Britische Handballer:Plötzlich Olympioniken

Sie spielten früher Hockey, Football oder Basketball und hätten es in ihren Sportarten vermutlich nie in einen Olympia-Kader geschafft. Doch weil Großbritannien bei den Sommerspielen im eigenen Land ein Handball-Team stellen wollte, wurden sie in einer für sie fremden Sportart ausgebildet. Mit einigen Hindernissen.

Saskia Aleythe

Handball war vor vier Jahren für Kathryn Fudge noch ein Mysterium. Komisch sah das aus, dieser kleine Ball, der nur mit einer Hand geworfen werden soll. Und dann mit einem Bein abspringen? Für die damalige Basketballerin ein ungewohnter Anblick.

Britische Handballer: Vor fünf Jahren noch Handball-Laien, nun in London dabei: Großbritanniens Nationalmannschaft.

Vor fünf Jahren noch Handball-Laien, nun in London dabei: Großbritanniens Nationalmannschaft.

(Foto: AFP)

Vermutlich würde sie heute noch nicht wissen, was es mit damit auf sich hat, hätte ihre Mutter nicht diese Annonce in der Zeitung entdeckt. Talente für die Olympischen Spiele wurden gesucht, je eine Mannschaft im Handball, Volleyball und Rudern sollte zusammengestellt werden. "Was muss ich dafür machen?", fragte Fudge ihre Mutter. Die Antwort: "Nichts, ich habe deine Bewerbung schon abgeschickt."

Fudge hatte damals gerade ihr Abitur in der Tasche, die Welt stand ihr offen und die Möglichkeiten auch. Nun ist sie bei den Olympischen Spielen dabei. In Großbritanniens Handball-Teams, sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern, ist ihre Geschichte nur eine von vielen. Eine, wie sie sich jeder Amateur-Sportler erträumt. Bei den Männern stand Robert White noch 2007 im Fußball-Tor eines unterklassigen englischen Klubs, Daniel McMillan war Footballer in Lübeck. Fudges Kollegin Louise Jukes spielte Hockey in der britischen U-18-Auswahl. Sie alle sind jetzt dabei.

Als London 2005 den Zuschlag als Olympia-Stätte bekam, existierte noch keine britische Handballnationalmannschaft. Die Gelegenheit des Startrechts wollte sich der Verband jedoch nicht entgehen lassen und so schmiedete er einen Plan: Mit einem Budget von umgerechnet knapp 4,3 Millionen Euro sollte sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen ein wettbewerbsfähiges Team gebildet werden.

Eine weltweite Suche begann, nach Handballern mit britischem Pass. 2007 wurden Werbeanzeigen im Fernsehen und in den Zeitungen geschaltet, um Olympia-hungrige Briten zu casten. Sportliche Frauen ab 1,80 Meter und Männer ab 1,90 Meter wurden gesucht.

"Ich hab mich gefühlt wie eine Achtjährige, die nicht weiß was und wie sie spielen soll", sagt Fudge. In einem groß angelegten Auswahlverfahren behauptete sie sich dennoch gegen mehr als 500 Bewerberinnen. Anschließend wurde sie mit ihren Kollegen und Kolleginnen in einer Handballakademie in Dänemark ausgebildet, dem Land, in dem Handball Nationalsport ist. Sie lernte die Laufwege, das Kreuzen im Rückraum, 7-Meter-Werfen und dass die Abwehrarbeit beim Handball weitaus aggressiver geführt wird als im Basketball.

Finanzielle Probleme

Finanziell war die Teilnahme an dem Programm für viele ein Risiko, der Verband unterstützte sie nur mit einem schmalen Taschengeld. Die meisten Spieler mussten sich Geld von den Eltern leihen, einige hatten Teilzeitjobs als Babysitter oder Reinigungskraft. "Manchmal habe ich mich schon gefragt, warum ich das mache", sagt Fudge, "aber dann siehst du Olympia vor dir und was du erreichen könntest."

Besonders bitter wurde es 2009, als der Verband die Finanzierung des dänischen Trainingslagers einstellte. Die Handballer waren nun auf sich selbst gestellt und mussten sich in ganz Europa nach Klubs umgucken. Für Fudge ging es zunächst beim norwegischen Drittligisten Asker SK weiter, mittlerweile hat sie der erfolgreichste Schweizer Klub, der LC Brühl in St. Gallen, für die kommende Saison verpflichtet. Daniel McMillan und fünf andere Briten holten sich beim damals finanziell angeschlagenen Tusem Essen in der Bundesliga Spielpraxis.

Bei aller Euphorie wird es sowohl für die Männer als auch für die Frauen darum gehen, in London eine Blamage abzuwenden. Medaillen gewinnen werden sie ganz sicher nicht. Die britischen Frauen haben zwar die leichtere Gruppe erwischt, doch die Länderspielbilanz sieht insgesamt düster aus. Ende März verloren die Frauen ihr EM-Qualifikationsspiel gegen Polen mit 20:29. Polen war seit 2007 bei keinem internationalen Turnier mehr dabei. Und am Samstag haben sie auch gleich ihr Auftaktspiel verloren. 19:31 gegen Montenegro.

In der Leistung noch weiter auseinander liegt das Männerteam mit den olympischen Gegnern. Wenn sie am Sonntag gegen Weltmeister Frankreich in das Turnier starten, müssen sie vor allem ihre Pleiten gegen Handball-Zwerge wie Tunesien und Argentinien aus dem Kopf bekommen, die sie Ende vergangenen Jahres mit 15:42 und 15:32 demoralisierten.

Mit Lyn Byl und Christopher Mohr geht auch für zwei Deutsch-Briten der Traum von Olympia in Erfüllung. Byl absolvierte als 19-Jährige fünf Länderspiele für Deutschland und war danach lange für Bundesligist Bayer Leverkusen aktiv. Mohr spielte in seiner hessischen Heimat Handball, fernab vom Spitzenniveau. Auf beide blicken Deutschlands Nationalspieler nun womöglich etwas neidisch. Denn sie sind bei Olympia überhaupt nicht mit dabei.

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