Bundesliga:Der FC Bayern hantiert mit einem stumpfen Messer

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Auweia: Thomas Müller und Robert Lewandowski verzweifeln gegen Dortmund. (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Wenn ein Gegner einen klaren Defensivplan entwickelt, findet der FC Bayern zurzeit wenige Lösungen.
  • Beim 0:1 in Dortmund sehnen sich die Münchner sogar nach Van Buyten zurück.
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Von Benedikt Warmbrunn, Dortmund

Irgendwann ging es an diesem Abend auch um Medhi Benatia, das war für den Abend nicht schmeichelhaft, und auch nicht für Benatia. Manuel Neuer brachte die beiden in Verbindung, diesen aus seiner Sicht tristen Abend und den schon fast vergessen geglaubten Verteidiger. Neuer stand an einem Ausgang des Dortmunder Stadions, kühl wehte die Luft hinein, hinter Neuer herrschte eine Unruhe wie auf dem Weihnachtsmarkt; überall sollte noch irgendwer was sagen zu diesem Abend, der für die einen düster war, für die anderen glanzvoll, und der Neuer also auf unerhörte Gedanken brachte. Tief hatte der Torwart des FC Bayern sich seine Kappe ins Gesicht gezogen, als wolle er bloß nix mitbekommen, nur noch raus in die kalte Nacht. Zurück ließ er zuvor noch einen beunruhigenden Gedanken.

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"Vielleicht", sagte Neuer, fehle der Mannschaft ja auch der "Benatia-Style".

Dass der Samstagabend für Neuer und den FC Bayern ein trister war, lag nicht allein daran, dass die Bayern-Mannschaft bei Borussia Dortmund 0:1 verloren hatte, dass sie die Tabellenführung in der Fußball-Bundesliga durch diese Niederlage erstmals seit September 2015 abgeben musste, an den Aufsteiger RB Leipzig. Es lag auch daran, dass die Bayern Zeugen der eigenen Hilflosigkeit wurden. Wofür irgendwann auch Medhi Benatia stand.

Benatia, das nur zur Erinnerung, ist ein Verteidiger, der von August 2014 bis zu diesem Sommer beim FC Bayern unter Vertrag stand, aufgefallen ist er dabei kaum, außer einmal, als er nach einem Tor in der für ihn typischen Pose eines Maschinengewehrschützen feierte. Inzwischen ist Benatia an Juventus Turin ausgeliehen, aber auch das ist nicht so richtig aufgefallen. Dennoch verspürte Manuel Neuer am Samstagabend eine Sehnsucht nach dem Marokkaner. Und zwar, als er schwärmerisch über etwas sprach, was in den vergangenen Jahren wirklich niemand beim FC Bayern vermisst hatte: über ein Tor nach einer Standardsituation.

"Es ist nicht so, dass aus jeder Standardsituation ein Tor fallen muss, aber es darf schon auch mal eine klare Torchance dabei herauskommen", sagte Neuer. "Vielleicht der Benatia-Style oder der von Daniel Van Buyten, die früher immer mit dem Glauben in die Standards gegangen sind: Jetzt erziele ich das Tor. Das fehlt uns vielleicht ein bisschen."

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Von den vergangenen sechs Bundesligaspielen hat der FC Bayern nur zwei gewonnen, dreimal spielte er Unentschieden, und nun, in Dortmund, verlor er das erste Mal. Die Partie am Samstag war von den sieglosen Begegnungen zwar nicht die schlechteste; nachdem Pierre-Emerick Aubameyang für den BVB getroffen hatte (11. Minute), kontrollierten die Gäste das Geschehen.

Und doch zeigte sich darin ein Muster, das sich auch schon bei den drei Unentschieden gegen Köln, Frankfurt und Hoffenheim mal mehr, mal weniger erkennen ließ: Trifft der FC Bayern zurzeit auf einen Gegner, der eine klare, strukturierte Vorstellung davon hat, wie er das Münchner Offensivspiel zerstören will, dann reicht das, um mit dem Titelverteidiger mithalten zu können.

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Gegen Dortmund hatte der FC Bayern 66,5 Prozent des Ballbesitzes, das Team spielte doppelt so viele Pässe wie der Gastgeber (694 zu 347), so weit war es eine einfache Übung für all die Spieler, die drei Jahre lang von Pep Guardiola darin geschult wurden, so lange zu passen, bis in der Deckung des Gegners eine Lücke aufreißt. Unter Guardiola hantierte die Mannschaft mit diesem Ballbesitzfußball aber filigran wie mit einem Filettiermesser.

Unter Ancelotti ist dieses Messer stumpfer, es ist abgenutzt, es ist erkennbar schon länger nicht mehr geschliffen worden. Wirklich gute Chancen erspielte sich die Mannschaft in Dortmund "zu wenige", wie Philipp Lahm gestand. Und der abwartende, mehr auf Konter verlagerte Fußball ist kaum möglich, wenn sich der Gegner - wie Dortmund in der zweiten Hälfte - vor dem eigenen Strafraum verbarrikadiert. "Ich glaube, dass die Genauigkeit im letzten Pass gefehlt hat", sagte Lahm. Und Mats Hummels meinte: "Dreimal, als wir alleine vor dem Tor standen, kam der Querpass nicht an."

Und Neuer schwärmte von Standards.

Unter Guardiola waren derartige Fantasien untersagt, die Standardsituation war ein Element, deren Vorteil im Wesentlichen darin bestand, dass der Ball im eigenen Besitz bleibt. Dass Neuer von Toren nach Eckbällen und Freistößen sprach, zeigt auch, wie groß die Sehnsucht nach einem einfachen Tor ist. Unter Guardiola hatte die Mannschaft Faktoren wie Standardsituationen oder den einst populären, zurzeit auch vermissten Bayern-Dusel meist überflüssig gemacht, da es ihr ja gelang, mit vorgegebenen Spielzügen auch das Komplizierte einfach aussehen zu lassen. Nun aber wären einigen ein paar Rückgriffe auf die Zeit vor Guardiola, die übrigens auch erfolgreich war, nicht unlieb.

Ancelotti hat diesen Abend, der ihn erstmals die Tabellenführung kostete, in seiner unerschütterlichen Ruhe über sich ergehen lassen. "Die Leistung war gut, das Ergebnis nicht", sagte er. Weitere Folgen hatte dieser Abend für ihn nicht, er hat ja nichts verloren. Und so warten auch beim FC Bayern alle angespannt auf das Frühjahr, in dem sich zeigen soll, welche Ideen Ancelotti hat, oder ob er ganz darauf setzt, dass sich in einer von ihm bei Laune gehaltenen Mannschaft von selbst ein, zwei Ideen für die großen Erfolge entwickeln.

Medhi Benatia übrigens hat bisher für Juventus achtmal gespielt, getroffen hat er noch nicht - nicht einmal nach einer Standardsituation.

© SZ vom 21.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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