Bundesliga:"In meinem Alter war Manuel Neuer nicht weiter als ich - im Gegenteil"

Fussball 1. Bundesliga / 1. FC Koeln - FC Schalke 04

"In meinem Alter war Manuel Neuer nicht weiter als ich - im Gegenteil": Timo Horn.

(Foto: SvenSimon)

Timo Horn ist mit 22 Jahren einer der besten Torhüter der Liga. Doch im Kampf um die Nationalmannschaft fehlt ihm etwas, was er in Köln kaum erreichen kann.

Von Philipp Selldorf, Köln

Timo Horn, 22, hat die wilden Zeiten des 1. FC Köln noch aus nächster Nähe miterlebt. Knapp volljährig kam er in eine Mannschaft, die umfassend die Vielfalt der Völker dieser Erde repräsentierte: "Wenn ich im Training einen Ball durchrutschen ließ, dann wurde ich in allen Sprachen der Welt durchbeleidigt", erinnert sich der Torwart. Außer seltsamen Sitten - der neue Mittelfeldstar meldete sich damals beispielsweise mit einem Übergewicht zum Dienst, von dem Horn nicht wusste, ob es zehn oder 15 Kilo waren -, herrschte am Geißbockheim ein fröstelndes Betriebsklima.

Noch nach einem halben Jahr gemeinsamer Trainingsarbeit kannten nicht alle Mitspieler Horns Namen, sie riefen ihn "Torwart". Die Mindesthaltbarkeit von Kabinengeheimnissen betrug nicht mehr als zwei Zigarettenlängen: "Wenn dort etwas besprochen wurde, stand es zehn Minuten später in der Zeitung". Auch Sitzblockaden am Teambus waren nichts Besonderes, sondern üblich. Selbst beim unschuldigen Reservetorwart Horn standen wütende Fans vor der Haustür, um ihren Ärger loszuwerden.

Dort wo Manuel Neuer ist, will Horn hin

Vier Jahre später müssen Horn diese Reminiszenzen ans bisher letzte Kölner Abstiegsjahr verstaubt und vergilbt vorkommen. Der 1. FC Köln ist jetzt ein Musterbetrieb der Bundesliga mit einer diskreten Kabine und einer anerkannten Amtssprache; und die FC-Spieler pflegen nicht nur gute Beziehungen untereinander, sondern auch einen in der Liga selten gewordenen Sportsgeist. Der Beweis: Kein einziger Kölner Profi hat sich vor dem Treffen mit dem FC Bayern an diesem Samstagnachmittag noch schnell die fünfte gelbe Karte besorgt, um gegen die übermächtigen Münchner zu pausieren. Auch Horn ist gern dabei, obwohl er weder an Chancengleichheit glaubt ("die Raumaufteilung der Bayern ist so gut, dass man immer glaubt, sie hätten zwei Mann mehr auf dem Platz") noch an ein sauberes Konto ("zu null spielen wird schwierig").

Doch er freut sich auf den Härtetest - und auf den Sichtvergleich mit Manuel Neuer. Denn dort, wo Neuer jetzt ist, möchte auch Horn hin. Nicht unbedingt ins Bayern-Tor, aber auf den Spitzenplatz der nationalen Torhüter-Rangliste. Und er findet, dass er auf keinem schlechten Weg sei: "In meinem Alter war Manuel Neuer nicht weiter als ich - im Gegenteil."

Letzteres ist nicht ketzerisch gemeint, es ist lediglich historisch korrekt. Als Neuer noch Schalkes talentierter junger Torwart war, trug er außer dem von den Eltern vorgesehenen Zweitnamen Peter auch den vom Boulevard vergebenen Spitznamen "Flutschfinger" - immer wieder entwischten ihm damals Bälle. Dies war kein Zeichen der Schwäche, sondern eines sich emanzipierenden Torwartspiels. Neuer begann seinen Radius zu erweitern und den Strafraum zu erobern. "Am Anfang ist man darauf bedacht, möglichst fehlerfrei zu spielen, dann wird man mutiger und verschafft sich Meter für Meter mehr Raumgefühl", sagt einer, der Neuers Entwicklung einschätzen kann - Timo Horn hat es nämlich in den drei Jahren, die er jetzt Stammtorwart des 1. FC Köln ist, genauso erlebt.

Köpke sagt, Neuers Stellvertreter sollten Europacup spielen

Der Unterschied ist, dass Horn noch nie Flutschfinger genannt wurde. In den bisher 134 Punkt- und Pokalspielen als Profi kamen zwar ein paar Fehler vor, aber allenfalls anderthalb grobe Missgriffe und schon gar keine Pannenserie. Peinliche Befragungen der Reporter hat Horn noch nicht erlebt, sein Karriereweg hat ihn unbelastet in die Mitte der deutschen Spitzentorhüter geführt. Was die Publicity angeht, ist seine Zuverlässigkeit fast ein Makel, weil sie längst selbstverständlich ist. Wenn es um die EM und die Plätze hinter Neuer geht, dann ist offiziell von Leno, Trapp, ter Stegen und Zieler die Rede, nicht aber von Horn, der sich einstweilen damit tröstet, dass er in diesem Kreis der Jüngste ist. Obwohl er so erwachsen wirkt, als wäre er den Anderen Jahre voraus.

Horn stammt aus einer Fußballerfamilie, sein Vater gehörte dem Zweitligakader von Fortuna Köln an, ehe eine Verletzung die Profilaufbahn stoppte. Während der WM 1998 beschloss der fünfjährige Timo, Torhüter zu werden, mit neun kam er zum FC, ab dem 15. Lebensjahr gehörte er konstant zu den Auswahlteams des DFB. Warum er Torwart wurde? "Weil die Aufgabe komplexer ist als die der Feldspieler", erklärt er. "Es ist eine Position für sich, fast ein Einzelsport."

Horn ist eher ein Kandidat für Rio als für die EM in Frankreich

Dass Manuel Neuer meint, er könne im Grunde nur mit anderen Torhütern über das Torwartspiel reden, das kann Horn verstehen: "Bei Sätzen wie 'wenn er rauskommt, dann muss er ihn haben' fasse ich mir an den Kopf", sagt er. Im Klub fungiert sein Torwarttrainer Alex Bade als exklusiver Partner für Spielanalysen und Fachgespräche, Cheftrainer Peter Stöger mischt sich nicht ein, weil ihm die Wissenschaft des Torwartspiels fremd ist. Stöger überlässt Bade sogar die Entscheidung, den Torwart aufzustellen.

Gern würde Horn auch mit Andreas Köpke öfter ins Detail gehen, aber der Fachreferent des Bundestrainers hat das Dogma erhoben, dass Neuers Stellvertreter Europacup-Erfahrung besitzen sollten. Die kann Köln seinem Stammtorwart bisher nicht bieten. So bekommt es Horn stattdessen regelmäßig mit Klaus Thomforde zu tun, dem Torwartcoach der U 21, und statt Frankreich lockt im Sommer Brasilien. Die Reise zu den Olympischen Spielen nach Rio würde Horn gefallen, aber es gibt ein Problem: Da sich die Bundesliga-Manager mit dem DFB darauf verständigt haben, dass pro Klub maximal nur jeweils zwei Spieler abgestellt werden, herrscht in Köln Gedränge am Check-in-Schalter: Außer Horn sind auch die FC-Profis Bittencourt, Heintz und Gerhardt Kandidaten für Horst Hrubeschs DFB-Mannschaft: "Das ist ein bisschen schwierig, das müssen wir klären."

Was Horn aber am meisten nervt, sind die ständigen Spekulationen, er wolle zugunsten seiner höheren Ambitionen den FC demnächst verlassen. Noch drängt ihn nichts, und schon jetzt freut er sich darauf, auch im nächsten Jahr beim Kölner Rosenmontagszug mitzufahren: "Es gibt nur eine Handvoll Vereine, für die ich das hier aufgeben würde", sagt er. Seit den verblichenen wilden Zeiten hat er den Aufstieg seines Klubs messbar mitgeprägt. Diese Geschichte fortzusetzen, "das sehe ich als Aufgabe und Herausforderung".

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