Bundesliga:Im warmen Nest

Nur wenige ausländische Profis identifizieren sich so mit ihrem Klub wie Rafael van der Vaart mit dem HSV.

Jörg Marwedel

Vergangenen Samstag beim Bundesligaspiel gegen Borussia Dortmund: In der 62. Minute wird Rafael van der Vaart ausgewechselt. Der Spielmacher des Hamburger SV hat nur einen kurzen Blick für Trainer Thomas Doll.

Bundesliga: Voller Einsatz für seinen Verein: Rafael van der Vaart.

Voller Einsatz für seinen Verein: Rafael van der Vaart.

(Foto: Foto: ddp)

Als der HSV mit 2:4 verloren hat, verlässt der Niederländer wortlos die AOL-Arena. Am nächsten Tag wird er sagen, er sei "sauer" gewesen über die Maßnahme des Trainers.

Und Bild wird titeln: "Van der Vaart und Doll: Der 1. Zoff". Doch als die Schlagzeile erscheint, ist die Dissonanz längst ausgeräumt. Bevor van der Vaart das Gespräch mit dem Coach suchen konnte, war dieser ihm schon zuvorgekommen, um ihm die Entscheidung zu erklären.

Und der Profi sagte beeindruckt: "So etwas habe ich noch nie erlebt. Jetzt fühle ich mich viel besser."

Sensibler Star

Die Geschichte erzählt viel über den Führungsstil des Trainers Doll und sein besonderes Verhältnis zu seinem sensiblen Star. Sie erzählt aber auch eine Menge über Rafael van der Vaart, 23.

Über sein Bedürfnis nach Nähe einerseits und seinen Ehrgeiz andererseits. Der Ehrgeiz hatte es ihm schwer gemacht zu erkennen, dass er nach einem phänomenalen Comeback nun doch in ein kleines Tief gerutscht ist; dass er "ein bisschen müde" war, wie Doll es formuliert.

Rafael van der Vaart hatte geglaubt, er könne die Gesetzmäßigkeiten außer Kraft setzen. Und es war ja auch imponierend, mit welcher Leidenschaft er nach einem Bruch des Sprunggelenks und fast dreimonatiger Pause wieder seinem Beruf nachging, nachdem er am 4. März zurückgekehrt war in die Startelf des Hamburger SV.

Dolls kleine Geste

Dieser 4. März war im Grunde kein Tag, an dem man gerne Fußball spielt, aber es war ein Tag, an dem Rafael van der Vaart zeigen konnte, dass er viel mehr ist als ein Schönwetter-Spieler, wie ihm manche Kritiker in Holland vorhielten.

Es schneite in München so heftig wie seit 1942 nicht mehr, doch am Ende hatte der HSV den FC Bayern in einer Schlammwüste 2:1 entzaubert - und der gerade Genesene hatte 67 Minuten lang ziemlich perfekt Regie geführt. Rafael van der Vaart hatte die Angst um sein Gelenk einfach vergessen.

Er hatte, wie er bekennt, sogar sich selbst "überrascht" und gespielt, als habe es diese Zwangspause nie gegeben. Er hatte dem HSV auf Anhieb zurückgegeben, was nach der Winterpause verschüttet zu sein schien: die Klasse, das Tempo zu variieren, den Gegner mit blitzschnellen Attacken zu überraschen.

Ja, er hatte sogar heimliche Träume genährt, man könne den Bayern doch noch Konkurrenz machen im Kampf um den Titel.

Diese Euphorie ist am vorigen Samstag verflogen. Es kommt jetzt die schwierigste Strecke der Saison auf Rafael van der Vaart und den HSV zu. Es folgen die entscheidenden Spiele um die Qualifikation für die Champions League, darunter am Sonntag beim FC Schalke 04 gar das direkte Duell zweier Kandidaten.

Und weil ausgerechnet jetzt auch noch Kapitän Daniel van Buyten mit einem Bänderriss für mehrere Wochen ausfällt, wird noch mehr als ohnehin von van der Vaart abhängen. Es gibt nur zwei Alternativen: Entweder die Mannschaft emanzipiert sich von dem Genius van der Vaart. Oder er selbst kämpft sich im Sauseschritt aus seinem Tief heraus.

Die Chancen, dass er diesen neuen Willenstest besteht, sind freilich nicht so schlecht. Es gibt nämlich nicht viele ausländische Stars, die sich so mit ihrem deutschen Arbeitgeber so identifizieren wie Rafael van der Vaart mit dem HSV.

Wie wohl er sich in Hamburg fühlt, hat er neulich der holländischen Zeitung Algemeen Dagblad erzählt. Sichtbar wurde dabei erneut ein Mann, dem ein warmes Nest und ein gutes Gefühl offenkundig wichtiger sind als kühles Kalkül und ein paar Millionen Euro mehr.

Rafael van der Vaart schwärmte also von diesem "familiären Klub, wo sich jeden Morgen alle die Hand geben" und wo man zu Beginn der Arbeit "erst mal eine kleine Runde läuft und fragt, wie es dem anderen gerade geht".

Er erzählte, wie ihn Doll im vorigen Jahr endgültig eingenommen habe für den HSV. Statt ihm nach einem geselligen Abend zum Abschied die Hand zu geben, habe Doll spontan eine Umarmung angedeutet. "Aus so einer Geste, wie klein sie auch ist, spricht Wärme", sagt van der Vaart.

Er kannte so etwas nicht, denn bei Ajax Amsterdam ist die Aufzucht und der Verkauf von Talenten inzwischen ein "Profitcenter", dessen Ertrag mehr zu zählen scheint als der Erfolg des Teams und ein gutes Klima.

Tore zur Genesung

Bei Ajax war es auch nicht immer so, wie es van der Vaart zuletzt beim HSV erlebte: dass "sich alle in der Mannschaft gefreut haben, als ich zurückkam".

Vielleicht also belohnt Rafael van der Vaart jetzt die Kollegen und auch die einfühlsame Personalführung des Sportchefs Dietmar Beiersdorfer und des Trainers Doll, den er sogar mit dem charismatischen holländischen Bondscoach Marco van Basten vergleicht.

Er ist jedenfalls immer noch dankbar, dass er seine Reha im heimischen Amsterdam absolvieren durfte. Dort half ihm seine Familie durch die Leidenszeit.

Vater Ramon stellte eine DVD mit den schönsten Toren des Sohnes zusammen. Die Bilder haben Rafael van der Vaart damals ebenso Mut gemacht wie die regelmäßigen Anrufe von Thomas Doll.

In seiner Zeit bei Ajax war der Pizza-Liebhaber van der Vaart während Verletzungspausen übrigens oft aufgegangen wie ein Hefekuchen. Manchmal sei er sich vorgekommen, als wäre er 100 Kilogramm schwer, sagt er: "Ich fühlte mich einfach nicht wohl in meiner Haut."

Diesmal nahm er kaum zu. Er hatte ja Ziele, auf die er sich freut: die WM und den HSV.

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