Bundesliga:Wolfsburg erreicht die Relegation, Freiburg feiert

Lesezeit: 5 min

Josuha Guilavogui und Koen Casteels haben zwei weitere Spiele Zeit sich in der Bundesliga zu halten. (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Der Hamburger SV steigt nach fast 55 Jahren erstmals aus der Bundesliga ab.
  • Die Polizei muss Sekunden vor dem Ende das Spielfeld stürmen. Rauchbomben fliegen auf den Rasen. Schiedsrichter Felix Brych kann das Spiel ewig nicht abpfeifen.
  • Weil Wolfsburg 4:1 gegen Köln gewinnt reicht dem HSV ein 2:1-Sieg gegen Gladbach nicht aus.
  • Wolfsburg muss in die Relegation gegen Kiel, Freiburg ist gerettet.

Von Martin Schneider

Abstiegskampf in der Fußball-Bundesliga bedeutet, sich vom Abgrund zu melden. Die Spiele von Freiburg, Wolfsburg und Hamburg im Protokoll.

Vor den Spielen

Der HSV-Bus mit der Aufschrift "Rauten-Express" fährt im Volksparkstadion ein. Hunderte Fans empfangen die Spieler, Schals wirbeln durch die Luft, die Menge brüllt: Haa-Esss-Faaauu. Die Stimmung ist positiv - unter der Woche spendierte das Team jedem Fan, der beim Training vorbeischaute, eine Kugel Eis aus der Mannschaftskasse. Am Vatertag kamen 2000 Fans, in Wolfsburg kam kaum jemand.

Die Ausgangslage für Hamburg: ein Sieg gegen Gladbach und dann hoffen auf einen Köln-Sieg in Wolfsburg. Dicker ist das Rettungsseil nicht mehr, das den HSV in der Liga hält. Freiburg braucht zu Hause gegen Augsburg ein Unentschieden, dann ist alles klar. "Wenn ma ein Punkt hole, spiele ma am Donnerschtag nimmer und sinn im Urlaub", sagt Trainer Christian Streich vor dem Spiel. Am Donnerstag findet das Relegations-Hinspiel statt.

Die Aufstellungen: In Wolfsburg ist Daniel Didavi nicht rechtzeitig fit geworden, der gegen Leipzig maximal unglückliche Felix Uduokhai sitzt auf der Bank. Die Bank, die Trainer Bruno Labbadia aus Aberglaube getauscht hat. Im Interview vor dem Spiel sagt er, dass sei so eine Idee gewesen. "Die Nerven spielen eine große Rolle", sagt Labbadia. "Ich bin mir sicher, dass die Fans da sein werden", sagt er auch. Das Spiel ist übrigens nicht ausverkauft.

Beim HSV: Holtby, Kostic, Ito, Wood - alles wie erwartet. Dennis Diekmeier ist wie gegen Frankfurt nicht im Kader. Der Platzwart hat den Rasen im Volkspark aber in Rautenform gemäht, die Sonne scheint, Trainer Christian Titz spricht vor dem Spiel wie vor so einem zwölften Spieltag. Müssen das Umschaltspiel der Gladbacher im Auge behalten. Solche Sachen. Dann immerhin: "Das ist ein außergewöhnlicher Tag. Uns ist schon klar, was heute passieren kann."

Sekunde 41 bis Minute 20

Es passiert: ein Start wie aus einem hanseatischen Horrorfilm. Josip Brekalo dribbelt auf der linken Seite gegen viele Kölner Verteidiger, passt in die Mitte - und Josuha Guilavogui wummst den Ball zum 1:0 für Wolfsburg ins Netz und ins Herz jedes hoffnungsvoll-euphorischen HSV-Fans. In Hamburg wird das Ergebnis nicht im Stadion eingeblendet, aber wie wahrscheinlich ist es schon, dass jeder Zuschauer sein Smartphone auf Flugmodus hat? Aber dann: Lewis Holtby schießt nach einem Eckball aufs Tor, Denis Zakaria baggert den Ball mit dem Ellbogen aus dem Sechzehner. Schiedsrichter Felix Brych bekommt ein Signal aus Köln, schaut sich die Szene nochmal an - es gibt nach Videobeweis Elfmeter für den HSV. Und ganz ehrlich: Viel eindeutiger war in dieser Saison noch kein Handelfmeter, Zakaria checkt den Ball mit dem Ellbogen quasi raus. Aaron Hunt knallt den Strafstoß gegen Yann Sommer rein. 1:0 HSV. Aber immer noch Platz 17. Freiburg wandelt mit diesen Ergebnissen an der Klippe zur Relegation, kommt aber gegen Augsburg noch nicht zu zwingenden Chancen.

In Wolfsburg prallen Jannes Horn und Paul Verhaegh mit den Köpfen zusammen, beide haben eine Platzwunde am Kopf, beide bluten ihr Trikot voll, beide müssen ausgewechselt werden. In der 19. Minute hat Wolfsburg die größte Chance aller Bundesliga-Saisons. Kölns Abwehr ist völlig konfus, Brekalo umkurvt Horn - er hat das leere Tor vor sich - und schießt an den Fuß des herangrätschenden Marcel Risse.

Minute 20 bis Halbzeit

Die wichtigste Mannschaft ist nun Köln. Doch die kommt gegen einen kaum wiederzuerkennenden VfL Wolfsburg nicht wirklich zu Chancen. Und in Hamburg erkennt Borussia Mönchengladbach die Räume, die ein aufgerückter HSV bietet. Josip Drmic stößt nach Pass von Christoph Kramer in die freie Wiese namens Hamburger Hälfte, lässt den zögerlichen Hunt aussteigen und schießt ein. 1:1 in Hamburg. Und während sich Hamburg schüttelt, packt in Wolfsburg Jonas Hector nur vier Minuten später eine maradoneske Aktion aus. Er dreht sich mit dem Ball durch die Abwehr, lupft dann über Koen Casteels ins Tor. Er wird vermutlich der beste Zweitligaspieler der letzten zehn Jahre werden. 1:1 in Wolfsburg.

Der HSV japst. Aber er atmet. Aaron Hunt schießt Oscar Wendt dahin, wo man als Mann niemals einen Vollspannstoß hinbekommen sollte. Wendt liegt auf dem Rasen und selbst der Phantomschmerz bei der Zeitlupe ist enorm.

Die Sekunden vor der Halbzeit: Drei-gegen-Drei-Konter für Gladbach - verstolpert. Gegenzug Hamburg, Ito holt einen Eckball raus. Douglas Santos verhindert mit einer Grätsche einen weiteren Gladbacher Konter, sieht völlig zurecht Gelb. In Wolfsburg wird Köln stärker, Hector spielt einen starken Pass, aber knapp Abseits. Beide Spiele wanken hier wie ein Seiltänzer bei Starkwind. Und Freiburg? Manuel Gulde schießt einmal stark, Augsburgs Torwart Luthe pariert - sonst hat es sich der SC in den Zwischenständen gemütlich gemacht.

Halbzeit bis Minute 70

Die zweite Halbzeit beginnt mit Yann Sommer. Der Gladbacher Torwart hält einen abgefälschten Schuss von Tatsuya Ito mit einem richtig starken Reflex. In Freiburg beginnt die Halbzeit mit einer Party. Nicolas Höfler trifft nach Flanke von Mike Frantz zum 1:0 für den SC, zuvor hatte Nils Petersen den Ball stark behauptet. Freiburg ist damit raus aus dem Keller - und die Uhr in Hamburg läuft runter. Nach einer Kölner Ecke trifft Divock Origi zum 2:1 für Wolfsburg. Yunus Malli legt nach Pass von Brekalo auf den Belgier ab. Schiedsrichter Markus Schmidt überprüft die Situation ewig in Rücksprache mit dem Video-Schiedsrichter. Aber es war nirgends Abseits, der Treffer zählt. In Hamburg hält Yann Sommer wieder stark - aber dann schießt Oscar Wendt aus kurzer Distanz Gotoku Sakai an den Ellbogen. Schiedsrichter Brych ruft ebenfalls den Videoschiedsrichter an, aber es gibt keinen Elfmeter. Offenbar findet das Team, dass die Distanz zu kurz war.

Der HSV kommt zurück. Und wie. Nach einem missglückten Befreiungsschlag von Gladbach landet der Ball bei Lewis Holtby, der sich stark durchsetzt, schießt und zum 2:1 für Hamburg trifft. Freiburg verabschiedet sich endgültig aus dem Abstiegskampf. Tim Kleindienst trifft zum 2:0 für das Team von Christian Streich und die Welt schaut nach Köln. Die müssen zwei Tore schießen. Aber Wolfsburg spielt gerade stark.

70. Minute bis Schluss

Jonas Hector spielt hier, als wäre er der größte HSV-Fan auf Erden. Der Nationalspieler ist der beste Mann auf dem Platz, aber er allein ist nicht genug. Bobby Wood sieht beim HSV Gelb-Rot, aber es ist der egalste Platzverweis in der Geschichte von Abstiegsfinals. Denn in Wolfsburg köpft Robin Knoche das 3:1 für den VfL. Dieser Kopfball wird in die Bundesliga-Geschichte eingehen, als der, der den HSV erstmals in die zweite Liga bringt. Denn drei Tore schießt der 1. FC Köln hier in hundert Jahren nicht mehr. Brekalo schlenzt, Knoche springt höher als Jorge Meré und der HSV ist gezwungen, ein Rennen zu rennen, das er nicht mehr gewinnen kann. Dass Brekalo in der 91. Minute noch das 4:1 macht - geschenkt.

Sekunden vor Abpfiff muss die Polizei in Hamburg das Spielfeld stürmen. Es fliegen Böller auf den Platz, schwarzer Rauch steigt auf. Hunderte Polizisten stehen auf dem Rasen, dazu sechs Polizeipferde, ein Zuschauer wirft einen Grabstrauß aufs Feld. Schiedsrichter Felix Brych kann das Spiel eine Ewigkeit lang nicht abpfeifen. Dann gibt es Schiedsrichterball und die Bundesliga-Geschichte des HSV endet unwürdig.

© Sz.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: