Britische Doping-Affäre:Anfangsverdacht ignoriert

Head Of British Athletics Appears At Blood Doping Committee Session

Eine Figur, auf die sich nun viele kritische Blicke richten: Nicole Sapstead, die Chefin der britischen Anti-Doping-Behörde Ukad.

(Foto: Ben Pruchnie/Getty)

In der Affäre um den Londoner Arzt Mark Bonar gerät die Anti-Doping-Agentur Ukad verstärkt ins Visier. Dabei hatte sie zuletzt immer mehr Verantwortung im weltweiten Betrugskampf inne.

Von Thomas Kistner, London/München

Am Tag nach der Schockwelle richtete sich das Augenmerk in Großbritannien erst einmal auf die nationale Anti-Doping-Agentur Ukad. Die Sunday Times und die ARD hatten über einen weitflächigen Dopingverdacht berichtet, der zahlreiche Sportarten umfassen soll. Im Zentrum der Affäre soll der Londoner Arzt Mark Bonar stehen; Gynäkologe wie der Spanier Eufemiano Fuentes, die Zentralfigur im letzten den Weltsport erschütternden Dopingskandal. Wie in England, drehten sich damals in Spanien die Vorwürfe auch um Spitzenteams im Profifußball.

Allerdings wurden die staatlichen Ermittlungen seinerzeit, 2006, rasch gestoppt. Und trotz anhaltenden Drängens der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada ruhen sie seither, im Juni ist der Fall verjährt. Die Aktendeckel blieben auch geschlossen, als Fuentes 2010 in einen weiteren Dopingskandal (Leichtathletik) verwickelt war - und sogar angesichts der Tatsache, dass 2013 der spanische Erstliga-Klub San Sebastian einräumte, von Fuentes jahrelang Dopingmittel bezogen zu haben. Dabei legte der ehemalige Vereinspräsident Iñaki Badiola unter Berufung auf die internen Finanzbücher dar, dass sein Klub von 2001 bis 2008 Dopingmittel bestellt und dafür bis zu 342 000 Euro im Jahr aus einer schwarzen Kasse bezahlt habe.

Das Thema Doping hat im Fußball eine völlig andere Tragweite als in jedem anderen Sport. Die finanzielle Sonderstellung, die der Fußball hat, ermöglicht es ihm, sich dem Diktat globaler Sportorganisationen wie der Wada oder auch dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) weitestgehend zu entziehen. Sonderwege geht die Branche seit jeher auch im Umgang mit der Dopingbekämpfung: Bei der Fußball-WM ist die Wada bis heute nicht einmal ins Testprogramm involviert, und bezüglich der Meldepflichten im Kontrollsystem gelten für Profis großzügigere Regelungen als für Athleten in anderen Sportarten.

Die Affäre in England soll rund 150 Athleten aus Fußball, Radsport, Bodybuilding und anderen Sparten umfassen. Von einer unmittelbaren Verwicklung der betroffenen Premier-League-Klubs wird bisher allerdings nicht ausgegangen; auch wurden noch keine Sportlernamen genannt. Die betroffenen Vereine weisen jeden Dopingverdacht strikt von sich: Der FC Arsenal und der FC Chelsea in London sowie Leicester City, dessen spektakulärer Alleingang an der Tabellenspitze seit Monaten Publikum und Fachwelt verzückt.

Der verdächtige Arzt in London legte den Undercover-Journalisten, die sich als Manager eines angeblich doping-willigen Athleten getarnt hatten, über Monate immer freizügiger seine Aktivitäten dar. Er habe Topsportler über Jahre hinweg "mit allem, was schneller und stärker macht und verboten ist", versorgt. Auch stellte er dem Lockvogel der Rechercheure Rezepte über starke Dopingmittel aus - so wie Jahre zuvor einem echten Klienten, der als Dopingsünder aufgeflogen war und die Bonar-Recherche angestoßen hatte.

Britische Sportpolitiker fordern: "Wir müssen das Thema Doping im Fußball ernster nehmen."

Der Informant hatte sich 2015 zunächst an die britische Ukad gewandt, fand aber kein Gehör. Ukad-Chefin Nicole Sapstead verteidigt sich nun damit, man habe nur gegen Personen vorgehen können, die unter die Sportgerichtsbarkeit fielen. Das erklärt aber nicht, warum die Agentur die vorliegenden Informationen, darunter offenkundig Dopingrezepte des Arztes, weder der britischen Ärztekammer GMC noch der Justiz vorlegte. Obwohl die Papiere zumindest den Anfangsverdacht auf verbotene, potenziell kriminelle Praktiken nähren.

Nun steckt Ukad, eine der renommiertesten Agenturen im Weltsport, selbst in Problemen. Sportminister John Whittingdale schob eine Untersuchung an. Und Damian Collins, Sportexperte im Londoner Parlament, fordert: "Wir müssen das Thema Doping im Fußball ernster nehmen."

Die Affäre wirft erneut auch ein Licht auf die Betrugsbekämpfung im Weltsport, die de facto in Eigenregie erfolgt. Nach dem Skandal um die russische Leichtathletik arrangiert Ukad dort die nationalen Dopingtests. Überdies berät sie die neue Task Force des IOC zu Sommerspielen in Rio de Janeiro; aufgespürt werden sollen Lücken im Kontrollsystem. Die neue Affäre stellt Ukad nun selbst als Lücke im System bloß, und sie beschädigt die Glaubwürdigkeit des internationalen Sports weiter.

Bonar hatte laut GMC seine Approbation als Arzt schon im März verloren. Dieser Vorgang soll aber im Kontext einer fragwürdigen Patientenbehandlung stehen, die nichts mit Doping zu tun hatte.

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