Bundesliga:Der BVB hat Sehnsucht nach den guten alten Zeiten

Borussia Dortmund - Bayer Leverkusen 4:0

Sven Bender nach der Niederlage seines Vereins vor der "gelben Wand" seines alten Klubs Borussia Dortmund.

(Foto: dpa)
  • Auch nach dem überlegenen 4:0 gegen Bayer Leverkusen knirscht es weiter beim BVB.
  • Viele fragen sich nach der plötzlichen Leistungssteigerung, wie attraktiv viele Trauerspiele der Saison doch eigentlich hätten werden können.
  • Über allem schwebt jedoch der drohende Umbau des Kaders für die neue Saison - und die noch immer nicht geklärte Trainerfrage.

Von Ulrich Hartmann, Dortmund

Am Ende eines spektakulären Fußballabends feierten die Fans von Borussia Dortmund den Spieler Sven Bender mit Jubel, Choral und La Ola. Bender ist mit dem BVB zweimal Meister und Pokalsieger geworden und war 2013 im Champions-League-Finale dabei. Der 28-Jährige steht stellvertretend für eine außergewöhnliche Epoche des Klubs unter den vormaligen Trainern Jürgen Klopp und Thomas Tuchel. Am Samstagabend vor der Südtribüne trug Bender allerdings das Trikot von Bayer Leverkusen, denn dort spielt er seit dem vergangenen Sommer. Der Bayer-Profi und die BVB-Fans erwiesen sich nachträglich und gegenseitig die Ehre.

Die schwarz-gelben Zuschauer und ihre schwarz-gelben Fußballer hingegen fanden nicht so herzlich zueinander. Vor dem Spiel hatten die Fans die BVB-Profis wegen des vor einer Woche auf Schalke verlorenen Revierderbys (0:2) auf Transparenten als "Versager" bezeichnet, und selbst als sich die Spieler nach ihrem 4:0-Spektaktel rehabilitiert glaubten, erhielten sie beim üblichen Ringelpiez vor der Südtribüne keine Absolution. Man schied im Unfrieden.

Es knirscht bei der Borussia, wo sie den Slogan "Echte Liebe" pflegen. Dem Stammpublikum missfiel in dieser Saison das krachende Aus in der Champions League sowie in der Europa League, man beklagte zwei ernüchternde Revierderbys, schwankende Leistungen bei meist unattraktivem Fußball sowie irritierende kämpferische Defizite. "Niemand verkörpert Borussia Dortmund so wenig wie Ihr!", wurde via Spruchband mitgeteilt. Hiebe statt Liebe.

Gegen Leverkusen wurde sportlich schlagartig zwar alles besser, aber emotional auch wiederum schlechter - weil alle zu erkennen glaubten, wie attraktiv der BVB viele Trauerspiele in dieser Saison eigentlich hätte gestalten können. Plötzlich war alles da, was vermisst worden war: Tempo, Kraft, Spielwitz. Parallel zum schönen Spiel wird sich Stöger gefragt haben, warum er diese Borussia wohl in Kürze verlassen wird, verlassen muss, zu der er erst vor fünf Monaten gekommen war.

Als Stöger das Amt nur eine Woche nach seinem Rausschmiss in Köln Anfang Dezember von Peter Bosz auf limitierte Zeit übernahm, sollte er den BVB bloß in die Champions League führen - und das ist ihm mit dem Sieg über Leverkusen jetzt so gut wie gelungen. Fünf Punkte Vorsprung bei drei offenen Spielen, damit ist die Mission fast erfüllt, aber überwältigt ist in Dortmund trotzdem niemand. Stöger hatte es zuvor wochenlang nicht geschafft, einer im Umbruch befindlichen Mannschaft ansehnlichen Fußball zu entlocken.

Nun aber erkannte das Publikum, was für ein Ensemble da im Ruhrgebiet fortan das Publikum zurückerobern könnte. Um Spielgestalter und Kapitän Marco Reus herum brillierten talentierte Jungspunde: der 22 Jahre alte Schweizer Manuel Akanji als Linksverteidiger, der 22 Jahre alte Julian Weigl als zentral-defensiver Mittelfeldspieler, der 19 Jahre alte Amerikaner Christian Pulisic auf dem rechten Flügel, der 18 Jahre alte Engländer Jadon Sancho auf dem linken. Sancho bereitete zwei Tore vor und schoss das 1:0 selbst, Reus erzielte zwei Treffer, und das zwischenzeitliche 3:0 übernahm der 24 Jahre alte Maximilian Philipp. Aber auch ein anderer, der im Zentrum der Kritik stand, nutzte den Samstagabend zur Bewerbung: Vor den Augen von Bundestrainer Löw fügte sich Mario Götze wenige Wochen vor der WM-Kadernominierung mit geschmeidigen Aktionen ins bunte Bild.

Ohne Trainer keinen Umbruch

"Das war eine tolle Vorstellung", lobte der sonst so zurückhaltende Stöger, der es in seiner eigentlich schwachen, weil zeitlich begrenzten Position doch tatsächlich gewagt hatte, den Kapitän Marcel Schmelzer aus dem Kader fürs Spiel zu nehmen. Weil dessen Ersatz Akanji dann auch noch eine überragende Partie zeigte, könnte es für Schmelzer schwer werden, zeitnah wieder in die Elf zurückzufinden. Der Nimbus der Etablierten beim BVB bröckelt.

Kapitän Schmelzer ist nur einer von mehreren Spielern, die in Dortmund vielleicht keine Zukunft mehr haben. Auch für Nuri Sahin, Gonzalo Castro, André Schürrle und Jeremy Toljan könnten es schwer werden. Der ohnehin avisierte Umbruch im Kader fällt vermutlich größer aus, aber ein gravierendes Problem bei derart umfangreichen Planungen ist, dass man momentan noch gar nicht weiß, wer die Mannschaft vom Juli an trainieren soll. Über Lucien Favre (Nizza), Marco Rose (Salzburg) und weiterhin natürlich Julian Nagelsmann (Hoffenheim) wird spekuliert, aber im Sommer wollen ja mehrere europäische Topklubs ihre Trainerposten neu besetzen, und so halten sich die Dortmunder ein Hintertürchen offen und betonen bislang immer wieder, dass die Ablösung Stögers noch gar nicht feststehe.

Doch der Österreicher dürfte den Neuanfang kaum gestalten; er betont allenthalben, das sei ihm auch gar nicht wichtig. Die für die Besetzungen zuständigen Offiziellen, Hans-Joachim Watzke und Michael Zorc, nehmen sich Zeit für ihre Entscheidung. Ein Saisonverlauf mit ernüchternden Spielen und galoppierendem Fan-Frust haben den Druck stetig erhöht. Noch so eine Spielzeit wollen sie beim BVB mit aller Macht vermeiden. Insofern hat das Vier-Tore-Spektakel die Sehnsucht nach den guten alten Zeiten beim BVB nur noch verstärkt. Und auch Sven Bender feierte wehmütig Abschied und stellte gerührt fest: "Ich bin noch nie nach einer solchen Packung in die Kurve gegangen und habe mich feiern lassen. Das war sehr schön."

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