Bundesliga:Leverkusen hat es versäumt, Sturkopf Schmidt zu zähmen

Mit seinen speziellen Sichtweisen verblüffte Roger Schmidt zuletzt auch seinen eigenen Verein. Doch am Misslingen der Liaison ist nicht nur er schuld.

Kommentar von Philipp Selldorf

Wenn ein Fußballspiel 6:2 endet und der Trainer von einem "guten Schritt in die richtige Richtung" und einem "sehr guten Auftritt" spricht, dann darf er mit viel Zustimmung rechnen. Es sei denn, es ist der Trainer der Verlierer-Mannschaft, der den Fortschritt seiner Elf preist. Doch welcher Fachmann mit Vernunft und Verstand würde so etwas behaupten, da ihm das Resultat so unzweideutig widerspricht?

Im deutschen Profifußball musste man nach diesem sonderlichen Wesen nicht lange fahnden. Es war bekannt im ganzen Land, dass der Trainer von Bayer Leverkusen grundsätzlich seine höchst eigene Auffassung von den Dingen vertritt und sich auch niemals scheut, gegen alle Gepflogenheiten diese ganz spezielle Sichtweise kundzutun. Und so hat auch am Samstag Roger Schmidt die Leute verblüfft mit seiner wohlmeinenden Interpretation der 2:6-Niederlage. Herrlich typisch auch folgender Satz: "Ich lasse mich nicht vom Ergebnis blenden."

Vielleicht hatte Schmidt recht, und der Auftritt beim BVB enthielt tatsächlich fortschrittliche Elemente im Vergleich zum schaurigen Auftritt beim 0:2 gegen Mainz zuvor. Allerdings waren die immer noch hinreichend alarmierenden Dortmunder Tatsachen nicht dazu angetan, es wieder mal besser zu wissen als die herrschende Meinung. Deshalb waren Schmidts Worte nicht nur sachlich unangebracht, für die handelnden Personen im Verein hörten sie sich auch wie eine Provokation an, fast wie eine Verhöhnung. Dass der Geschäftsführer Michael Schade die Tonart wechselte und sich vom Verteidiger zum Ankläger wandelte, ließ ahnen, was am Sonntag passieren würde. Auf den "Wundertüten"-Ruf des Bayer-Teams anspielend, hatte er erklärt: "In der Wundertüte war heute eine Niete."

Angestrebt war eine Trennung im Sommer

Das Geschehen am Sonntag widerspricht der Beschlusslage der Vorwoche: Bayer Leverkusen hat Schmidt nicht mitten in der Saison rauswerfen wollen. Das lag jedoch nicht daran, dass man ihn noch lange behalten wollte. Angestrebt hatte man, schon vor dem Dortmund-Spiel, eine Trennung im Sommer - und die geordnete Übergabe an den Nachfolger, eine Zwischenlösung sollte vermieden werden. Doch die jüngste Erfahrung mit einer erneut nicht verteidigungsfähigen Bayer-Elf und die Kommentierung durch den Chefcoach schufen neue Fakten. Lange Zeit hatten Schade und Sportchef Rudi Völler den Trainer gegen inneren und äußeren Druck verteidigt. Die Vertreter der Bayer AG im aufsichtführenden Gesellschafterausschuss hatten schon vorher die Trennung befürwortet.

Schuld am Misslingen der Liaison ist jedoch nicht nur der Trainer, der sich auf bornierte Art mit seiner Lehre verrannte und vor den Spielern die Überzeugungskraft verloren hatte. Völler hat Schmidts fachliche Eignung zwar immer hoch gelobt, aber er hat es versäumt, den faszinierend sturen Mann zu zähmen und zu dirigieren. Bayer 04 ließ Schmidt gewähren und hat ihn dadurch allein gelassen. Auch so erklärt sich dessen einsame Weltsicht.

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