Bundesliga:Politik aus der Kurve

Die heftigen Proteste der FC-Bayern-Fans zeigen: Weil sich die Anhänger von den Vereinen wie Konsumenten behandelt fühlen, leiten sie daraus das Recht ab, sich wie Kunden zu beschweren.

Jürgen Schmieder

Wer heutzutage als Unternehmer erfolgreich sein möchte, der muss den Dialog suchen mit den Kunden - schließlich will er ein Produkt präsentieren, dass der Konsument gerne kauft und immer wieder goutiert. Also gibt es Telefon-Hotlines, bei denen die Kunden ihre Meinung kundtun und Verbesserungsvorschläge anbringen können. Es gibt Internetseiten wie etwa www.die-zahnarztempfehlung.de, wo Zahnärzte um wohlwollende Beurteilungen der Patienten buhlen. Es gibt Umfragen, welche Geschmacksrichtung sich die Fans eines Schokoriegels wünschen.

Bayern Fan Proteste

Die Fans des FC Bayern protestieren gegen eine mögliche Hilfe für den ungeliebten Stadtrivalen 1860 München.

(Foto: imago sportfotodienst)

Für Fußballvereine gestaltete sich der Dialog mit den Fans bis vor wenigen Jahren relativ einfach: Gewann die Mannschaft, jubelte das Volk und die Spieler bedankten sich artig für die Unterstützung. Verlor die Elf, gab es Pfiffe der Anhänger und entschuldigende Gesten der Akteure. Unterlag die Mannschaft häufiger hintereinander, dann durfte aus der Fankurve die Ablösung des Trainers mit einfachen "xxx raus"-Rufen gefordert werden, denen der Vorstand mitunter nachgab. Das war die einzige Möglichkeit von vox populi, ein wenig Einfluss zu nehmen.

Seit einigen Jahren allerdings verstehen sich Fußballklubs nicht mehr nur als Vereine, sondern als moderne Unternehmen - und die Anhänger fühlen sich bisweilen behandelt wie Konsumenten. Der Fan opfert nicht nur Zeit und Herzblut, sondern auch und vor allem Geld. Er kauft Eintrittskarten, Stadion-Bratwürste, Fanartikel. Der FC Bayern etwa hat in der vergangenen Saison 111,6 Millionen Euro aus dem Spielbetrieb eingenommen, dazu 38,9 Millionen Euro aus dem Bereich Merchandising. Knapp 50 Prozent des Jahresumsatzes sind also direkt von den Fans gekommen.

Die sehen sich selbst als Kunden des Vereins - und leiten daraus das Recht ab, sich wie Kunden zu beschweren. Und weil es beim FC Bayern keine Beschwerde-Hotline gibt, kein Internet-Bewertungsformular für die Arbeit des Vorstandes und auch keine Umfrage dazu, welcher Torwart denn genehm wäre, nutzen die Fans die einzige Möglichkeit, ihren Unmut kundzutun: durch lautstarke und plakative Aktionen während eines Spiels.

Zuerst hingen sie Plakate verkehrt herum auf und verhielten sich acht Minuten lang still - was in etwa einem negativen Eintrag auf einem Bewertungsportal entspricht. Danach protestierten sie heftig dagegen, dem ungeliebten Stadtrivalen 1860 München zu helfen, was einem wütenden Anruf im Kundencenter gleichkommt. Und schließlich gab es Widerstand gegen den möglichen Ankauf von Manuel Neuer. Das ist, als würden die Schokoriegel-Kunden per Umfrage mitteilen, dass sie keinesfalls Chili-Karamel als neue Geschmacksrichtung wollen.

Die Verantwortlichen des FC Bayern haben bestürzt auf die Proteste der Fans reagiert, Sportdirektor Christian Nerlinger sprach von einem "Schockerlebnis" und erklärte das Verhalten der Fans als "eine Schande für den FC Bayern". Die Proteste der Fans sind nicht auf den FC Bayern beschränkt, auch bei anderen Klubs wie etwa beim Hamburger SV, beim VfB Stuttgart oder bei Schalke 04 haben die Fans in dieser Spielzeit versucht, aktiv einzuwirken auf die Vereinspolitik - und haben erkannt, dass es durchaus funktionieren kann.

"Hätten wir nicht reagiert, wäre Babbel immer noch im Amt", schrieb ein Leser auf der Internetseite der Stuttgarter Zeitung unter einen Artikel über die Entlassung des damaligen Trainers Markus Babbel. Die Fans haben also eine nicht zu unterschätzende Macht - und sie sind sich dieser Macht durchaus bewusst.

Die Verantwortlichen der Vereine haben sich selbst in diese missliche Lage gebracht, indem sie ihren Anhängern zum einen das Gefühl geben, Kunden zu sein - und zum anderen, weil sie zugelassen haben, dass viele der Fan-Aktionen von Erfolg gekrönt waren. Nun müssen die Vereine zusehen, wie sie mit dieser schwierigen Situation umgehen.

Gegen die Kurve lasse sich keine Politik machen, das betonte Bayern-Präsident Uli Hoeneß in der Vergangenheit immer wieder. Nur müssen sich die Verantwortlichen der Vereine künftig genau überlegen, wie viel Politik die Kurve machen darf.

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