Bundesliga: FC Bayern:Eine Frage des Charakters

Nach dem 7:0 gegen Hannover lobt sich der FC Bayern selbst - nur Franck Ribéry verweigert dem Trainer den Handschlag. Dabei lässt sich am Franzosen die Entwicklung des Vereins skizzieren.

Jürgen Schmieder

Louis van Gaal brachte sich selbst in eine Zwickmühle. "Das war Spaß auf dem Rasen, für die Zuschauer und auch für den Trainer", sagte er nach dem 7:0-Sieg gegen Hannover 96. "Dieses Spiel hat nicht viel Energie gekostet und ich glaube, dass jeder Spieler Freude hatte, auf dem Platz zu sein." Nach 69 Spielminuten jedoch war für zwei Akteure des FC Bayern der Spaß vorbei, beim Stand von 6:0 nahm van Gaal Ivica Olic und Franck Ribéry vom Feld.

Der eine, Olic, trottete zufrieden an die Seitenlinie: Er hatte zwei Tore erzielt, zwei vorbereitet und klatschte nun jeden ab, der ihm eine Hand entgegenstreckte. Der andere, Ribéry, ging wutschnaubend zur Tribüne, warf sein Trikot einem Fan zu und hockte sich auf die Bank, ohne seinen Trainer eines Blickes zu würdigen. Er hatte wahrlich kein schlechtes Spiel gemacht, er hatte nur nicht derart glänzen dürfen wie seine Kollegen Olic, Arjen Robben und Thomas Müller - und war an keinem der bis dahin sechs Treffer war der Franzose direkt beteiligt gewesen. Vielleicht lohnt es sich, die Entwicklung der Münchner Mannschaft an Ribéry zu verdeutlichen.

"Ich habe ihn gerettet", sagte van Gaal nach dem Spiel zu Ribérys Herausnahme, um jede Diskussion im Keim zu ersticken. "Es stellte sich heraus, dass er eine Verhärtung hat - also war es gut, dass er nicht 90 Minuten gespielt hat." Und dann strich er noch ein wenig Balsam auf die Seele des sensiblen und transferwilligen Dirbblers: "Mit den Auswechslungen wichtiger Spieler wie Ribéry, Olic und Schweinsteiger habe ich doch angedeutet, dass wir ein wenig langsamer machen wollen."

Es war eine formidable Leistung, die der FC Bayern den Zuschauern da präsentiert hatte gegen ein Hannover 96, das weniger Gegner als vielmehr staunender Zuseher war. Sieben Tore erzielten die Münchner (Robben traf drei Mal, Olic und Müller je zwei Mal), am Ende hätte durchaus auch eine zweistellige Zahl auf der Anzeigetafel stehen können - und warum auf dem Spielberichtsbogen neun Torschüsse von Hannover standen, wird wohl das Geheimnis der DFL-Statistiker bleiben. "Die Bayern waren uns in allen Belangen überlegen, man kann schon von einem Klassenunterschied sprechen", sagte Hannovers Trainer Mirko Slomka nach dem Spiel.

Die Münchner Akteure hoben deshalb hervor, trotz der bevorstehenden Partien im Halbfinale der Champions League gegen Olympique Lyon nicht den Blick für die Aufgaben in der Bundesliga verloren zu haben. "Das hat mit Charakter zu tun", sagte Bastian Schweinsteiger, der sich mangels Aufgabenstellung in der Defensive und formidabler Leistung der Offensivkollegen ein wenig zurücknehmen durfte. "Das ist die charakterstärkste Mannschaft, in der ich jemals gespielt habe." Sein Trainer Louis van Gaal fragte provokativ: "Haben wir uns schon auf Lyon vorbereitet oder haben wir Hannover ernst genommen? Ich bin gespannt, was Sie morgen schreiben."

FC Bayern: formidable Offensivspieler

Man könnte wie schon erwähnt über Ribéry schreiben und an seiner Person die Entwicklung des FC Bayern darstellen. Es gab nämlich einmal eine Zeit, es ist noch gar nicht lange her, da wäre es undenkbar gewesen, dass der FC Bayern überhaupt ein Tor erzielen könnte, an dem der Franzose nicht direkt beteiligt gewesen sein könnte. Der typische Spielzug der Münchner in dieser Zeit war eindimensional und lautete: Bring den Ball irgendwie zum französischen Dribbler und staune dann, was er damit anstellt. Der Verein war den Launen des Filous ausgeliefert. 33 Pflichtspiele absolvierte er in der vergangenen Saison, an 33 Treffer war er direkt beteiligt (14 Tore, 19 Assists). In dieser Spielzeit sind es bei 25 Einsätzen sechs Tore und neun Vorlagen.

Nach seiner Verletzungspause zeigte Ribéry in dieser Saison wahrlich keine schlechten Leistungen - vielmehr ist er gerade in den vergangenen Wochen an entscheidenden Szenen beteiligt. Gegen Hamburg erzielte er das einzige Tor des Spiels, auf Schalke traf er zum 0:1. In der Champions League bereitete er im Achtelfinale gegen Florenz einen Treffer vor, im Viertelfinal-Hinspiel verwandelte er einen Freistoß und spielte im Rückspiel einen Eckball derart genau auf Arjen Robben, dass der sein Traumtor zum 2:3 erzielen konnte.

Dass Ribéry nicht mehr auffällig agiert wie in den vergangenen Spielzeiten ist also weniger Kritik am Franzosen als vielmehr Lob für eine Münchner Offensive, die deutlich an Qualität gewonnen hat. Louis van Gaal hat offensiv eine exquisite Mischung, die nur schwer zu finden sein dürfte in Europa. Bastian Schweinsteiger und Mark van Bommel verwalten das Mittelfeld und inszenieren immer wieder schwer vorhersehbare Angriffe.

Im Sturm agieren derzeit Thomas Müller und Ivica Olic, die ihre momentane Stammplatzgarantie nicht nur durch gelaufene Kilometer und absolvierte Zweikämpfe abarbeiten, sondern auch durch Tore und Vorlagen. Als Ersatzmann wartet momentan immerhin Mario Gomez, der sich nach seiner Einwechslung gegen Hannover aktiv und spielstark präsentiert, dem jedoch ein Torerfolg verwehrt blieb.

Und an den Seitenlinien dürfen sich Ribéry und Robben kreativ austoben. "Es hat unglaublich Spaß gemacht", sagte Robben, der mit seinem ersten Treffer eine weitere Bewerbung um das Tor des Monats abgegeben hatte. "Arjen Robben ist unglaublich. Was er leistet in dieser Saison - sehr attraktiv. Er kann den Unterschied machen", sagte Louis van Gaal nach dem Spiel - und schränkte sogleich ein: "Aber das können Ribéry und Müller auch."

Genau darin unterscheiden sich die vergangenen beiden Spielzeiten des FC Bayern von der aktuellen: Ribéry ist nicht mehr der Einzige, der den Unterschied machen kann zwischen einer guten und einer sehr guten Mannschaft, die Münchner verfügen über eine ganze Reihe formidabler Offensivspieler, die eine Partie entscheidend prägen können.

Bei den Transfergerüchten um Ribéry wird häufig kolportiert, dass er bei Vereinen wie Real Madrid, Manchester United und dem FC Barcelona "nur einer unter vielen" sein würde. In den vergangenen Wochen wurde deutlich: Auch beim FC Bayern ist Ribéry nur einer unter vielen - und das ist wahrlich nicht als Kritik am Franzosen zu verstehen, sondern als Lob für eine Münchner Offensive, der in den verbleibenden Spielen dieser Saison noch viel zuzutrauen ist.

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