Bundesliga: Bayern - Mainz:Meisterdämmerung in München

Oktoberfest? Fassenacht! Der FSV Mainz 05 besiegt in einem begeisternden Spiel verdient den FC Bayern. Die blamierten Münchner liegen jetzt zehn Punkte hinter den Himmelsstürmern. Bayern-Manager Nerlinger hört schon die Alarmglocken läuten.

S. Gierke

Der Tabellenerste kam früh unter Druck. Er steckte fest, kam nicht vorwärts. War zu Beginn immer ein wenig zu spät. "Das geht auf meine Kappe", sagte Thomas Tuchel. Seine Mannschaft kam beinahe zu spät zum Anpfiff in die Münchner Allianz Arena. Der FSV Mainz 05 war erst am Spieltag nach München gereist, da wegen des Münchner Oktoberfestes kein geeignetes Hotel zu finden war. Zu voll, zu teuer, zu laut.

Und dann dauerte auch noch die Spielbesprechung vor diesem außergewöhnlichen Spiel, dem Spiel des so erfrischend auftretenden Emporkömmlings, des Tabellenersten Mainz beim aus bayerischer Sicht irritieren schlecht positionierten FC Bayern München, länger als sonst. "Und deshalb sind wir dann im Stau vor dem Stadion gesteckt", erklärte Tuchel.

Doch die zehn Minuten, die er seine Spieler länger als sonst ins Gebet nahm, die haben sich gelohnt. In einem begeisternden Spiel siegten die Mainzer in München mit 2:1, verteidigen die Tabellenspitze, haben jetzt die ersten sechs Spiele der Saison gewonnen - und liegen zehn Punkte vor dem aktuellen Meister. Das hätte vor der Saison selbst Krake Paul nicht vorhersehen können.

Bayern-Manager Christan Nerlinger sprach nach dem Spiel von einer "desolaten Leistung", nannte die aktuelle Situation "prekär". "Langsam gehen die Alarmglocken an!"

"Wir müssen immer abwarten, ob der Gegner auch in unserer Allianz Arena so spielt", hatte Louis van Gaal vor dem Spiel gesagt. Er meinte damit, so offensiv, so frech, so spielfreudig und risikobereit, wie es die Mainzer bisher diese Saison zeigten. Er lächelte müde, er lächelte arrogant und man sah ihm an, dass er nicht daran glaubte. Man sah ihm an, dass er sich sicher war, dass die Mainzer hier in München so auftreten würden wie die übrige nationale Konkurrenz zumeist. "Zehn Mann hinter dem Ball", so spöttelt van Gaal dann gerne über Schalke oder Leverkusen oder Suttgart.

Doch die Boygroup aus Mainz überzeugte van Gaal schon nach einer Minute vom Gegenteil, als einer aus ihren Reihen, Sami Allagui, das erste Mal gefährlich vor Hans-Jörg Butt im Bayern-Tor auftauchte. Es ging von Beginn an hoch und runter, ein rasantes Spiel entwickelte sich, ein gutes Spiel, auch die Bayern hatten Chancen, durch Olic, durch Schweinsteiger.

Dass das Spiel so temporeich war, lag jedoch vor allem an Mainz. Hatte man schon jemals eine Gastmannschaft in München mit so viel Mut zur Geschwindigkeit, mit so viel Dynamik, mit so viel Unternehmungslust in ein Spiel gehen sehen? Wenn Hans-Jörg Butt den Ball zurück ins Spiel bringen wollte, suchte er verzweifelt nach Anspielstationen. Die Mainzer Stürmer postierten sich, Wächtern gleich, am Strafraum. An Butts Strafraum.

Louis van Gaal musste den am Knöchel verletzten, zuletzt so starken Franzosen Franck Ribéry und Diego Contento (Leistenverletzung) ersetzten, er brachte Ivica Olic, der ganz nach vorne ins Sturmzentrum rückte und für die linke Seite Daniel Pranjic, der bereits am Dienstagabend dort Contento in der Verteidigung ersetzte. Am taktischen Konzept änderte sich wenig. Miroslav Klose gab die hängende Spitze hinter Olic, links im Angriff spiele Toni Kroos, rechts Thomas Müller.

Mainz, mit der gleichen Formation wie im Spiel gegen Bremen, griff früh an und wurde für so viel Engagement und eine phantastische Leistung zu Beginn in der 15. Minute belohnt. Pranijc vertändelte den Ball, Lewis Holtby startete auf der rechten Seite durch, bedient Allagui in der Mitte und der Tunesier verwandelte aufreizend lässig mit der Hacke. Tuchel jubelte genau zwei Sekunden, dann gab er wieder lautstark Anweisungen.

Mainz - Über den Wolken

Er arbeitete an der Seitenline genauso viel wie seine Spieler und machte alles richtig. Schon wieder. Tuchel bereitet sich gut auf seine Gegner vor, richtet seine Taktik immer an den Stärken des Gegenübers aus. Ein Tüftler, ein Taktiker, ein Trickser. Thomas Tuchel. Sich mit seiner Mannschaft verstecken, auch wenn der Gegner FC Bayern heißt, das hat er nicht auf dem Zettel. Pressing, viel laufen, flache Pässe in die Spitze, immer Torgefahr ausstrahlen, das hatte er gefordert und seine Mannschaft setzte diese Vorgaben um. "Wenn wir beseelt vom Glauben an uns sind, dann ist alles möglich", hatte Tuchel gesagt und seine Mannschaft war so beseelt, wie es sonst nur der "Über den Wolken"-Chor auf der Wiesn kurz vor 22 Uhr klingt.

Und die Bayern? Die waren von so viel Fußballerseele beeindruckt. Nach dem Gegentreffer spürte man die Unsicherheit wachsen, sie machte sich breit in den Köpfen, kroch in die Beine. Hier spielte der Tabellenerste, vor Selbstvertrauen strotzend, gegen den Tabellenachten. Und genau so sah das jetzt aus.

Die Bayern hatten viel Ballbesitz, das schon, aber keine Sicherheit. Sie produzierten einen Fehlpass nach dem anderen, vor allem Bastian Schweinsteiger fiel negativ auf, spielte so oft in die Füße des Gegners, wie es ihm während der Weltmeisterschaft in Spielen und Training zusammen nicht unterlaufen war.

"Wir hatten sehr viel Schwierigkeiten mit dem Spielstil von Mainz und viele Ballverluste", erklärte ein sichtlich geschockter Louis van Gaal. Das Problem war, dass zu viele Spieler unter ihrer normalen Verfassung waren. Wir hatten zwar trotzdem Chancen, haben insgesamt aber schlecht gespielt."

Trotzdem: Es ist Oktoberfest, es ist München, es ist der amtierende Meister gegen Mainz 05. Die Bayern konnten das nicht auf sich sitzen lassen und rissen fünf Minuten vor der Pause das Spiel an sich. Erst brachte Kroos nach feinem Anspiel von Müller den Ball aus sechs Metern nicht aufs Tor, dann setzte Klose einen Kopfball an die Latte. Die Bayern, so schien es, brauchten Hilfe und die Bayern bekamen Hilfe. Nach einem hohen Ball aus dem Mittelfeld versucht Bo Sevensson den Ball zu seinem Torhüter zurückzuköpfen, ohne genau zu wissen, wo der steht. Christian Wetklo steht weit vor dem Tor, der Ball saust an ihm vorbei, Wetklo läuft ihm nach, der Ball rollt, Wetklo läuft, der Ball rollt - Wetklo kommt zu spät. Ein Eigentor bringt die Bayern in der 45. Minute zurück in dieses Spiel und eine der rasantesten Halbzeiten der bisherigen Bundesliga-Saison war zu Ende.

Es war zu erwarten, dass vor allem die Mainzer dieses Tempo in der zweiten Halbzeit nicht halten konnten und so entwickelte sich nach dem Seitenwechsel ein Spiel, wie viele es von Beginn an erwartete hatten. Die Bayern dominant, aber mit wenig gefährlichen Ideen im Spiel nach vorne. Ribéry und Robben können auch die Münchnernicht einfach so ersetzen.

Mainz wartete jetzt ab, zog sich immer mehr zurück. Fast schien es, als hätten sie ihr Pulver in den ersten 45 Minuten verschossen. Außerdem fehlte der vorher so starke Lewis Holtby, er musste in der Pause verletzt ausgewechselt werden. Van Gaal brachte in der 62. Minute Hamit Altintop für Olic, Klose ging in die Spitze, Thomas Müller in die Zentrale hinter ihm. Doch mehr Torgefahr strahlten die Münchner auch nach dieser Umstellung nicht aus.

Und dann, ganz plötzlich waren sie wieder da, die Mainzer. Der eingewechselte André Schürrle setzte sich leichtfüßig auf der rechten Seite durch, bediente in der Mitte den 22-jährigen Ungarn Adam Szalai, der den Ball überragend annimmt und mit einem phantastischen Schuss aus der Drehung Butt keine Chance läßt.

Und dann? Oktoberfest in München? Nein. Fastnacht. Nur noch Meenzer Fassenacht. Thomas Tuchel war schlicht überwältigt: "Das ist sehr außergewöhnlich, dass wir nach fünf Siegen in Folge diese Serie auch bei Bayern München fortgesetzt haben. Da fehlen mir spontan etwas die Worte."

Louis van Gaal fehlten sie nicht: "Mainz traue ich viel zu, sie können auch Meister werden. Das hat Kaiserslautern auch einmal geschafft, warum nicht auch Mainz." Es klang nicht nach einer zusammengesponnenen Büttenrede.

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