Bundesliga:Erfolgreicher Schalker "Abstiegskampfmodus"

1. FSV Mainz 05 v FC Schalke 04 - Bundesliga

Nicht schön: Schalkes Nabil Bentaleb (links) stoppt Suat Serdar of Mainz vom FSV Mainz.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Von Philipp Selldorf, Mainz

Unter Zuhilfenahme von viel gutem Willen gingen beide Fanlager zufrieden ins Wochenende. Während die Mainzer Anhänger frenetisch den Kampfgeist ihrer Mannschaft feierten und darin Trost über die 0:1-Niederlage fanden, bejubelten mindestens ebenso begeistert die Schalker Sympathisanten den vierten Sieg hintereinander und die Festigung von Tabellenplatz zwei, was sie leichthin darüber hinwegsehen ließ, dass der Auftritt ihres Teams mit dem einer Spitzenelf wenig gemein hatte.

Mainz 05 und Schalke 04 hatten sich, wie das knappe Resultat nahelegt, ein Duell auf Augenhöhe geliefert, dies aber vorwiegend auf dem Niveau einer englischen Rasenschlacht aus dem vorigen Jahrhundert, als Kick and Rush noch das alternativlose Stilmittel war. Einer der wenigen Momente, in denen der Ball nicht zum Opfer von Gewalthandlungen geriet, brachte den Treffer des Abends. Daniel Caligiuri, auch sonst wieder einer der besten Schalker, startete in der 55. Minute zum Sololauf und schlenzte die Kugel aus 18 Metern präzise in die Ecke - ein "Weltklasse-Tor", wie sich "Eurosport"-Experte Matthias Sammer ereiferte.

"Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass die erste Halbzeit kein fußballerischer Leckerbissen war", sagte Leon Goretzka, der sich dieses Bekenntnis leisten konnte - während der ersten Hälfte hatte er noch auf der Ersatzbank gesessen. Mit dem Verzicht auf den Nationalspieler hatte Trainer Domenico Tedesco nicht nur auf Goretzkas verletzungsbedingt eingeschränkte Trainingstätigkeit reagiert, sondern auch den Charakter des Spiels vorempfunden. Gegen die abstiegsbedrohten Mainzer hatte er eine Begegnung auf Biegen und Brechen prophezeit und diese Vorhersage anhand der Aufstellung selbst erfüllt.

Außer Goretzka saß auch der Techniker Max Meyer auf der Bank, der leichtfüßige Offensivkünstler Amine Harit gehörte nicht mal dem Kader an. "Wir haben gewusst, dass es heute nur über den Kampf geht, und so hat Domenico auch aufgestellt", berichtete Manager Christian Heidel und machte manchem Schalker Angst, indem er verkündete: "Wir werden jetzt jede Woche so einen Kampf erleben." Wolfsburg und Hamburg, ebenfalls Klubs in prekären Verhältnissen, sind die nächsten Stationen im Schalker Auswärtsfahrplan.

Einfachste Bälle versprangen den Spielern

Bei allem Respekt vor den Extra-Kräften, die der Selbsterhaltungstrieb verleiht, haben es die Schalker in Mainz doch etwas übertrieben mit der Ehrfurcht vor dem Gegner. Anstatt ihre überlegenen spielerischen Qualitäten zu nutzen, begaben sie sich mutwillig auf das Mainzer Niveau, das während der ersten Halbzeit ein besonders trauriges war. Einfachste Bälle versprangen den Spielern auf rätselhafte Weise, Fehlpässe wurden im Dutzend produziert. Einzig der erfahrene Nigel de Jong und der stets solide Verteidiger Stefan Bell wahrten Bundesliga-Standard.

Große Zweifel an der aktuellen Güteklasse der Bundesliga

Die Schalker erwiderten die verbissene Herangehensweise ihrer Gastgeber mit betont defensiven und destruktiven Mitteln. "Den Kampf haben wir angenommen, den Fußball vermissen lassen", stellte Goretzka fest. Während sich die Angreifer Burgstaller, Pjaca und Di Santo in tausend Scharmützeln aufrieben, ging Schalker Torgefahr lediglich vom zielstrebigen Flügelmann Caligiuri aus. Die Mainzer hatten ihren einzigen Aha-Moment, als Quaison knapp das Ziel verfehlte.

Die zweite Hälfte war von beiden Seiten die bessere Halbzeit, die 05er entwickelten tatsächlich eine Art Offensivspiel, das sich in mehreren Torschüssen äußerte (die aber allesamt von Ralf Fährmann entschärft wurden). Die Schalker brachten nun wenigstens ab und zu Ballwechsel über mehr als drei Stationen zustande, was im Wesentlichen mit Goretzkas Einwechslung zu erklären war, die auch seinem spielerisch versierten Nebenmann Nabil Bentaleb mehr Präsenz verschaffte. Nach Caligiuris 1:0 machten die Gäste fünf Minuten den Eindruck, als hätten sie die Lage unter Kontrolle, dies war aber nur ein Intermezzo. Sehr bald gingen sie dazu über, zur Verteidigung des Vorsprungs eine Wagenburg am Strafraum zu errichten und Mainz damit zum Angriff zu bitten.

Da habe man "im Kopf umgeschaltet auf Abstiegskampfmodus", sagte Tedesco. Der Trainer sah zwar bei seiner Coaching-Arbeit am Spielfeldrand alles andere als froh aus, als seine Leute in der Schlussviertelstunde einen Befreiungsschlag an den nächsten reihten, und sich dadurch immer wieder aufs Neue in Not brachten, aber hinterher billigte er die beschränkte Vorgehensweise: "Sonst wirst du aufgefressen", behauptete er. Im Sinne dieser Losung war Verteidiger Thilo Kehrer der Held des Abends. Dass ihn nach einem frühzeitig erlittenen Schlag auf die Augenbraue eine Schwellung zeichnete, als ob ihn ein Preisboxer verprügelt hätte, hielt ihn weder von harten Kopfballduellen noch von seinen typischen wilden Grätschen ab. "Ich wäre sofort nach Hause gelaufen", lobte Heidel den Einsatzwillen.

Auf dem Weg in die Champions League

Mit ihrem schlauen Trainer und ihrem glatzköpfigen Chefverteidiger Naldo, der starken Abwehrorganisation und jederzeit tadellosen Mentalität haben es die Schalker inzwischen weit gebracht. Das Wochenende dürfen sie entspannt genießen, der zweite Tabellenplatz ist ihnen nicht zu nehmen. Dass dieser Rang geradewegs in die Champions League führt, lässt gewisse Zweifel an der aktuellen Güteklasse der Liga zu, braucht sie aber nicht verlegen zu machen: Sie können nichts dafür, dass die Konkurrenz nicht besser ist. Dieser Tabellenplatz ist der Lohn guter Arbeit. Mehr spielerische Brillanz, sagte Goretzka, soll dann "im nächsten Schritt" entstehen. Bloß dass er dann für Bayern München spielen wird.

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