegation soccer match in Bochum

Prägende Figuren in Gladbach: der geschorene Dante und Torschütze Marco Reus.

(Foto: REUTERS)

"Wir haben trotzdem eine sehr gute Saison gespielt, das sollte man im Hinterkopf behalten", mahnte Luthe mit der Sachlichkeit eines vom Amt bestellten Gutachters. Es blieb daher dem Bochumer Finanzvorstand Ansgar Schwenken vorbehalten, den Ausgang des zweiten Treffens mit Borussia Mönchengladbach angemessen zu würdigen: "Wer die Relegation verliert, ist der Arsch."

Wem die Rolle des Verlierers zugefallen war, das war nach der Partie im Bochumer Stadion gar nicht so offensichtlich. Die Ränge blieben fast so voll, wie sie es bereits beim Anpfiff waren. Beide Teams wandten sich an ihre Anhänger und empfingen die größten Sympathien. Beide Trainer wurden von den Fans genötigt, vor die Kurven zu treten und sich feiern zu lassen.

Hier hätte dann aber auch der weniger sachkundige Betrachter den Unterschied bemerkt: Während Friedhelm Funkel mit der Haltung eines innerlich bewegten Mannes die Ovationen tapfer erwiderte, musste sich Lucien Favre von den Spielern in die Luft werfen lassen wie eine Strohpuppe. Sie nahmen ihn in ihre Mitte und drückten ihn wie einen Freund, und weil sie kein Bier zur Hand hatten, benetzten sie ihn notdürftig mit dem Inhalt ihrer Trinkflaschen. So war nun wirklich jedem klar, dass beim 1:1 zwischen Bochum und der Borussia Favre und seine Elf die Sieger waren.

Favre hat später betont, was für ein starker Gegner der VfL in den aufregenden Spielen um den 18. Bundesliga-Platz war, den Lobeshymnen des Kollegen Funkel an sein Team ("wir waren über 180 Minuten absolut gleichwertig") hat er mit keiner Silbe widersprochen, was nicht allein an Favres ausgeprägter Höflichkeit lag. Trotzdem dürfte wohl keiner der beiden Trainer widersprechen, dass der Gladbacher Erfolg folgerichtig und verdient war.

Bochum war nach dem 0:1 im Hinspiel nicht fähig, den Vorteil der Führung im Rückspiel (durch Nordtveits Eigentor) zu nutzen, Borussias spielerische Überlegenheit setzte sich durch. Das Ausgleichstor durch Marco Reus hatten die Gladbacher durch erhöhte Aktivitäten in Bochums Hälfte angekündigt. Sowie das 1:1 gefallen war, verschwand schlagartig alle Brisanz aus dem Spiel.

Ein Nationalspieler entscheidet die Partie

"Am Ende entscheidet ein deutscher Nationalspieler, das war der Unterschied", meinte Torwart Luthe, allerdings hatte er dabei den belgischen Nationalspieler Igor de Camargo vergessen, der kurz vor dem 1:1 eingewechselt wurde und sich sofort bemerkbar machte - durch seine brillante Vorlage für Reus.

Es gehörte zur Dramaturgie dieser fabelhaften Rettung eines Totgeglaubten, dass Reus das Tor schoss und ihm die Heldenrolle übertragen wurde. Tagelang hatte er die Nerven der Fans strapaziert, weil es wegen seiner Muskelverletzung unklar blieb, ob er würde spielen können.

Natürlich spielte er, wenngleich etwas eingeschränkt und obendrein von Bochumern unerbittlich verfolgt und mehrmals böse gefoult. Reus sagte, durch sein Tor sei "eine unglaubliche Last abgefallen", und nun sollten wohl auch die letzten Spekulanten im Land einsehen, dass es keinen Sinn hat, ihn zu einem Klubwechsel zu animieren.

Reus hatte im vorigen November mit der Borussia einen Vertrag bis 2015 geschlossen; zu einer Zeit, als der Abstieg eine ziemlich konkrete Perspektive war, erklärte er, er fühle sich "super wohl" am Niederrhein. Die Branche hat das in ihrer zynischen Art als kommerziellen Winkelzug des Vereins aufgefasst.

Aber Reus hat es ernst gemeint mit seinem Bekenntnis, er wollte sogar mitgehen in die zweite Liga, falls es schief gegangen wäre, und die Klubführung darf sich nun gleich noch mal gratulieren: Im vergangenen Sommer hatte sie ein Angebot des VfL Wolfsburg über 15 Millionen Euro für Reus abgelehnt.

Mit Schmerzen war Reus ins Spiel gegangen, humpelnd verließ er das Stadion, aber die Einladung zur bevorstehenden Reise mit der Nationalelf wird er nicht ein drittes Mal ausschlagen, nachdem er schon zweimal hatte absagen müssen. "Ich fahre auf jeden Fall", versprach er. Was bedeuten Schmerzen, wenn das Glück so groß ist? So eine Relegationsrunde ist zwar ein hartes Verfahren, aber für Fußballer ist sie ein einmaliges Erlebnis.

Spiele wie in Bochum, bei denen das gesamte Publikum 90 Minuten klatscht, singt, brüllt und niemals an die Lachshäppchen in der Pause denkt, wird ein Spieler von Bayern München vermutlich niemals erleben. Trotzdem möchte Martin Stranzl, Gladbachs österreichischer Verteidiger, nie wieder so einen Abend erleben: "Den Nervenkitzel brauchst du kein zweites Mal."

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