Bundesliga-Derbys:Auf böse Nachbarschaft

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Der HSV fährt mit dem eingeflogenen Rafael van der Vaart nach Bremen, in Wolfsburg stecken die Lokalrivalen noch in der Pubertät, Düsseldorfer und Gladbacher feiern Wiedersehen - und wie heißt es eigentlich, wenn München gegen Stuttgart spielt? Die Derbys des zweiten Spieltags im Überblick.

Eine der strittigsten Fragen im Zusammenhang mit Derbys lautet: Was ist das eigentlich? Puristen sagen, ein Derby sei ein Spiel zwischen zwei verfeindeten Stadtteilen. Rechts und links sitzt der gegenseitige Hass und durch die Mitte fließt ein Fluss (Sevilla, Buenos Aires, Istanbul). Regionalisten erkennen auch Spiele zwischen Nachbarstädten (Amster-/Rotterdam, Nürnberg/Fürth), Revieren (Schalke/Dortmund) oder Himmelsrichtungen (Nord-Süd-Gipfel) als Derbys an. Und Mentalisten sagen: Alles eine Frage der Einstellung! Ein Derby sei dort, wo die Zuschauer hingehen, weil sie die anderen noch nie leiden konnten, warum auch immer. Auf diese Weise kam es in den vergangenen Jahren zu einer regelrechten Derby-Schwemme. Auch im deutschen Profifußball prallen an diesem Wochenende Nachbarstädte, Flussufer und Weltanschauungen aufeinander. Die Terminplaner haben gleich zu Saisonbeginn ganze Arbeit geleistet

Zurück in der Mannschaft, doch der Einsatz gegen Bremen ist noch ungewiss: Rafael van der Vaart vom HSV. (Foto: dapd)

Norden: Bremen vs. Hamburg

Ob Sylvie van der Vaart im Weserstadion auf der Tribüne sitzen wird beim 97. Bundesliga-Derby zwischen Bremen und dem Hamburger SV, ist noch ungewiss. Es gibt ja durchaus Leute in Hamburg, die sich darüber streiten, ob zwischen 2005 und 2008 die attraktive TV-Moderatorin ("Supertalent", "Let's Dance") oder ihr Gatte Rafael das Gesicht des HSV war. Zumindest fußballerisch war es der inzwischen 100-malige niederländische Nationalspieler. Van der Vaart war das Symbol eines HSV, der sich damals anschickte, noch mal eine Spitzenposition im deutschen Fußball zu erobern - und den Rivalen aus der kleineren Hansestadt endlich wieder auszustechen.

Das ging am Ende schief, auch, weil van der Vaart andere Karrierepläne hatte. Erst ließ er sich mit einem Trikot des FC Valencia ablichten, dann wechselte er zu seinem "Traumverein" Real Madrid. Jetzt soll er wieder für den nächsten Aufschwung des HSV stehen, der zuletzt in Abstiegsregionen gerutscht war. Am Freitag, dem Schlusstag für Transfers, wurde der 29-jährige Offensivspieler für 13 Millionen Euro zurückgekauft von Tottenham Hotspur. Um 15.36 Uhr twitterte der HSV: "Es ist offiziell. Herzlich willkommen zu Hause, Rafael van der Vaart." Der sagte: "Mit der Rückkehr nach Hamburg geht für mich und meine Familie ein Traum in Erfüllung."

Dass der teuerste Einkauf der HSV-Historie inzwischen einige Dellen in seiner Karriere hat, stört in Hamburg keinen. Bei Real war er gescheitert, für den neuen Tottenham-Trainer André Villas-Boas spielte er trotz 28 Toren in knapp zwei Jahren in London nicht mehr modern genug. HSV-Coach Thorsten Fink aber ist "begeistert" von der "großen Verstärkung". In Hamburg denkt man bei van der Vaart an den letzten Auswärtssieg in Bremen. 2007, 2:0 - mit zwei Toren des Holländers.

Der mit einem Privatjet in Hamburg eingeschwebte van der Vaart, der am Freitag einen Vertrag bis 2015 unterschrieb und wieder die Trikotnummer 23 erhielt, steht am Samstag noch nicht im Kader, wird aber auf der Tribüne im Weserstadion sitzen. Das Abschlusstraining hatte er wegen des Medizinchecks versäumt.

Die meisten HSV-Fans haben ihm sein Abwandern längst verziehen. Wie soll man auch jemandem noch böse sein, der angeblich aus alter Anhänglichkeit zum HSV mit deutlich weniger Gehalt zufrieden ist als zuletzt in Tottenham (mindestens 4,5 Millionen Euro pro Jahr, bis 2014). Allerdings gab es im Aufsichtsrat durchaus Debatten um diesen Transfer, der nur mit Hilfe eines zinslosen Darlehens des Milliardärs und Investors Klaus-Michael Kühne zustande kam. Doch aus Angst vor dem Abstieg im 50. Bundesliga-Jahr in Serie wurde der Sparkurs, der am Ende dieser Saison eine Schwarze Null im Etat vorsah, vertagt.

Mit den ebenfalls gerade erworbenen Mittelfeldspielern Milan Badelj (Zagreb) und Petr Jiracek (Wolfsburg), die in Bremen spielen sollen, haben sich die Ausgaben für neue Spieler auf 24,5 Millionen Euro erhöht. Allerdings trat Kühne von seinem Investoren-Vertrag zurück und verzichtete auf seine Anteile von 12,5 Millionen an fünf Spielern. Auch das ihm zustehende Geld für Paolo Guerrero konnte der HSV also für van der Vaart verwenden.

P.S.: Auch die Bremer wollen im Derby ihre jüngste Verstärkung vorstellen: den nigerianischen Stürmer Joseph Akpala vom FC Brügge. Der ist im Vergleich zu van der Vaart natürlich ein kleines Licht.

(mar)

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Guido Schröter

Es soll immer noch Menschen geben, die nicht glauben wollen, dass es auch in Niedersachsen Fußballvereine gibt. Dass dort jedenfalls keine Traditionsklubs existieren, gehört in Deutschland gewissermaßen zum Allgemeinwissen (einige Flecken Niedersachsens ausgenommen). Doch, doch, müsste man der Schar der Ungläubigen hartnäckig entgegen halten, es gibt natürlich den "Braunschweiger Turn- und Sportverein Eintracht von 1895 e. V.", den deutschen Meister des Jahres 1967. Die Eintracht hat, aus fußballfolkloristischer Sicht, bloß ein Problem. Es findet sich in ihrer zweiten Liga kein niedersächsischer Spielkamerad, mit dem sich ein vernünftiges Derby austragen ließe.

Trifft im Derby auf den Ex-Klub: Wolfsburgs Emanuel Pogatetz (r.). (Foto: Bongarts/Getty Images)

Trotzdem ist vor diesem Wochenende, an dem in fast allen Winkeln der Republik Nachbarn aufeinander prallen, auch vom Niedersachsen-Derby die Rede. Für viele mag der Begriff merkwürdig klingen - als würde man den Schleswig-Holstein-Gipfel, den Saarland-Knaller oder den Mecklenburg-Vorpommern-Clásico ausrufen. Dennoch könnte es interessant werden, wenn der VfL Wolfsburg am Samstag Hannover 96 empfängt. Beide Teams stehen vor einer wegweisenden Saison. Beide hoffen auf die nächste Entwicklungsstufe.

Sicher, mit Galatasaray gegen Fenerbahce, Olympiakos gegen Panathinaikos oder Boca gegen River ist es nicht ganz zu vergleichen, wenn sich die zwei Erstligisten aus Niedersachsen messen. Das liegt nicht alleine an den knapp 100 Kilometern Entfernung, die zwischen ihren Stadien liegen. Es ist eher so, dass sich die einen (Hannover) nach Jahrzehnten der Belanglosigkeit erst wieder mühselig an so etwas wie eine Fußballkultur herantasten. Und dass bei den anderen (Wolfsburg) nie ganz klar ist, wo die Grenze zwischen Fußballkultur und Fußballindustrie verläuft.

Ein gutes Derby lebt von gemeinsamen Erinnerungen, von unbeglichenen Rechnungen aus vergangenen Jahrhunderten, von immer wieder neu erzählten alten Geschichten. In dieser Hinsicht hat das Niedersachsen-Derby noch deutlich Nachholbedarf. Wolfsburg begrüßte bislang erst zehn Mal seinen Nachbarn aus der Landeshauptstadt zu einem Bundesliga-Spiel, (neun Mal hat der VfL gewonnen). Wahrscheinlich müssen die Niedersachsen einfach noch ein paar Mal gegeneinander antreten, bevor es für den Rest des Landes interessant wird. Es handelt sich um ein Derby, das noch in der Pubertät steckt.

Beschleunigen ließe sich der Reifeprozess freilich mit ein paar wohldosierten Giftpfeilen Richtung Nachbarschaft. Der Verteidiger Emanuel Pogatetz, früher Hannover, jetzt Wolfsburg, hat dazu gerade eine prima Chance verpasst. Er sagte, was ein echter Derby-Künstler nie sagen sollte: "Beide Städte haben ihre Reize."

(bohe)

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Von Jonas Beckenkamp

Norbert Meier müsste aufgewühlt sein. Zum 45. Mal treffen Fortuna Düsseldorf und Borussia Mönchengladbach in der Bundesliga aufeinander. Meier und fünf Fortuna-Spieler waren früher Gladbacher, es ist das erste Erstliga-Derby seit 1997, Ende Oktober kommt es im Pokal schon zum Wiedersehen - und ins Stadion dürfen nur 25 000 Düsseldorfer und 5000 Gladbacher Fans. Derart viele emotionale Konnotationen hatte das stets hitzige Niederrhein-Derby noch nie. Und was sagt Meier, der Düsseldorfer Trainer? "Ich sag mal so: Ich werde auch am Samstag meinen zweistündigen Mittagsschlaf halten."

Meier ist schon froh, dass das Stadion nicht leer ist. Wegen des Platzsturms ihrer euphorisierten Fans beim Relegationsspiel im Mai war die Fortuna fürs erste Heimspiel mit einer kompletten Publikumssperre belegt worden. Als feststand, dass das Geisterspiel just gegen Gladbach geht, warnte die Polizei-Gewerkschaft, ausgesperrte Fans könnten in der Altstadt für Radau sorgen. Gladbacher hatten nämlich angekündigt, trotzdem in Truppenstärke anreisen zu wollen, und aus Köln sickerte durch, Hooligans würden zum rustikalen Tête-à-tête in der Altstadt gerne hinzustoßen. Es war deshalb wenig verwunderlich, dass der DFB sein Sportgericht in zweiter Instanz entscheiden ließ, aus einem Geisterspiel zwei halbe zu machen: mit jeweils maximal 30 000 Zuschauern nun gegen Mönchengladbach und in drei Wochen gegen den SC Freiburg.

Meier nennt die emotionale Aufladung im Vorfeld des Samstagsspiels eine "Neverending-Story" - und kommt doch zum Resümee: "Andererseits ist es auch nur ein Pflichtspiel." Das gilt freilich für ihn und eine Handvoll weiterer Fortunen nicht: Auch Manager Wolf Werner, die Stürmer Andrej Woronin und Nando Rafael, die Außenverteidiger Johannes van den Bergh und Tobias Levels sowie der (für das Derby noch gesperrte) Kapitän Andreas Lambertz haben eine Vergangenheit bei Gladbach.

Meier, der dort Jugendtrainer war und von November 1997 bis März 1998 seine ersten vier Monate als Bundesliga-Trainer erlebte, sagt: "Bei der Borussia habe ich außer Busfahrer alles mal gemacht, dort habe ich meinen Job von der Pike auf gelernt." Ihre 25 000 Tickets hat die Fortuna an die 17 000 Dauerkarteninhaber der vergangenen Saison vergeben und den Rest unter den neu hinzugekommenen Stammkunden verlost. Das klingt fair, hat aber trotzdem für Unmut in der Szene gesorgt. Extrawünsche für Freunde will Trainer Meier nicht erfüllen. "Da bin ich relativ straight", sagt er, "außerdem hat mir unser Chef Peter Frymuth nicht mal zwei Extraplätze auf dem Dach zugestanden."

(uhn)

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der Sportredaktion von Süddeutsche.de

Menschen, die es genau nehmen, werden sagen, dass die Partie zwischen dem FC Bayern München und dem VfB Stuttgart kein Derby ist. Karl-Heinz Rummenigge ist zum Beispiel ein Mensch, der es genau nimmt, und in der Derby-Frage hat er eine beachtliche Kompetenz, als Vorstandsvorsitzender der Bayern. Im Stadionheft zum Spiel am Sonntag schreibt Rummenigge nämlich, dass es wieder zum "Süd-Klassiker" kommen wird - und ein Süd-Klassiker, das ist natürlich viel mehr als ein normales Süd-Derby. Es ist, laut der Rummeniggeschen Definition, ein Spiel von einer Bedeutung wie sie sonst nur das spanische Pendant hat, der Clásico zwischen Real Madrid und dem FC Barcelona.

Gerne wird dieses Derby, das eigentlich ein Klassiker ist, auch "Süd-Gipfel" genannt, und das trifft es eigentlich am besten. Denn dieses Duell war gerade in jenen Jahren interessant, in denen sich beide Vereine mit etwa dem gleichen Punktestand begegneten. Im November 1987 zum Beispiel, als Jürgen Klinsmann mit einem Fallrückzieher gegen den Rivalen aus München das Tor des Jahres erzielte. Oder im April 2007, als der VfB dank eines Doppelpacks von Cacau innerhalb von drei Minuten dem FC Bayern innerhalb von drei Minuten alle Hoffnungen auf den Gewinn der Meisterschaft zerstörte - und vier Spieltage später selbst den Titel feierte. Ein Gipfel-Klassiker war es also genau dann, wenn Stuttgart gewann.

Vor diesem großflächigen Derby-Wochenende hat der VfB nur drei Punkte Rückstand auf den FC Bayern, mit einem Sieg könnte das Team also gleichziehen. Und doch sind in diesem Jahr die beiden Mannschaften so weit voneinander entfernt wie schon lange nicht mehr. Eigentlich geht es ja vor diesem Klassiker nur um den Spanier Javier Martínez, den 40-Millionen-Euro-Mann, den teuersten Zugang der Bundesliga-Geschichte. Am Freitag erzählte Bayern-Torwart Manuel Neuer, dass der Zugang das erste Spiel für seinen neuen Verein gleich mal verloren habe, nämlich in der ersten Trainingseinheit mit seiner neuen Mannschaft - ein Wahnsinn! Am Sonntag wird Martínez aller Voraussicht nach ohnehin nicht in der Startelf stehen, er könnte aber eingewechselt werden. Darauf werden in der Arena erstmals 71 000 Zuschauer warten, das Fassungsvermögen des Stadions wurde erhöht, nicht unbedingt wegen Martínez, aber ganz sicher auch nicht wegen des Süd-Gipfel-Derby-Klassikers.

Dass dieser Klassiker auch aufgrund fehlender innerstädtischer Derby-Möglichkeiten so gepusht wird, das merken übrigens nicht einmal Menschen an, die es genau nehmen. Das sagen nur die ewig nölenden Besserwisser. Manche sprechen übrigens vor dem Spiel zwischen dem FC Bayern und dem VfB Stuttgart von einem "Süd-Schlager". Aber so kann ja auch wirklich jede dahergelaufene Partie genannt werden.

(bwa)

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Perfide Millionen-Pläne, Protest-Profis und andere Wirrungen: Das Wechsel-Hickhack, das der FC Bayern um Javi Martínez erlebte, ist nicht das erste seiner Art. Schon früher gab es bei Transfers erhebliche Schwierigkeiten: vom sturen Demba Ba über Andy Köpkes Doppelvertrag bis zu einem verspäteten Fax.

Transfer-Dramen.

Im beschaulichen Berlin gibt es zwar keinen funktionierenden Flughafen, das ist aber gar nicht so schlimm. Weil es ohnehin keine funktionierende S-Bahn gäbe, um den Flughafen zu erreichen. Die Berliner haben zuletzt ziemlich viel Häme abbekommen aus dem Rest der Republik. Sie können sich damit trösten, dass sie jetzt endlich wieder ein Hauptstadt-Derby haben.

Und das verspricht - in aller Bescheidenheit - kein schlechtes Spektakel zu werden: Union gegen Hertha, Montagabend, Alte Försterei (erreichbar mit der Tram). Zugegeben, in Berlin gibt es immer nur dann Derbys, wenn Hertha in die zweite Liga absteigt.

Aber das ist - in aller Bescheidenheit - immer noch besser als in Leipzig. Dort steigt am Sonntag das große Derby zwischen Lok und RedBull. Und dazu kommt es nur, weil RB mal wieder den Aufstieg in die dritte Liga verpasst hat.

(bohe)

© SZ vom 01.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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