Bundesliga:Videobeweis schadet mehr, als er nützt

FC Schalke 04 - FC Bayern München

Videobeweis aus Schalke: Schiedsrichter Marco Fritz (links) malt einen Bildschirm in die Luft.

(Foto: dpa)

Der Grund für all das Chaos: Der Videoschiedsrichter soll ein Korrektiv sein und im Hintergrund wirken - aber bisher funktioniert das nicht.

Kommentar von Philipp Selldorf

Als im Sommer der Videobeweis eingeführt wurde, hat er das Fußball-Land entzweit. Die einen waren aus diesem und jenem Grund unbedingt dafür, die anderen unbedingt dagegen. Die einen nannten die anderen rückständige Romantiker, die anderen sahen die Reformer als Technokraten und mutwillige Spielverderber. Nach ein paar Wochen mit dem neuen Medium finden die Fraktionen nun wieder zusammen.

Der Videobeweis, der das Land gespalten hat, hat es durch seine praktische Anwendung wieder vereint. Alle sind sich einig: So, wie er bisher eingesetzt wird, funktioniert er nicht. Bisher hat der Videobeweis oft nicht Gleichheit und Gerechtigkeit hergestellt, sondern den Eindruck erzeugt, mehr Unsicherheit zu schaffen. Von Rechtssicherheit oder gar Rechtsfriede auf dem Platz keine Spur.

Der Grundkonflikt: Die Regeln, wann der Videoreferee eingreift, sind häufig Ansichtssache

Es fällt nicht leicht, die Probleme zu benennen, die aufgetreten sind. Es sind so viele. Am Mittwoch beim Spiel Köln gegen Frankfurt, um das jüngste Beispiel heranzuziehen, hat der Video-Schiedsrichter zu zwei gravierenden Fehlentscheidungen beigetragen, wobei nicht klar war, ob er dies durch Unterlassen oder Eingreifen getan hatte. Die Tatsachen waren diese: Es gab einen Elfmeter (für Frankfurt), den es nicht hätte geben dürfen, und keinen Elfmeter (für Köln), als es einen hätte geben müssen.

Der Ärger darüber war im Publikum umso größer, weil niemand wusste, ob das Fernsehgericht in den beiden fraglichen Szenen überhaupt konsultiert wurde, und wenn ja: warum es die Fälle dann nicht richtig bewertet hat. Die Schiedsrichter sollten durch die Instanz am Fernsehschirm entlastet, ihre Autorität gestärkt werden, doch im Moment ist es so, dass sie nie so überfordert ausgesehen haben wie im Augenblick und ihre Autorität deshalb in Frage steht.

Das liegt einerseits daran, dass sie ihre Entscheidungsgewalt häufig an den Mann am Bildschirm delegieren, weil er über Nahaufnahmen in Zeitlupe verfügt und mehr Zeit zur Beurteilung hat. Und andererseits daran, dass der Videoschiedsrichter immer wieder zum Oberschiedsrichter wird, indem er den Spielleiter auf dem Feld überstimmt. Das ist zwar ausdrücklich gewollt, aber nur, wenn es darum geht, spontane, sogenannte "glasklare" Fehlentscheidungen zu korrigieren. Doch was eine Fehlentscheidung ist und was nicht, darüber gibt es in neun von zehn Fällen mehrere begründbare Meinungen. Darin gründet der grundsätzliche Konflikt: Auslegung und Anwendung der Spielregeln für den Eingriff des Videoreferees sind oft Ansichtssache - denn was ist eine "glasklare" Fehlentscheidung?

Beim Spiel zwischen Schalke und dem FC Bayern hatte der Hauptschiedsrichter zunächst entschieden, das unzweideutige Handspiel von Naldo nicht mit einem Elfmeter zu ahnden, weil diesen der Ball zunächst am Fuß traf. Er folgte damit den aktuellen Richtlinien des DFB. Dann kam der Videomann und deutete den richtigen Entscheid in einen falschen um - Strafstoß für Bayern! Wobei richtig oder falsch in diesem speziellen Fall von den derzeit geltenden amtlichen Kriterien bestimmt werden. Wenn diese aber von den zuständigen Regelhütern nicht befolgt werden, entsteht der Eindruck eines Durcheinanders.

Der Videorichter soll ein Korrektiv sein, das im Hintergrund agiert, aber bisher ist er das nicht. Mangels klar definierten Ausführungsstandards wird er ständig zum Akteur. Entweder, weil er sich Kompetenzen aneignet, die ihm nicht zustehen. Oder weil er von einem hilfsbedürftigen Schiedsrichter konsultiert wird. Dass es dann immer noch Fehler in der Beurteilung gibt, lässt die Debatten unter den Zuschauern und Beteiligten noch kontroverser und leidenschaftlicher werden, als sie es ohnehin immer waren. Denn es hatte ja geheißen, dass die Zahl solcher Fehler im Orwell-Fußballstaat gegen null gehen werde. Der Videobeweis kann helfen. Doch im Bemühen um schnelle Verwirklichung hat man die Tücken unterschätzt, die in ihm stecken und damit das Verfahren beschädigt. So ist die Unsicherheit zurzeit größer als die Sicherheit.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: