Bundesliga:Ausreden, die Schmidts eigene Intelligenz beleidigen

Bundesliga: Charles Aranguiz (l.) verlässt nach seiner roten Karte das Feld. Roger Schmidt steht bei Bayer Leverkusen vor einer Menge Probleme.

Charles Aranguiz (l.) verlässt nach seiner roten Karte das Feld. Roger Schmidt steht bei Bayer Leverkusen vor einer Menge Probleme.

(Foto: AP)

Für Trainer Roger Schmidt wird es brenzlig bei Bayer Leverkusen: Das Publikum pfeift, Offizielle gehen auf Distanz, und die Mannschaft "macht nix".

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Ingolstadts Linksaußen Anthony Jung hatte es nicht eilig auf dem Weg in den Feierabend. Mit jedem Schritt Richtung Seitenlinie wurde er noch etwas langsamer, es war einer dieser Momente, in denen sich die Sekunden so sehr dehnen, als würden sie Minuten dauern. Die Leverkusener Spieler aber nahmen es bloß noch lethargisch zur Kenntnis, wie ihnen der immer lahmer werdende Kollege die Nachspielzeit und somit die letzten Hoffnungen aufs Ausgleichstor raubte, und auch der Bayer-Trainer Roger Schmidt guckte lediglich teilnahmslos zu.

In früheren Tagen hätte er dem gegnerischen Spieler garantiert Dampf gemacht, er hätte ihn herbeigebrüllt und herbeigewunken, sämtliche Schiedsrichter unter Druck gesetzt und den gesamten gegnerischen Trainerstab beschimpft. Mindestens. Aber jetzt stand Schmidt, die Hände in den Hosentaschen, einfach nur stumm am Rasenrand herum und ließ das unselige Schauspiel geschehen.

Die Situation in Leverkusen ist inzwischen reichlich verfahren, das wurde außer durch die hochverdiente 1:2-Niederlage am Sonntagabend gegen den FC Ingolstadt auch durch die Ohnmacht des Mannes deutlich, der für die Choreografie zuständig ist. Seitdem ihn der DFB und die Schiedsrichter mit immer weiter verschärften Sanktionen zur totalen Selbstbeherrschung gezwungen haben, sieht es so aus, als ob sich der Trainer vor lauter Disziplin selbst in Fesseln gelegt hätte. Nicht mal gewöhnliches Coaching wagt er sich zu erlauben, und so gab Schmidt jetzt ein Bild der Resignation ab, das zu dem Bild seiner Mannschaft passte. Diese scheint außer ihrem sportlichen Leitbild auch ihr Temperament verloren zu haben. Bisher waren Schmidts Leverkusener Teams auf radikal proaktives Pressing und Draufgehen gedrillt, jetzt findet das radikal passive Gegenteil statt. Sportchef Rudi Völler erkannte: "Im Grunde machen wir genau das, was wir nicht machen dürfen - nämlich gar nix."

Die Leverkusener Zuschauer zeigten am Sonntag für diese seit Wochen und Monaten zu beobachtende Verwandlung kein Verständnis mehr. Den Schuldigen hatten sie schnell ermittelt. Während der Pause mussten sich die Besucher auf der Haupttribüne noch gegenseitig befragen, ob sie das richtig verstanden hatten, was sie aus der Kurve hörten: Hatten die Fans wirklich "Roger raus" gerufen?

Schmidt reagiert gereizt - als habe man ihm einen Dolch in den Rücken gestoßen

Zu diesem Zeitpunkt stand es 0:1 und die Bayer-Elf hatte eine Vorstellung geboten, die selbst Völler als "grottenschlecht" bezeichnete. Dass sich die Hausherren nach der Pause um ein paar Nuancen steigerten (und dies nach Charles Arranguiz' Platzverweis in Unterzahl), hat das Publikum nicht honorieren wollen. Aus vereinzelten, halblauten Roger-raus-Rufen wurden nun gemeinschaftliche, deutlich vernehmbare Schmidt-Raus-Gesänge.

Derby gegen Köln als nächste Prüfung

Roger Schmidt, 48, hat in den zweieinhalb Jahren im Rheinland schon einige schwierige Phasen erlebt und einige Kritik eingesteckt, aber konzertierte Proteste der Fans im Stadion sind ihm bisher erspart geblieben. Auf Seiten der Bayer-Akteure kommentierte man die Reaktionen von der Tribüne mit Floskeln, die zum Handwerkszeug des Profis gehören. "Ich kann die Enttäuschung verstehen", sagte pflichtgemäß der Abwehrspieler Jonathan Tah. "Gehört zum Fußball dazu", sagte routiniert Sportmanager Völler.

Und auch der betroffene Cheftrainer sagte etwas sehr Übliches. Allerdings beließ es Schmidt nicht beim rhetorischen Standard ("so ist das Geschäft, muss man akzeptieren"), sondern er fügte auch ernsthaft beleidigt hinzu, dass die Rufe und die Pfiffe nicht hilfreich und im Grunde auch nicht berechtigt seien: Denn erstens spiele Bayer "mit einer blutjungen Mannschaft, vielleicht der jüngsten der Liga", und zweitens sei diese Mannschaft zu seiner Zeit einem "Umbruch" unterzogen und "komplett neu aufgebaut worden"; und drittens hätten wichtige Spieler wegen Verletzungen gefehlt, und viertens ...

Die Rede ging tatsächlich noch weiter, bis hin zu der bizarren Klage, dass Bayer alle drei Tage Fußball spielen müsse, weshalb das Training zu kurz komme.

Es steht nicht gut um Roger Schmidt in Leverkusen, das hat nicht nur diese Sammlung von Ausreden gezeigt, die seine eigene Intelligenz beleidigen. Auch Zeichen der gegenseitigen Distanzierung sind nicht mehr zu überhören und zu übersehen. Dass die sportliche Führung den im Team äußerst unbeliebten, dem Trainer aber nahestehenden Fitnessspezialisten Oliver Bartlett entließ, sollte eine Hilfestellung für Schmidt sein, doch dieser kommentierte den Vorgang, als hätte man ihm einen Dolch in den Rücken gestochen. Ob die Unterstützung für Schmidt noch gelte, wurde Völler gefragt. "Natürlich!", erwiderte er sehr entschieden. Auf dieses Wort sollte einstweilen Verlass sein. Zumindest bis zur Bewährungsprobe beim Derby in Köln am Mittwoch.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: