Bundesliga:Nebenberuf Eliteschiedsrichter

FC Schalke 04 - Bayern München

Auf dem Platz im Trikot, am Schreibtisch im Anzug: Marco Fritz während des Bundesligaspiels des FC Bayern beim FC Schalke 04.

(Foto: dpa)
  • Marco Fritz ist einer von zehn Fifa-Schiedsrichtern in Deutschland. Wie alle anderen deutschen Unparteiischen pfeift er im Nebenjob.
  • Im Hauptberuf ist Fritz Bankkaufmann. Auf diese Arbeit möchte er auch nicht verzichten.
  • In Deutschland gibt es im Gegensatz zu anderen Ligen keine Profi-Schiedsrichter.

Von Matthias Schmid, Stuttgart

Ungefähr eine Stunde vor einem Bundesligaspiel legt sich Marco Fritz erst einmal auf die Massagebank. Er lässt sich dann seine Muskeln lockern, sie durchmassieren. Vom eigenen Physiotherapeuten, den der Deutsche Fußball-Bund (DFB) seinem Schiedsrichterteam in der ersten und zweiten Liga genauso zur Verfügung stellt wie einen eigenen Fahrdienst vom Hotel zum Stadion. Es sind Annehmlichkeiten, die mittlerweile selbstverständlich sind im durchdesignten Profifußball.

Die Schiedsrichter in der Bundesliga sehen schon lange nicht mehr aus wie der legendäre Wolf-Dieter Ahlenfelder, der in den achtziger Jahren des vorigen Jahrtausends mit seiner rundlichen Gestalt ein eher gemütliches Bild des Unparteiischen zeichnete. Kein schwarzes Trikot spannt mehr am Bauch, sie kommen nicht atemlos am Strafraum an, wenn sie zuvor 60, 70 Meter quer über den Platz gesprintet sind. Bundesliga-Schiedsrichter sind heutzutage Leistungssportler, drahtig, fit - so wie Marco Fritz eben aus dem schwäbischen Örtchen Korb im Remstal.

Seit acht Jahren pfeift der 40-Jährige Spiele in der ersten Liga, seit fünf Jahren darf er sich das Logo des Welt-Fußballverbandes Fifa vorne aufs Trikot sticken lassen - als einer von nur zehn Schiedsrichtern in Deutschland. Er gehört zur deutschen Elite, Champions League, Pokalfinale in Berlin und die Europameisterschaft in Frankreich hat er schon als Aktiver erlebt. Aber wenn Fritz über seine Profession erzählt, hört sich das an wie bei einem Schiedsrichter, der in der Landesliga Württemberg Staffel 4 pfeift. Nach der englischen Woche neulich, als er die Partie zwischen dem FC Schalke 04 und dem FC Bayern leitete, setzte er sich am nächsten Tag um fünf Uhr morgens in den Zug heim nach Stuttgart. Dort angekommen holte er erst einmal seinen feinen Zwirn aus dem Auto, um sich im Büro umzuziehen.

Um 8.30 Uhr saß er wieder an seinem Schreibtisch hinter dem Computer. Im edlen schwarzen Anzug, schmalem weißem Stretchhemd und schicker Krawatte. Schiedsrichter ist er nur im Nebenjob, im Hauptberuf ist er Bankkaufmann. "Das macht mir Spaß", sagt Fritz, als er in seiner Filiale in der Stuttgarter Innenstadt am Konferenztisch Platz nimmt. Seit einem Jahr arbeitet er in der Königsstraße, davor war er Filialleiter unter anderem in Bad Cannstatt.

Vielleicht ist Fritz zu sehr Schwabe

Die steile Karriere als Schiedsrichter steht der Karriere als Banker natürlich im Weg. Fritz hat sich damit abgefunden, dass ihm in der Bank große Aufstiegschancen verwehrt bleiben, obwohl es Verbindendes gibt. Der Umgang mit Menschen zum Beispiel. "Ich habe auf dem Platz gelernt, Konflikte schneller und besser zu lösen", sagt Fritz. Im Konflikt mit sich selbst stehe er aber nicht, fährt er fort. Er weiß, was er will. Im Moment ist ihm sein Hobby, "die Pfeiferei", wie er es nennt, wichtiger als die Arbeit. Aber sie deshalb gleich aufgeben?

Vor fünf Jahren verständigte er sich mit seinem Arbeitgeber auf eine Teilzeitlösung, achtzig Prozent seines Arbeitspensums kann er nun flexibel abarbeiten. "Es war nie eine Überlegung", sagt Fritz, die Bank für den Fußball zu verlassen. Vielleicht ist er dafür zu sehr Schwabe. Diesen wird gern nachgesagt, sie würden das Risiko scheuen, sie sorgten schon in der Gegenwart für die Zukunft vor, bilden gern Rücklagen oder bauen sich ein Häusle. Als Schiedsrichter ist in der Bundesliga mit 47 Jahren Schluss. Unverrückbar ist das Renteneinstiegsalter. "Und was kommt danach?", fragt Fritz.

Fritz verdient als Schiedsrichter eine sechsstellige Summe

In England oder Frankreich gibt es Profischiedsrichter, in Deutschland sind die Unparteiischen Amateure, die aber wie Profis entlohnt werden. 79 000 Euro erhält ein Fifa-Schiedsrichter wie Marco Fritz seit dieser Spielzeit garantiert. Hinzu kommen 5000 Euro pro Spiel in der ersten Liga, allein 18 Mal lief Fritz in der vergangenen Saison in der Bundesliga auf. Die internationalen Einsätze in seinem Fall nicht zu vergessen. In einer Saison kommt da schon ein hübsches Sümmchen zusammen, mehr als 170 000 Euro.

"Angemessen", findet das der Bankkaufmann Fritz, "weil wir einen Riesenaufwand haben". Die Zuschauer sehen ihn nur in den etwa mehr als 90 Minuten auf dem Rasen. Die restliche Dienstzeit, die Vorbereitung, die Nachbereitung, die Fitnesseinheiten mit Waldläufen und Intervalltraining laufen im Verborgenen ab. Fritz schaut sich beispielsweise die strittigen Szenen in der Nachschau noch mal an und bespricht sie mit einem vom DFB bestellten Coach.

Sie gehen da sehr ins Detail. War der Laufweg der richtige? Oder hätte er länger auf den Fuß des Spielers schauen sollen? Solche Fragen behandeln sie. Der Fußball bestimmt seinen Alltag, freie Tage sind selten. Fritz hat das alles selbst so gewählt und sagt: "Das ist mein Leben." Bei ihm klingt das überhaupt nicht pathetisch, sondern kommt ihm so nüchtern über die Lippen wie seine Ansichten zum eingeführten Videobeweis. Zumindest in der Öffentlichkeit ist der bislang umstritten. Fritz missfällt die aufgeregte Debatte. Natürlich gebe es Fehler und Dinge, die verbessert werden müssten, sagt er, "aber ich würde mir wünschen, dass die vielen positiven Entscheidungen betont würden".

Eine Portion Eitelkeit gehört dazu

Im Schaufenster zu stehen, wie Fritz das nennt, gefällt ihm. Er gibt wie die Fußballer Interviews und signiert Autogrammkarten. Wer den Druck nicht aushält, sagt Fritz, schafft es erst gar nicht bis in die Bundesliga. Das Ausleseverfahren im Schiedsrichterwesen ist brutal. Fritz ist Protagonist der wichtigsten Unterhaltungsbranche in Deutschland. Eine Portion Eitelkeit gehört zum Geschäft.

Dabei hatte er ein ganz anderes Ziel, als er damals als wenig begabter, aber leidenschaftlicher Kreisklasse-Fußballer angefangen hat, seine ersten Spiele zu pfeifen. "Ich wollte nur einmal ein Spiel leiten, bei dem es auch feste Assistenten gibt", erzählt Marco Fritz mit einem Lächeln. Im Württembergischen Fußball-Verband ist das ab der Landesliga der Fall. Es ist nicht nur bei einem Spiel geblieben. Er ist aufgestiegen bis in die Bundesliga. Physiotherapeut und Fahrdienst inklusive.

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