Bundesliga: Borussia Dortmund ist Deutscher Meister:Ein schwarz-gelbes Meer

Drei Spieltage vor dem Saisonende feiert Borussia Dortmund seine siebte Fußball-Meisterschaft: Trotz zunächst starker Gegenwehr des 1. FC Nürnberg gewinnt Dortmund mit 2:0 und profitiert davon, dass Bayer Leverkusen große Chancen auslässt und unglücklich mit 0:2 verliert. Danach feiert die Mannschaft mehr als eine Stunde mit den Fans im Stadion.

Thomas Hummel

Um 16.53 Uhr gab es im Dortmunder Stadion, in den Dortmunder Kneipen, in den Dortmunder Hinterhöfen, wo ein Fernseher stand oder eine Leinwand gespannt war, kein Halten mehr. Die Nachricht rauschte durch die Stadt, dass 100 Kilometer weiter im Kölner Stadtteil Müngersdorf ein Tor gefallen war. Ein Tor auf der aus ihrer Sicht richtigen Seite, gegen Bayer Leverkusen, den letzten verbliebenen Verfolger im Kampf um die deutsche Meisterschaft.

Fussball 1. Bundesliga / Borussia Dortmund - 1. FC Nuernberg

Jubel in Gelb und Schwarz: Dortmund ist Meister.

(Foto: SvenSimon)

Um 17.09 Uhr traf der Kölner Milivoje Novakovic zum zweiten Mal, Leverkusen lag nun 0:2 zurück. Die schwarz-gelbe Gemeinde tanzte, berauschte sich an sich selbst, sang "Deutscher Meister wird nur der BVB!". Denn ihre Mannschaft führte da schon gegen den 1. FC Nürnberg 2:0. Und weil sich daran auch in den folgenden neun Minuten nichts mehr änderte, stand nun fest, worauf der deutsche Fußball seit Monaten wartete: Borussia Dortmund ist zum siebten Mal Deutscher Meister. Um 17.18 Uhr begann die Party in Westfalen.

Pilsgeduscht gab Jürgen Klopp sein erstes Interview als Meistertrainer. "Ich dachte, es fühlt sich anders an, viel euphorischer, aber vielleicht kommt das noch", sagte er und lobte seine Spieler: "Wie die Jungs arbeiten, wie sie zuhören, wie sie die Dinge umsetzen, das ist einzigartig." Etwas pathetisch wurde er dann doch: Sein Team habe immer über sich hinauswachsen müssen, "und 32 Mal über sich hinauszuwachsen, ist Wahnsinn". Im Hintergrund feierten da die Spieler vor der Südtribüne schon.

Dabei hatte die Stadt Dortmund mit ihren 600.000 Einwohnern und den vielen Menschen in der Region in der vergangenen Woche eine Art Schüttelfrost erfasst. Heiß und kalt war ihnen nach dem 0:1 in Mönchengladbach geworden, der Vorsprung war auf fünf Punkte geschrumpft. Kann das doch noch schief gehen? Geht der sicher geglaubte Titel doch nicht an die Borussia?

Wie reagierte Dortmund auf die neue Versagensangst in dieser Woche? "Auf einmal muss ich den Leuten draußen sagen: Jetzt bleibt mal ruhig!" hatte Trainer Klopp berichtet. Mit seiner Mannschaft habe er "die ein oder andere Sitzung" gehalten. Die fast 80.000 Zuschauer im Stadion betäubten ihre innere Unruhe vermutlich mit dem ein oder anderen Pils, vor allem aber mit Gebrüll und Gesang. Lange vor dem Anpfiff dröhnten die Rufe von der Südtribüne schon durch das Rund.

Auch der Leverkusener Anhang schrie für seine Verhältnisse ungewöhnlich forsch. In Köln sollte der Tabellenzweite seine kleine Chance auf den ersten Meistertitel der Klubgeschichte erhalten. Ausgerechnet in Köln, beim ungeliebten Nachbarn, der Wundertüte des Spieltags. Die Kölner hatten sich ja durch eine fulminante Heimserie schon fast vor dem Abstieg gerettet, zuletzt verloren sie aber drei Partien mit zwölf Gegentoren, der beliebte Trainer Frank Schaefer gab auf - und wurde von Sportdirektor Volker Finke ersetzt. Der 63-Jährige gilt vielen in Köln als Grund für Schaefers Rückzug, als "Königsmörder".

Die Spieler des 1. FC Köln reagierten auf die Turbulenzen in ihrem Klub mit fast wütendem Einsatz. Sie wollten in diesem Spiel gegen den Erzrivalen alles wieder gut machen, alle Verwerfungen vergessen machen. Sie führten grimmige Zweikämpfe und wollten die spielstarken Leverkusener an einer sensiblen Stelle treffen: dem stark körperlichen Spiel. Zumindest eine Viertelstunde lang. Dann beruhigten die Gäste die wilden Kölner, Michael Ballack, Lars Bender, Renato Augusto und Gonzalo Castro übernahmen die Kontrolle. Doch bis zur Halbzeit resultierte daraus nur eine gute Chance, nach 24 Minuten schoss Castro alleine vor dem Tor überhastet vorbei.

Leverkusen: zweimal Aluminium

Wenig später freuten sich immerhin die Kölner Anhänger, "Vizekusen, Vizekusen" riefen viele der 50.000. Die Anzeigetafel berichtete vom Dortmunder 1:0. Was in Köln nur die wenigsten wussten: Dieses Dortmunder 1:0 kam nach 32 Minuten überraschend.

Nürnberg hatte zwar nicht mit der Kölner Vehemenz das Spiel eröffnet, doch bald schon musste der schwarz-gelbe Meister-Kandidat erkennen, warum sein Trainer vorher "viel Arbeit" für seine Spieler prognostiziert hatte. Der Tabellen-Sechste erspielte sich mit großer Disziplin in der Defensive und schnellen Angriffen über Robert Mak, Julian Schieber und Mehmet Ekici Vorteile, und auch ein paar Chancen. Nach Standardsituation von Ekici hätten die Innenverteidiger Andreas Wolf und Philipp Wollscheid das große Stadion verstummen lassen können.

Vielleicht hemmte die Wucht des Ereignisses die jungen Dortmunder. Vielleicht vermissten sie den verletzten Kapitän Nuri Sahin. Vielleicht beindruckte sie die Meister-Versagensangst. Wie auch immer, sie fanden Gegenmittel: Einsatz, frühe Balleroberungen, einfaches Hoch- und Weitspiel. Vor dem 1:0 flog der Ball ein paar Mal hoch in den Gäste-Strafraum, den Abpraller schoss Mario Götze flach Richtung Eck, Torwart Raphael Schäfer konnte nur abklatschen und Lucas Barrios verwandelte im Nachschuss. Es war 16.03 Uhr, und Dortmund in diesem Moment Deutscher Meister.

Die Szene gab den Gastgebern neuen Mut, die Nürnberger wirkten irritiert. Linksverteidiger Javier Pinola verlor für einen Augenblick völlig die Orientierung, er sprang grotesk unter einem weiten Pass von Mats Hummels durch und Robert Lewandowski lupfte den Ball über Schäfer hinweg zum 2:0. Die 25.000 Fans auf der Südtribüne hüpften, es sah aus wie ein wogendes schwarz-gelbes Meer.

Während sich nach der Pause die Borussia und der 1. FC Nürnberg nicht mehr arg weh taten, schauten und hörten nun die Beobachter des Meisterrennens nach Köln. Leverkusen musste ja gewinnen, um sich die klitzekleine Chance auf Platz eins zu erhalten, und die Bayer-Mannschaft zeigte durchaus Willen. Immer überlegener spielten die Gäste, Stefan Kießling traf die Latte (51.), Ballack scheiterte aus zwei Metern per Kopf am kolossal reagierenden FC-Torwart Michael Rensing (63.).

Als der Leverkusener Druck immer größer wurde, gelang den Kölnern urplötzlich ein Gegenangriff, Miso Brecko passte schön auf Milivoje Novakovic, der Torwart René Adler überwand (67. - 1:0). Bayer-Trainer Jupp Heynckes stemmte sich gegen die Niederlage, brachte Tranquillo Barnetta und Eren Derdiyok, Renato Augusto traf mit einem Freistoß den Pfosten (75.), Kießling verpasste einen Meter vor der Torlinie (76.). Leverkusen musste den Eindruck haben, dass es einfach nicht sein sollte an diesem Tag. Kurz darauf wurden die Gäste bestätigt: Adler faustete einen Freistoß von Petit gegen den Körper von Novakovic, der mit der Fußspitze das 2:0 erzielte (82.)

100 Kilometer weiter feierte die Mannschaft des neuen Meisters über eine Stunde noch auf dem Rasen mit den 80.000 im Stadion. Kevin Großkreutz ließ sich von Felipe Santana die Haare wie verabredet abrasieren. Trainer Klopp musste vor der Südtribüne die obligatorische Bierdusche über sich ergehen lassen, die Spieler warfen den Coach in die Höhe und präsentierten im Vorgriff auf das Saisonfinale am 14. Mai stolz eine riesige Meisterschale aus Plastikfolie. In der Innenstadt meldete die Polizei schon unmittelbar nach dem Schlusspfiff Autokorsos und ein schwarz-gelbes Fahnenmeer.

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