Fußball-Regionalliga:Regionalliga-Relegation: Wo der Meister nicht aufsteigt

SF Lotte v Waldhof Mannheim  - 3. Liga Playoff Leg 1

Kein Durchkommen: Nico Neidhart (r.) von den Sportfreunden Lotte bei Relegations-Hinspiel gegen Mannheim am Mittwoch.

(Foto: Christof Koepsel/Getty)

In den deutschen Regionalligen spielen die Meister nochmal eine Relegation aus. Alle betroffenen Vereine finden das System unfair. Warum ändert man es nicht?

Von Martin Schneider, München

Der Philosoph und Schriftsteller Albert Camus sagte mal: "Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen", aber Camus steckte auch nie in der Regionalliga West fest. Der König Sisyphos muss in der griechischen Mythologie immer einen Stein den Berg hochrollen und immer, wenn er kurz davor ist, es zu schaffen, lassen die Götter den Stein wieder herunterrollen. Das war als Strafe gedacht, Camus fand, es ist etwas Gutes, stets eine Aufgabe zu haben. Aber immer die gleiche Aufgabe? Immer wieder gegen den FC Kray oder den TuS Erndtebrück auflaufen?

Der Sisyphos-Verein des deutschen Fußballs heißt Sportfreunde Lotte. Lotte versucht seit Jahren, aus der Regionalliga West herauszukommen. Und eigentlich war Lotte auch schon zweimal ganz oben am Berg, also am Ende der Saison auf Platz eins der Tabelle. Aber das reicht nicht.

Denn in den fünf deutschen Regionalligen (West, Nord, Nordost, Südwest und Bayern) ist es so: Wer Meister wird, steigt nicht automatisch in die dritte Liga auf. Wer Meister wird, muss in eine Relegation gegen einen anderen Meister. Eine Ausnahme gibt es nur in der Südwest-Staffel, die gemessen an der Mitgliederzahl doppelt so groß ist wie die anderen Staffeln. Darum dürfen dort die ersten beiden Mannschaften an der Relegation teilnehmen. Lotte muss am Sonntag im Rückspiel bei Waldhof Mannheim antreten, das Hinspiel ging 0:0 aus. In Mannheim werden mehr als 20 000 Fans Waldhof anpeitschen. Alles ist möglich. Der Stein könnte also wieder runter rollen.

Zwei Spiele entscheiden über eine ganze Saison

Der Ober-Sisyphos in Lotte heißt Manfred Wilke. Er ist offiziell Fußball-Obmann des Vereins, aber eigentlich ist er das, was man einen Macher nennt. Er hat die Sportfreunde Lotte, diesen Klub aus einem Dorf mit 14 000 Einwohnern im Teutoburger Land, aufgebaut. Manchmal gab Wilke als Mäzen selbst Geld, manchmal organisierte er klug lokale Sponsoren, jedenfalls hat er Lotte an Traditionsvereinen wie Alemannia Aachen und Rot-Weiss Essen vorbei an die Spitze der Regionalliga West geführt.

Aber eben noch nicht aus ihr heraus. "Das ist nicht in Ordnung", sagt er am Telefon. "Ich werde Meister und habe trotzdem noch nichts erreicht. Eine ganze Saison entscheidet sich in ein paar Tagen, in denen alles passieren kann." Man darf sich Manfred Wilke wirklich nicht als glücklichen Menschen vorstellen.

Wilke hat die Geschichte der Unaufsteigbaren aus Lotte von Anfang an miterlebt, und sie beginnt im Jahr 2012. Lotte wird Zweiter und verpasst damit die direkte Qualifikation für die dritte Liga. Allerdings holt Borussia Dortmund II, der Tabellenerste, die entscheidenden Punkte am letzten Spieltag gegen Rot-Weiss Essen. Später wird bekannt, dass viele Essener Spieler in diesem Spiel gegen die eigene Mannschaft gewettet haben. Der Einspruch Lottes wird trotzdem abgelehnt. ("Die größte Sauerei, die ich je erlebt habe", sagt Wilke dazu.) Lotte bleibt in der Regionalliga.

Das Glück lacht regelmäßig den anderen zu

Ein Jahr später gewinnt Lotte die Liga, bekommt in der neu eingeführten Relegation aber RB Leipzig zugelost, den finanziell potentesten Gegner, den man sich vorstellen kann. Lotte zwingt Leipzig im Rückspiel in die Verlängerung, aber zum Sieg reicht es nicht. Lotte bleibt in der Regionalliga. Wieder ein Jahr später verliert Lotte nur dreimal in der ganzen Saison, trotzdem ist Fortuna Köln diesmal besser. Lotte wird Zweiter. Keine Relegation, Fortuna Köln gewinnt das Aufstiegsspiel, weil der Torwart des Gegners Bayern München II in der letzten Minute einen grotesken Fehler macht. Dieses Jahr gewinnt Lotte die Liga mit 15 Punkten Vorsprung. Ob das was nützt, entscheidet sich an diesem Sonntag um 15.05 Uhr.

Die Relegation zwischen vierter und dritter Liga ist das Nadelöhr des deutschen Fußballs. Der engste Flaschenhals, den man sich vorstellen kann. Eine ganze Saison entscheidet sich in zwei Spielen. Im vergangenen Jahr scheiterte etwa der 1. FC Saarbrücken erst im Elfmeterschießen an den Würzburger Kickers.

DFB-Vize Koch sagt: Die Relegation ist ein unvermeidbares Übel

"In jeder Meisterschaft - egal in welcher Liga - stecken Unmengen an Aufwand, viel harte Arbeit, viel Geld, viele Emotionen und viel Herzblut. Es kann nicht das Ziel des deutschen Fußballs sein, dass all diese Punkte durch 180 Minuten Relegationsfußball zerstört und gegenstandslos werden", schrieben die Sportfreunde Lotte unlängst in einem offenen Brief. Andere Vereine sind der gleichen Meinung. Mannheims Kapitän Hanno Balitsch sagte vor Kurzem: "Ich weiß nicht, ob es in Europa einen schwierigeren Aufstieg gibt als den von der Regionalliga in die dritte Liga." Er forderte eine Reform.

Ebenso sieht es Roland Seitz, Sportvorstand bei der SV Elversberg, die in der Relegation gegen Zwickau antritt. Neben Lotte ist Elversberg der zweite Verein, der zum zweiten Mal den Aufstieg ausspielt, mit dem Unterschied, dass die Saarländer es beim ersten Mal gegen 1860 München II geschafft haben. "Das aktuelle System ist eine Lotterie, ein Glücksrad. Wir brauchen eine vernünftige Aufstiegsregelung", sagt Seitz.

"Die Relegation ist ein unvermeidbares Übel"

Wenn alle Kontrahenten das aktuelle System schlecht über unfair bis richtig mies finden: Warum ändert man es dann nicht?

Um diese Frage zu beantworten, kann man Rainer Koch anrufen. Rainer Koch ist Vize-Präsident beim DFB und für Amateurfußball zuständig, er hat damals die Regionalliga-Reform mit angestoßen. Er sagt: Die Relegation ist ein unvermeidbares Übel. "Drehen wir doch den Spieß mal um: Welche Aufstiegsregelung würden Sie denn vorschlagen?", fragt Koch auf die Relegation angesprochen. Na gut. Wie wäre es mit vier Regionalligen, vier Absteiger aus der dritten Liga, vier Aufsteiger aus den Regionalligen? "Das wäre schon möglich. Allerdings müssten die beiden südlichen Regionalligen (Bayern und Südwest, Anm. d. Red) bestehen bleiben, weil dort 50 Prozent der Mitglieder des deutschen Fußballbundes spielen. Man müsste also aus den Ligen West, Nord und Nordost zwei Ligen machen. Das ist bei den Vereinen aber schwer durchzusetzen", sagt Koch.

Wie wäre es dann mit einer Aufstiegsrunde? Alle sechs Mannschaften spielen in einer Mini-Liga gegeneinander, das wäre fairer, als eine ganze Saison in 180 Minuten auszuspielen. "Auch das ginge. Dann müsste man die Ligengröße reduzieren, um Termine für diese Spiele zu schaffen. Die Ligengröße liegt in den Händen der Landesverbände. Ich bin durchaus dafür, dass man das offen diskutiert", sagt Koch.

Die Regionalliga-Reform wurde damals angestoßen, weil im damaligen System mit drei Ligen viele Vereine Pleite gingen. Zu lange Anfahrtswege, zu unattraktive Gegner. Mit der Aufteilung auf fünf Ligen sollte mehr regionale Nähe geschaffen werden. Auch kleinere Vereine sollten in der Lage sein, gegen die Größen der Region anzutreten. Koch nennt die Regionalliga daher die "Champions League der Amateure". Er sieht darin ein Erfolgsmodell.

Am Flaschenhals wird sich nichts ändern

Tatsächlich stimmen die Vereine regelmäßig für die Beibehaltung des aktuellen Systems. Für Klubs, die nicht aus der Liga raus wollen, hat es viele Vorteile. Je nach Liga spielt man als Dorfverein eben gegen Rot-Weiss Essen, Jahn Regensburg, Kickers Offenbach oder Carl-Zeiss Jena statt gegen den nächstbesten Dorfklub. "Die Mehrzahl der Vereine ist für die aktuelle Struktur", sagt Koch. "Deshalb wird sich wahrscheinlich am System nichts grundsätzlich ändern, sondern allenfalls am Relegationsmodus."

"Wir sind uns untereinander nicht einig", sagt auch der Elversberger Seitz. "Es gibt sicher ein paar Mannschaften, die das aktuelle System ändern wollen. In Cottbus und bei den Stuttgarter Kickers denkt man jetzt nach dem Abstieg aus der dritten Liga auch bestimmt anders darüber." Und auch Wilke ist "nicht optimistisch", dass sich am Flaschenhals etwas ändert. "Die Mehrheit hat entschieden. Und wenn 15 von 18 Klubs für das jetzige System sind...", sagt er ohne den Satz zu beenden. Was wird er tun, wenn es für Lotte am Sonntag wieder schief gehen wird, wenn der Stein wieder den Berg herunterrollt? "Ich weiß wohl, was wir machen, wenn wir aufsteigen", sagt Wilke. "Dann haben wir viel zu tun: mit der Lizenz, dem Stadion und allem drum und dran." Und wenn nicht? "Wir wollen aufsteigen", sagt Wilke.

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