Bundesliga:Einigen Fans brennt der Helm

Hamburger SV - Darmstadt 98

Die Spieler des HSV und von Darmstadt 98 während einer Spielunterbrechung wegen Pyrotechnik.

(Foto: dpa)

Selbst wenige Tage nach dem Anschlag auf den BVB werfen unverbesserliche Fans Farbbeutel auf einen Teambus, zünden Rauchbomben und bedrohen Offizielle. Darauf kann der Fußball verzichten.

Kommentar von Freddie Röckenhaus

Jede Woche machen sich viele Hunderttausend Leute um den Fußball verdient. Sie bringen Kindern das Spiel bei, chauffieren Tausende von ihnen bei Wind und Wetter zu Spielen, waschen die verdreckten Klamotten, sorgen dafür, dass es einen Spielbetrieb gibt, halten die Sportplätze in Ordnung oder lassen sich beschimpfen, als ehrenamtliche Schiedsrichter auf den Amateurplätzen. Das sind die Leute, die den Fußball im Innern zusammenhalten.

In den Medien entsteht dennoch oft der Eindruck, als ginge es nur um ein paar Hundert Profis in vollen Stadien. Und um wenige Hundert Mittelfinger reckende Spätpubertäre, deren Hauptverdienst für den Fußball darin zu bestehen scheint, sehr laut gegen alles zu sein - außer gegen sich selbst. Wen wundert's, wird pöbelnden Ultras-Fans und ihren Parolen doch oft viel zu viel Aufmerksamkeit gewährt und auf diese Weise unterstützt, dass sie sich als Repräsentanz der Masse aufspielen können. Dabei machen sie weniger als ein Prozent der Stadionbesucher aus. Und bei der C-Junioren-Kreisliga sah man sie noch nie.

Freitagabend wurde beim Ligaspiel in Köln mal wieder gegen Dietmar Hopp, den Mäzen von 1899 Hoffenheim, mobil gemacht, mit Plakaten und Sprechchören. Und obwohl man so viel menschliche Empathie erwarten sollte, dass man in diesen Tagen zumindest um die Teambusse einen weiten, friedlichen Bogen macht, wurde dem Hoffenheimer Bus von einem Mob sogenannter kölscher Fans mit wildem Gekeife zugesetzt.

In der Woche zuvor, vier Tage nach dem Sprengstoffanschlag auf Borussia Dortmund, bewarfen Werder-Fans den Bus des HSV. An diesem Samstag räucherten Hamburger Fans das eigene Stadion so sehr mit Pyrotechnik ein, dass die HSV-Profis ihre Heimniederlage gegen Darmstadt auch darauf zurückführen wollten. Frankfurter Ultras wiederum hatten zuletzt in Dortmund, kurz nach dem Anschlag, minutenlang skandiert: "Nach dem Spiel schlagen wir euch tot!" Jetzt, beim Heimspiel gegen Augsburg, setzten sie via Plakat eins drauf: "Für jedes Stadionverbot ... Bulle Tod!"

Am BVB-Bus explodiert eine Bombe? Ist vielen Ultras egal

Unvergessen sind die Exzesse der BVB-Fans beim Spiel gegen RB Leipzig, als Dosen und Steine gegen verdatterte Leipziger Besucher geworfen wurden, angeblich aus Protest gegen den Retorten-Klub. Leipzigs Sportdirektor Ralf Rangnick wurde per Plakat empfohlen, sich aufzuhängen. Und auf dem Weg zum Auswärtsspiel nach Darmstadt wurden zwei Busse mit BVB-Fans, verstärkt von rechten Schlägern, von der Polizei aufgebracht. Waffen, Sturmhauben, Pyros wurden dabei sichergestellt.

Für Randale und verbale Radikalisierung vor und in den Stadien und den Internet-Foren sind oft die sogenannten Ultras-Fans zuständig. Ein paar Jahre lang, als die Gruppierungen sich seit den Nullerjahren etablierten, hatten die Ultras in ihrem Hang zur Selbstdarstellung auch sinnvolle Aktionen angestoßen: gegen schrankenlose Kommerzialisierung, für den Erhalt von Stehplätzen, für erschwingliche Eintrittspreise, gegen die gedehnten Salami-Spieltage im Interesse der Fernsehsender. Inzwischen ist das meiste in der DNA des deutschen Fußballs verankert. Klubbosse, Soziologen, Politiker, auch die Polizei haben die kleinen Gruppierungen mit den großen Meinungen jahrelang gehätschelt - als "organisiertes Rebellentum" von "oft intelligenten jungen Leuten". Nicht nur die Marketing-Abteilungen der Klubs freuen sich über organisierte Anfeuerung oder oft herzergreifend emotionale Fan-Choreografien. Das ist die eine Seite.

Julian Nagelsmann, Hoffenheims Trainer und mit 29 so jung, dass er Ultra sein könnte, hat sich nun getraut, in bester Fußballsprache die andere Seite zu beleuchten: "Die Leute müssen mal nachdenken, ob ihnen allen der Helm brennt. Da sprengt einer einen Bus in die Luft, zwei Tage später wird der HSV-Bus beschmissen, du fährst ins Stadion, und jeder zeigt dir den Mittelfinger."

Der Fußball kann auf ganz viele Menschen nicht verzichten, weil Fußball aus Menschen besteht, die ihn zusammenhalten. Aber von jenen Grüppchen, denen da seit einiger Zeit der Helm brennt, muss er sich überzeugend distanzieren.

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