Bundesliga:Der HSV hat mehr Platzverweise als Tore

1. FC Koeln v Hamburger SV - Bundesliga

Total verzweifelt: Hamburgs Lewis Holtby.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Beim HSV geht es immer noch schlimmer. Zwei Hauptschuldige sind ausgemacht: Rotsünder Bobby Wood und Vorstandschef Beiersdorfer.

Von Carsten Scheele, Hamburg

Nun ist es offiziell: Der Hamburger SV hat nach neun Spieltagen in der Bundesliga mehr Platzverweise gesammelt als Tore geschossen. Nur zwei Treffer konnten Angestellte des HSV in dieser Saison bislang erwirken, seit 622 Minuten ist das Team torlos. Effektiver sind die Hamburger in der Disziplin "vom Feld fliegen": Dennis Diekmeier und Cléber sahen bereits Rot. Am Sonntag gegen den 1. FC Köln traf es nun auch Bobby Wood.

Wobei es den jungen US-Amerikaner nicht wirklich "traf". Wood selbst traf seinen Gegenspieler Dominique Heintz mit dem Ellenbogen in der Magengegend, ein Foul aus Frust. Es war die Schlüsselszene in Minute 58, nach Woods Platzverweis fielen alle drei Kölner Treffer beim 0:3 (0:0) durch Anthony Modeste (61., 82., 86.). "Das müssen wir sanktionieren, weil es nicht zu akzeptieren ist", verurteilte ihn Trainer Markus Gisdol. Auch Kapitän Johan Djourou war weit davon entfernt, seinen jungen Mitspieler zu verteidigen: "Das darf er nicht machen. Das ist Disziplinlosigkeit."

Wer den HSV seit mehreren Jahren begleitet, dem fällt natürlich auf, dass immer wieder ein "Tiefpunkt" ausgerufen wird, gefolgt von einem noch "tieferen Tiefpunkt". Doch diesmal scheint die Lage tatsächlich noch mal schlimmer zu sein. Nicht nur, dass der HSV Letzter ist: Noch nie stand sein Verein in seiner langen Geschichte nach neun Spieltagen mit nur zwei Punkten und zwei Toren da. Sogar das legendäre Minusteam von Tasmania Berlin war in der Saison 1965/66 zu diesem Zeitpunkt erfolgreicher.

"Der Blick auf die Tabelle macht unseren Kopf kaputt", klagt deshalb Gotoku Sakai. Auch die Parole von Torhüter René Adler klingt angemessen verzweifelt: "Wir müssen einfach weitermachen. Wir können ja nicht aufhören zu spielen."

Einen Trainerwechsel gab es bereits

Zumal selbst scheinbar einfache Lösungen nicht auf der Hand liegen. Einen Trainerwechsel hat der HSV bereits hinter sich, so kam Ende September für Bruno Labbadia mit Gisdol ein neuer Coach. Bislang sieht es nicht nach Besserung aus. In der Bundesliga ist der HSV unter Gisdol noch torlos. Im DFB-Pokal gelang immerhin ein 4:0 beim Drittligisten Halle, um nur wenige Tage später in der Schlussphase beim 1. FC Köln derart unterzugehen. Es war gewiss nicht die schlechteste Partie dieser Saison, die der HSV in Köln gezeigt hatte, er habe eine Stunde lang sogar ein "sehr ordentliches Auswärtsspiel" gesehen, bemerkte Gisdol.

Zumal unter diesen Umständen: Noch immer verfügt Hamburg über kaum eine funktionstüchtige Innenverteidigung, diesmal meldete sich in letzter Sekunde immerhin Kapitän Djourou fit. Ihn flankierten unerfahrene Aushilfskräfte wie Gedeon Jung oder Ashton Götz. Zu wenig gegen ein Topteam wie Köln und Bundesliga-Toptorjäger Modeste, der den HSV schließlich narrte, wie es ihm beliebte, sogar noch einen Elfmeter verschoss.

Ist Beiersdorfer überfordert mit der Doppelbelastung?

Ob es eine gute Idee ist, mit lediglich drei Innenverteidigern in die Saison zu gehen, scheint da eine berechtigte Frage. Und da der Trainer schon getauscht ist, landet man mit diesen Fragen zwangsläufig bei Dietmar Beiersdorfer, dem Vereinsvorsitzenden und Sportchef. Der verwehrte sich bislang dagegen, einen Teil seiner Aufgaben abzugeben, weshalb die Stimmen lauter erklingen, die nun schlussfolgern, Beiersdorfer könnte mit der Doppelbelastung aus Vereinsführung und Kaderplanung überfordert sein.

Bernd Hoffmann, der beim HSV von 2003 bis 2011 Vereinschef war, forderte am Sonntag bei Sky, der Verein müsse sich "neu aufstellen". Es könne "nicht funktionieren, alles auf einem Menschen abzuladen", sagte Hoffmann. Der HSV brauche mindestens "ein Tandem", sprich: eine weitere Person neben Beiersdorfer und dem omnipräsenten Geldgeber Klaus-Michael Kühne, der sich idealerweise federführend um die sportlichen Belange kümmert. Diesbezüglich gesprächsbereit zeigte sich Aufsichtsratsboss Karl Gernandt, der bereits vor Wochenfrist forsch ankündigte, er werde "nicht tatenlos zusehen", wie der Klub nach zwei knappen Rettungen via Relegation erstmals in die Zweitklassigkeit schlittere. Beim HSV gehe es "sportlich und in der Führung nicht mehr so weiter", polterte er, was Beiersdorfer als deutliche Warnung verstanden haben dürfte.

So scheint die einzige hoffnungsvolle Option für den HSV zu sein, sich irgendwie in die Winterpause zu retten - und dann (mit neuem Sportchef?) richtig gut einzukaufen, unter anderem den einen oder anderen Innenverteidiger. Ein Kandidat für den Sportdirektor-Posten könnte der frühere Hamburger Nico-Jan Hoogma sein, doch zunächst muss sich Beiersdorfer erklären, ob eine Aufgabenteilung mit ihm überhaupt zu machen ist. Die Lage für die Mannschaft könnte indes sogar noch prekärer werden: Aussicht auf leichte Punkte besteht für die nahe Zukunft kaum. Der HSV spielt nun gegen Dortmund, Hoffenheim sowie den Erzrivalen Bremen.

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