Bundesliga: Die Überläufer:"Willkommen in der blau-weißen Hölle"

2007 verkaufte Christoph Metzelder "Anti-Schalke-Shirts", jetzt wechselt er zu S04. Er ist nicht der erste Überläufer im Ruhrpott. In Bildern.

David Bernreuther

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Metzelder, ddp

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Die Ausgangsposition war gut, so gut wie selten zuvor. Der FC Schalke 04 führte die Tabelle an, mit einem Punkt Vorsprung vor Stuttgart, und es standen nur noch zwei Spiele aus. Zwei Spiele bis zur Meisterschaft, der ersten seit 1958. Am vorletzten Spieltag der Saison 2006/07 musste Schalke beim Erzrivalen Borussia Dortmund antreten, und viele begannen schon vor dem Spiel, sich ihre königsblauen Träume auszumalen.

"Ich gehe nach einem Sieg in Dortmund zu Fuß nach Hause", tönte Stürmer Gerald Asamoah, und Vereinsboss Clemens Tönnies versprach: "Ich verkaufe an der Autobahn Bratwürstchen." Doch dazu kam es nicht. Das Schalker Spiel lahmte im Derby, der BVB konterte. Ein gewisser Christoph Metzelder (Bild), damals rechter Verteidiger der Borussia, flankte zweimal gefährlich nach innen. Die eine Hereingabe verwertete Alexander Frei, die andere Ebi Smolarek, Endstand 2:0 für Dortmund.

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Metzelder, dpa

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Asamoah schlich nach dem Spiel tieftraurig in den Mannschaftsbus, Tönnies blieb auf seinen Bratwürsten sitzen - der Schalker Titeltraum war in weite Ferne gerückt, eine Woche später platzte er endgültig. Mit seinen beiden Torvorlagen hatte Christoph Metzelder daran einen maßgeblichen Anteil. Es war sein letztes Heimspiel für den BVB, nach der Saison wechselte er zu Real Madrid, wo er drei Jahre lang meist auf der Bank oder der Tribüne saß. Im Sommer kehrt Metzelder nach drei Jahren zurück in die Bundesliga: zu Schalke 04. Er ist nicht der erste Überläufer, der von einem der beiden großen Ruhrpott-Rivalen zum anderen wechselte. Eine Auswahl der "Verräter" in Bildern.

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Kwiatkowski, dpa

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Heinz Kwiatkowski

Schon die Daten, die das Leben des Torwarts Heinz Kwiatkowski begrenzen, zeugen von seinem Wechsel zwischen den Rivalen: geboren 1926 in Gelsenkirchen, gestorben 2008 in Dortmund. Ab 1947 stand er drei Jahre lang für Schalke im Tor, über Rot-Weiss Essen kam er 1952 zum BVB, mit dem er 1956 und 1957 Meister wurde.

Bei der WM 1954 war Kwiatkowski zweiter Torwart hinter Toni Turek, im Vorrundenspiel gegen Ungarn kam er zu seinem Länderspieldebüt. Später erinnerte er sich: "Ich hab' die Bude vollgekriegt, ich habe den lieben Gott angefleht: Lass es bitte nicht zweistellig werden." Das Gebet wurde erhört, es blieb bei acht Gegentreffern - und wenig später durfte sich Kwiatkowski (im Bild rechts, bei einer Sportlerehrung 1999) als Weltmeister feiern lassen.

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Libuda, dpa

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Reinhard "Stan" Libuda

Anfang der sechziger Jahre wurde Reinhard "Stan" Libuda (l.) auf Schalke als Fußballgott verehrt. Im Gelsenkirchener Stadtteil Haverkamp war er aufgewachsen und seit seinem neunten Lebensjahr spielte er bei den "Königsblauen" - ein echter Schalker eben, der das Publikum mit seinen Flügeldribblings begeisterte. Doch seinen größten Erfolg feierte er im Trikot der Schwarz-Gelben.

1965 wechselte Libuda nach Dortmund, statt eines Handgelds bekam er damals eine Eichengarnitur. 1966 schoss er für den BVB das entscheidende Tor im Finale des Europapokals der Pokalsieger gegen Liverpool. 1968 kehrte der Rechtsaußen zum FC Schalke zurück - und wurde nach wie vor verehrt: Er brachte es zum Ehrenspielführer, zum Mitglied der Jahrhundertelf und zum Namensgeber einer Zufahrtsstraße zum Stadion. Fazit: Einem Mann wie Stan Libuda verzeihen sie auf Schalke selbst ein Gastspiel beim Erzfeind.

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Abramczik, Getty

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Rüdiger Abramczik

Es war eine Zeit, in der ein Wort und ein Handschlag noch etwas zählten im Fußballgeschäft. 1980 war Schalke in finanzieller Bedrängnis und deshalb gezwungen, Rüdiger Abramczik zu verkaufen, den "Straßenfußballer", der seit seiner Kindheit zum Verein gehörte. BVB-Präsident Reinhard Rauball lud Abramczik ein, die beiden verstanden sich, nach kurzer Zeit einigten sie sich mündlich auf einen Wechsel.

Noch am selben Abend klingelte bei Abramczik das Telefon, es meldete sich Uli Hoeneß, der den Stürmer von einem Wechsel nach München überzeugen wollte. "Vermutlich wäre es besser für meine Karriere gewesen, wenn ich zum FC Bayern gegangen wäre", sagte Abramczik später. Aber er hielt sein Wort, etwas anderes kam für ihn gar nicht in Frage. Die BVB-Fans dankten ihm die Aufrichtigkeit nicht: "Ganz im Gegenteil. Ich ging durch schwere Monate, musste mir im Stadion und beim Training immer wieder Sprüche drücken lassen. Das erste Jahr war wirklich hart."

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Rüssmann, AP

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Rolf Rüssmann

1969 hat Schalke-Präsident Günter Siebert den 19-jährigen Rolf Rüssmann (rechts) für 15.000 Mark bei seinem Heimatverein ausgelöst - und ihn mit zwei Mitspielern vorübergehend in einem Berliner Hotel versteckt. "Weil die ganze Bundesliga hinter ihnen her war", erklärte Siebert. Das Versteckspiel hatte die gewünschte Wirkung: Rüssmann spielte elf Jahre für Schalke, nur unterbrochen von einem sechsmonatigen Gastspiel beim FC Brügge.

Zwischen Januar 1977 und November 1980 stand der kopfballstarke Vorstopper in 134 Bundesliga-Partien in Folge für Schalke auf dem Platz. Die Serie ging nicht wegen einer Verletzung oder einer Sperre zu Ende, sondern wegen der finanziellen Notlage des Vereins: Man war dazu gezwungen, Rüssmann zum Rivalen nach Dortmund abzugeben.

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Dortmund-Fans, dpa

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Ulrich Bittcher

Ulrich Bittcher ist einer der wenigen, die in den vergangenen 52 Jahren mit Schalke Deutscher Meister wurden: 1976 mit der A-Jugend. Nach seinem Profidebüt im gleichen Jahr machte er 168 Bundesligaspiele für die "Königsblauen". Er verkörperte die Tugenden, die einen Malocher-Verein ausmachen, und bekam Spitznamen wie "Kilometer-Fresser", "Mittelfeldmotor" oder "Energiebündel".

Die Fans huldigten ihm sieben Jahre lang mit einem langgezogenen "Uliiiii" - doch 1983 riefen plötzlich einige "Judas". Bittcher hatte sich nach dem erneuten Abstieg aus der Bundesliga für einen Wechsel zum BVB entschieden. Sein Versuch einer Rechtfertigung: "Ich wollte in der Bundesliga spielen. Und immerhin brachte ich auch eine stattliche Ablösesumme von rund 700.000 Mark."

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Anderbrügge, AP

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Ingo Anderbrügge

Ingo Anderbrügge musste sich nicht rechtfertigen. Sein Wechsel vom BVB zu Schalke erfolgte 1988 so geräuschlos, wie kaum ein anderer zwischen den beiden Revierklubs. Ganz ohne medialen Aufschrei, ganz ohne Anfeindungen der Fans. Das lag zum einen an der sportlichen Situation: Anderbrügge war in Dortmund damals nicht mehr gefragt, Schalke spielte nur in der zweiten Liga.

Zum anderen lag es an Anderbrügge, der jenseits des Rasens für Provokationen nicht zu haben war: "Ich wollte mich jederzeit überall blicken lassen können. Man muss wissen, was man anrichtet, wenn man Öl ins Feuer gießt." Vier Jahre spielte der Mittelfeldmann für den BVB und zwölf für Schalke, auf seiner Homepage gibt er jedoch ganz diplomatisch an, sein Lieblingsverein sei Borussia Mönchengladbach - wegen des Tempofußballs der siebziger Jahre, den er in seiner Kindheit bestaunt hat. Anderbrügge lebt noch immer im Ruhrgebiet, in aller Ruhe, ganz unpretäntiös.

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Freund, AP

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Steffen Freund

Steffen Freund war ein Musterbeispiel eines Staubsaugers im Schalker Mittelfeld und deshalb sehr beliebt bei den Fans. Doch 1993 wurde er für 3,2 Millionen Mark nach Dortmund verkauft - gegen seinen Wunsch, weil der Klub damals dringend Geld brauchte. "Ich habe bis zum Schluss gehofft, dass bei Schalke Ruhe einkehrt und ich bleiben kann", sagte er später. Bei seinem ersten Derby nach dem Wechsel wurde Freund im Gelsenkirchener Parkstadion ausgepfiffen und als Judas beschimpft, doch dafür hatte er "vollstes Verständnis": "Man bleibt eben immer Schalker oder Dortmunder."

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Lehmann, dpa

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Jens Lehmann

Dezember 1997. Es läuft die Nachspielzeit im Revierderby, Dortmund führt 2:1. Schalkes Olaf Thon schlägt die Ecke in den Strafraum, Thomas Linke verlängert, Jens Lehmann (m.), der Torwart, köpft ein - 2:2. Es war das erste Tor eines Torwarts aus dem Spiel heraus in der Bundesliga. Im Revierderby. In der Nachspielzeit. Es traf den BVB direkt ins Mark.

Nach der Saison wechselte Lehmann zum AC Mailand, kehrte jedoch nach einem missglückten einjährigen Intermezzo in Italien zurück nach Deutschland, genauer: nach Dortmund. Viele Schalker nahmen ihm das sehr übel, und viele Dortmunder nahmen ihm sehr übel, dass er ein Schalker war. Für Lehmann war das kein Hindernis. Er liebt radikale Entscheidungen, er liebt die Rolle als Reizfigur.

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Möller, dpa

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Andreas Möller

Andreas Möller bekam bei seinem Wechsel von Dortmund nach Gelsenkirchen im Jahr 2000 die Abneigung des Schalker Anhangs deutlich zu spüren: "Zecke Möller, willkommen in der blau-weißen Hölle", stand auf einem Begrüßungsplakat im Stadion, nicht wenige Fans sollen nach der Bekanntgabe des Transfers ihre Mitgliederausweise zurückgegeben haben.

Möller gab sich unbeirrt. Er wollte der Protestwelle widerstehen und so sein Weichei-Image loswerden. Er fragte: "Wäre ich eine Heulsuse, würde ich dann nach Schalke gehen?" Möller setzte sich schließlich durch, wurde als "Kampfsuse" akzeptiert. Seine Debütsaison endete dennoch tränenreich: mit der legendären "Vier-Minuten-Meisterschaft".

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Metzelder, afp

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Christoph Metzelder

Metzelder ist Mitglied eines BVB-Fanklubs und Ehrenmitglied eines weiteren, er hat 2007 "Anti-Schalke-Shirts" verkauft und seine Zeit in der Schalker Jugend einmal als "völlig verkorkste und verlorene Saison" bezeichnet. Schwer vorstellbar, dass ihn die Fans in Gelsenkirchen freundlich empfangen. Die Reaktion einiger BVB- und Metzelder-Anhänger auf den Wechsel war eindeutig: Der Fanklub "Metzelder FC" löste sich mit sofortiger Wirkung auf. "Auf die sonst im Wechselfall angebrachten guten Wünsche für die Zukunft verzichten wir aus Gründen der Pietät ersatzlos", hieß es auf der Internetseite. Sie scheren sich nicht mehr um ihren einstigen Leitspruch "Christoph Metzelder - für immer Feuer und Flamme".

Schalke-Trainer Felix Magath kommentierte die Befürchtungen, dass Metzelder einen schweren Stand bei den Schalker Fans hätte, gelassen: "Dass Ressentiments bestehen, ist normal. Aber er ist nicht der erste Spieler mit einer Dortmunder Vergangenheit, der nach Schalke wechselt." Dass sich Metzelder damals für seinen Verein eingesetzt habe, spreche doch für ihn. Magath ist "heilfroh" über die Verpflichtung, er traut dem Innenverteidiger eine tragende Rolle in der kommenden Champions-League-Saison zu - und noch mehr: "Er ist ein ehemaliger und künftiger Nationalspieler", sagt Magath.

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